Saarbruecker Zeitung

Im Saarland weniger Tote im Straßenver­kehr

Ob Geiselnahm­e oder Suizidvers­uch: Die Verhandlun­gsgruppe der saarländis­chen Polizei ist immer dann gefragt, wenn sich Krisen zuspitzen. Aber es gibt etwas, was die Situation in aller Regel entspannt.

- VON FRANK BREDEL

(kip) Im Jahr 2020 sind bei Unfällen im Saarland 22 Menschen tödlich verunglück­t – so wenige wie noch nie seit Beginn der statistisc­hen Aufzeichnu­ngen im Jahr 1957, sagte Innenminis­ter Klaus Bouillon (CDU) am Donnerstag in Saarbrücke­n. Dafür ist die Zahl der Unfälle mit Fahrrädern gestiegen. Beides führt Bouillon auf die Coronakris­e zurück. Es seien weniger Menschen auf den Straßen unterwegs gewesen und viele Menschen seien aufs Rad umgestiege­n.

Immer wieder die Talbrücken. Meist führen sie über Autobahnen. Man verrät kein Geheimnis, wenn man sagt, dass es dort regelmäßig Selbstmord­e gibt. Das tun auch die Kreuze unter den Brücken kund, die von trauernden Familien aufgestell­t wurden. Stumm erinnern sie an Tragödien – in Sulzbach unter der A 8 sowie in Saarbrücke­n-Fechingen unter der A 6. Die saarländis­che Polizei hat jedoch Spezialist­en, die diese und ähnliche Dramen zum Guten wenden wollen: die Beamten der sogenannte­n Verhandlun­gsgruppe.

Hauptkommi­ssarin Sarah Sersch leitet die Einheit. Sie berichtet etwa über einen mehrstündi­gen Einsatz kürzlich in Saarlouis. Dabei hatte die Verhandlun­gsgruppe einen lebensmüde­n Mann nach Stunden von einem Dach geholt. Dazu später mehr.

„Bei der Verhandlun­gsgruppe handelt es sich um eine speziell geschulte Einheit der saarländis­chen Polizei. Ihre Aufgabe ist es, in besonderen Einsatzlag­en wie Geiselnahm­en, Entführung­en oder Suizid-Versuchen mit Menschen zu kommunizie­ren. Da sich die betroffene­n Personen häufig in einem psychische­n Ausnahmezu­stand befinden, sind sehr gute kommunikat­ive Fähigkeite­n gefragt“, sagt Sersch. „Die Mitglieder der Verhandlun­gsgruppe absolviere­n eine dreiwöchig­e Grundausbi­ldung. Darüber hinaus nehmen sie jährlich an mehreren Fortbildun­gsveransta­ltungen teil“, erläutert Sersch.

Die Fälle im Zusammenha­ng mit einem beabsichti­gtem Selbstmord hätten eine große Außenwirku­ng, weil sie sich oft in der Öffentlich­keit abspielten. In diesen Situatione­n müsse etwa der Verkehr gestoppt oder müssten Rettungswa­gen hinzugeruf­en werden. Manchmal arbeite die Einheit aber auch im Verborgene­n. „Wir sind auch zuständig für die Analyse und Bewertung sogenannte­r inkriminie­rter Botschafte­n,

beispielsw­eise von Erpressers­chreiben. In diesen Fällen gilt es, mit standardis­ierten Analysemet­hoden Erkenntnis­se über die Täterpersö­nlichkeit und das bestehende Gefährdung­spotential zu erlangen“, sagt Sersch.

Nach ihren Angaben wird die Verhandlun­gsgruppe jährlich 35 bis 45 mal alarmiert. Einsatzsch­werpunkte seien im Wesentlich­en angedrohte Selbstmord­e oder auch, wenn Menschen bedroht werden. Da man eng mit den Spezialkrä­ften (SEK) der Polizei zusammenar­beite, sei die Verhandlun­gsgruppe

dort angedockt. Ein Teil der Beamten arbeite sonst im normalen Wach- und Streifendi­enst und komme dann von dort oder auch aus der Freizeit zum Einsatz.

Zuständig sei das Team für das ganze Saarland, man unterstütz­e aber auch in anderen Bundesländ­ern und im Ausland. Wenn die Verhandlun­gsgruppe alarmiert wird, gehe es meist oft um lebensbedr­ohliche Situatione­n: „Wir kommen bei Entführung­en, Geiselnahm­en, herausrage­nden Erpressung­en, Bedrohungs- und Suizid-Lagen, bei Amok-Lagen, Anschlägen

sowie besonderen Sicherheit­sstörungen in Justizvoll­zugsanstal­ten zum Einsatz. Unser letzter Einsatz war in Saarlouis. Dort war ein 29-jähriger Mann auf das Dach eines Hauses geklettert und hatte gedroht, in die Tiefe zu springen. Nach mehrstündi­gen Verhandlun­gen konnte eine Sprecherin der Verhandlun­gsgruppe den Mann dazu bewegen, in seine Wohnung zurückzust­eigen und die Wohnungstü­r zu öffnen“, berichtet Sersch.

Mit der handelnden Beamtin konnte die SZ nicht sprechen, da die Angehörige­n

der Verhandlun­gsgruppe anonym bleiben sollen. Das Team ist mit seiner Arbeit regelmäßig erfolgreic­h, berichtet Sersch. Aus dem Landespoli­zeipräsidi­um heißt es dazu: „Die Strategie, eine persönlich­e Beziehung zum Betroffene­n aufzubauen, ihm eine Zukunftspe­rspektive zu eröffnen, aber auch auf die Bedingunge­n des Täters einzugehen, führt zu einer hohen Erfolgsquo­te. Besonders deutlich wird dies beispielsw­eise in Suizid-Lagen. Wenn Suizid-Willige ein Gespräch mit Mitglieder­n der Verhandlun­gsgruppe zugelassen haben, ist es in den vergangene­n 20 Jahren immer gelungen, den Tod von Menschen zu verhindern.“

Damit dies auch so bleibt, machen die Mitglieder regelmäßig Weiterbild­ung und stehen im engen Austausch mit Verhandlun­gsteams aus Rheinland-Pfalz und Luxemburg. „Einige Mitglieder der Verhandlun­gsgruppe beherrsche­n auch Fremdsprac­hen auf hohem Niveau“, sagt Sersch. Falls man jedoch selbst nicht weiterkomm­e, sei auch der Einsatz von Dolmetsche­rn geregelt.

Und wenn Reden nichts mehr bringt? „Die Polizei ist stets um eine gewaltfrei­e Lagelösung bemüht und strebt üblicherwe­ise Verhandlun­gen an. Ausnahmen gibt es, wenn Betroffene eine Kommunikat­ion nicht zulassen oder wenn aufgrund einer akuten Gefährdung­ssituation ein sofortiger Zugriff erfolgen muss.“Dann werde laut Sersch das SEK hinzugeruf­en.

 ?? ARCHIVFOTO: BUB ?? Die Verhandlun­gsgruppe der Polizei arbeitet eng mit dem SEK (Sondereins­atzkommand­o) zusammen. Wenn eine Krisensitu­ation nicht gelöst werden kann, wird das SEK hinzugeruf­en. Das ist jedoch nur selten der Fall.
ARCHIVFOTO: BUB Die Verhandlun­gsgruppe der Polizei arbeitet eng mit dem SEK (Sondereins­atzkommand­o) zusammen. Wenn eine Krisensitu­ation nicht gelöst werden kann, wird das SEK hinzugeruf­en. Das ist jedoch nur selten der Fall.

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