Im Saarland weniger Tote im Straßenverkehr
Ob Geiselnahme oder Suizidversuch: Die Verhandlungsgruppe der saarländischen Polizei ist immer dann gefragt, wenn sich Krisen zuspitzen. Aber es gibt etwas, was die Situation in aller Regel entspannt.
(kip) Im Jahr 2020 sind bei Unfällen im Saarland 22 Menschen tödlich verunglückt – so wenige wie noch nie seit Beginn der statistischen Aufzeichnungen im Jahr 1957, sagte Innenminister Klaus Bouillon (CDU) am Donnerstag in Saarbrücken. Dafür ist die Zahl der Unfälle mit Fahrrädern gestiegen. Beides führt Bouillon auf die Coronakrise zurück. Es seien weniger Menschen auf den Straßen unterwegs gewesen und viele Menschen seien aufs Rad umgestiegen.
Immer wieder die Talbrücken. Meist führen sie über Autobahnen. Man verrät kein Geheimnis, wenn man sagt, dass es dort regelmäßig Selbstmorde gibt. Das tun auch die Kreuze unter den Brücken kund, die von trauernden Familien aufgestellt wurden. Stumm erinnern sie an Tragödien – in Sulzbach unter der A 8 sowie in Saarbrücken-Fechingen unter der A 6. Die saarländische Polizei hat jedoch Spezialisten, die diese und ähnliche Dramen zum Guten wenden wollen: die Beamten der sogenannten Verhandlungsgruppe.
Hauptkommissarin Sarah Sersch leitet die Einheit. Sie berichtet etwa über einen mehrstündigen Einsatz kürzlich in Saarlouis. Dabei hatte die Verhandlungsgruppe einen lebensmüden Mann nach Stunden von einem Dach geholt. Dazu später mehr.
„Bei der Verhandlungsgruppe handelt es sich um eine speziell geschulte Einheit der saarländischen Polizei. Ihre Aufgabe ist es, in besonderen Einsatzlagen wie Geiselnahmen, Entführungen oder Suizid-Versuchen mit Menschen zu kommunizieren. Da sich die betroffenen Personen häufig in einem psychischen Ausnahmezustand befinden, sind sehr gute kommunikative Fähigkeiten gefragt“, sagt Sersch. „Die Mitglieder der Verhandlungsgruppe absolvieren eine dreiwöchige Grundausbildung. Darüber hinaus nehmen sie jährlich an mehreren Fortbildungsveranstaltungen teil“, erläutert Sersch.
Die Fälle im Zusammenhang mit einem beabsichtigtem Selbstmord hätten eine große Außenwirkung, weil sie sich oft in der Öffentlichkeit abspielten. In diesen Situationen müsse etwa der Verkehr gestoppt oder müssten Rettungswagen hinzugerufen werden. Manchmal arbeite die Einheit aber auch im Verborgenen. „Wir sind auch zuständig für die Analyse und Bewertung sogenannter inkriminierter Botschaften,
beispielsweise von Erpresserschreiben. In diesen Fällen gilt es, mit standardisierten Analysemethoden Erkenntnisse über die Täterpersönlichkeit und das bestehende Gefährdungspotential zu erlangen“, sagt Sersch.
Nach ihren Angaben wird die Verhandlungsgruppe jährlich 35 bis 45 mal alarmiert. Einsatzschwerpunkte seien im Wesentlichen angedrohte Selbstmorde oder auch, wenn Menschen bedroht werden. Da man eng mit den Spezialkräften (SEK) der Polizei zusammenarbeite, sei die Verhandlungsgruppe
dort angedockt. Ein Teil der Beamten arbeite sonst im normalen Wach- und Streifendienst und komme dann von dort oder auch aus der Freizeit zum Einsatz.
Zuständig sei das Team für das ganze Saarland, man unterstütze aber auch in anderen Bundesländern und im Ausland. Wenn die Verhandlungsgruppe alarmiert wird, gehe es meist oft um lebensbedrohliche Situationen: „Wir kommen bei Entführungen, Geiselnahmen, herausragenden Erpressungen, Bedrohungs- und Suizid-Lagen, bei Amok-Lagen, Anschlägen
sowie besonderen Sicherheitsstörungen in Justizvollzugsanstalten zum Einsatz. Unser letzter Einsatz war in Saarlouis. Dort war ein 29-jähriger Mann auf das Dach eines Hauses geklettert und hatte gedroht, in die Tiefe zu springen. Nach mehrstündigen Verhandlungen konnte eine Sprecherin der Verhandlungsgruppe den Mann dazu bewegen, in seine Wohnung zurückzusteigen und die Wohnungstür zu öffnen“, berichtet Sersch.
Mit der handelnden Beamtin konnte die SZ nicht sprechen, da die Angehörigen
der Verhandlungsgruppe anonym bleiben sollen. Das Team ist mit seiner Arbeit regelmäßig erfolgreich, berichtet Sersch. Aus dem Landespolizeipräsidium heißt es dazu: „Die Strategie, eine persönliche Beziehung zum Betroffenen aufzubauen, ihm eine Zukunftsperspektive zu eröffnen, aber auch auf die Bedingungen des Täters einzugehen, führt zu einer hohen Erfolgsquote. Besonders deutlich wird dies beispielsweise in Suizid-Lagen. Wenn Suizid-Willige ein Gespräch mit Mitgliedern der Verhandlungsgruppe zugelassen haben, ist es in den vergangenen 20 Jahren immer gelungen, den Tod von Menschen zu verhindern.“
Damit dies auch so bleibt, machen die Mitglieder regelmäßig Weiterbildung und stehen im engen Austausch mit Verhandlungsteams aus Rheinland-Pfalz und Luxemburg. „Einige Mitglieder der Verhandlungsgruppe beherrschen auch Fremdsprachen auf hohem Niveau“, sagt Sersch. Falls man jedoch selbst nicht weiterkomme, sei auch der Einsatz von Dolmetschern geregelt.
Und wenn Reden nichts mehr bringt? „Die Polizei ist stets um eine gewaltfreie Lagelösung bemüht und strebt üblicherweise Verhandlungen an. Ausnahmen gibt es, wenn Betroffene eine Kommunikation nicht zulassen oder wenn aufgrund einer akuten Gefährdungssituation ein sofortiger Zugriff erfolgen muss.“Dann werde laut Sersch das SEK hinzugerufen.