Was der neue SR-Tatort am Ostermontag bringt
Der neue „Tatort“aus dem Saarland hat an Ostern Premiere. „Der Herr des Waldes“bietet einen grausigen Mordfall und persönliche Gefahr für die neuen Kommissare. Ist der Krimi so gelungen wie der Einstand vor einem Jahr?
Mysteriös beginnt es. Ein Mensch hastet durch den saarländischen Forst, Vogelgezwitscher wird von ominöser Musik weggebrummt, eine Spinne umgarnt ihre Beute in tödlicher Umarmung. Ein Mann, den die Kamera nur undeutlich zeigt, baut sich einen Bogen zusammen und schreit von einem Felsen in den Wald hinein – als sei er „Der Herr des Waldes“. So heißt dieser neue saarländische „Tatort“, der zweite mit dem Ermittlerduo Adam Schürk (Daniel Sträßer) und Leo Hölzer (Vladimir Burlakov) in der ersten Reihe, den Kommissarinnen Esther Baumann (Brigitte Urhausen) und Pia Heinrich (Ines Marie Westernströer) bisher in der zweiten Reihe.
Frischer Wind wehte im April 2020 durch die „Tatort“-Historie des Saarländischen Rundfunks. Der hatte zuvor ein beliebtes Ermittlerduo zu dessen Überraschung in die TV-Wüste geschickt (Begründung: „auserzählt“) und dann den exzellenten Devid Striesow als Kommissar engagiert; dessen Figur Stellbrink kam aber leider immer einen Tick zu gewollt originell daher. Die Nachfolge traten die Ermittler Schürk und Hölzer an; auch wenn deren erster Fall „Das fleißige Lieschen“neben dem Mordfall im Industriellenmilieu viel traumatische Vergangenheit des Duos unterbringen musste und dadurch etwas übervoll wirkte, war er ein gelungener Einstieg. Die Kritiken waren gut, über zehn Millionen Menschen schauten zu.
Der neue Fall, inszeniert von Christian Theede, ist einer der brutaleren „Tatorte“: Die 18-jährige Schülerin Jessi wird im Wald von einem Pfeil in den Oberschenkel getroffen. Das zeigt „Der Herr des Waldes“noch, den grausigen Mord erspart uns der Film und lässt ihn lieber die Rechtsmedizinerin Henny Wenzel (Anna Böttcher) erklären: Das Opfer starb durch einen Stich ins Herz, das der Täter/die Täterin danach herausgeschnitten und wieder in den Körper zurückgestopft hat. Zudem hat der Täter der jungen Frau, die auch Bisspuren aufweist, zwei Finger abgeschnitten und auch einen Zweig im Mund drapiert, als sei sie erlegtes Wild. Kein Wunder, dass der rat- und fassungslose Kommissar Schürk die Szenerie mit einem Schimanski-esken „Scheiße“ kommentiert.
Verdächtig sind nun einige: Hat Mitschüler Manuel Siebert (Aaron Hilmer), unglücklich in Jessi verliebt, mit der Tat zu tun? Oder sein großspuriger Freund Simon ( Julius Nitschkoff), der das Mordopfer als „Fleischfresser“verspottet, ist er doch radikaler Veganer, der im Wald gerne Hochsitze der Jägerschaft umsägt. Auch ein enger Freund Jessis ist verdächtig, Clemens Lausch (Oscar Brose), Sohn des Lehrers Peter Lausch (Kai Wiesinger). Jener Pädagoge hat einst, im Saarland kennt eben jeder jeden, Adam Schürk in der 11. Klasse in Philosophie unterrichtet. Und wer ist eigentlich der Mann mit dem Bogen im Wald vom Filmbeginn?
Parallel zum Fall haben die Jugendfreunde Schürk und Hölzer eine noch größere Sorge – Schürks Vater, den Hölzer einst (in der ersten Episode) im Affekt mit einem Spaten ins Koma schlug, als der seinen Sohn wieder einmal durchprügelte, ist nach 15 Jahren aufgewacht. Und die beiden fürchten nun, dass der Vater sich an die Tat erinnert und beide Kommissare ins Gefängnis bringt. Das macht die beiden Kollegen und etwas entfremdeten Freunde von einst zu einer Schicksalsgemeinschaft. Um die zu schützen, überschreitet Schürk Grenzen – den Rollstuhl des Vaters stattet er mit einem Peilsender (!) aus, und einem SR-Reporter, der dem Vater ein Mikro unter die Nase hält, geht Schürk, offensichtlich kein Freund freier Presse, buchstäblich an den Hals und droht mit der Staatsanwaltschaft. Ist Schürk der zurzeit ruppigste Kommissar im „Tatort“Universum? Sehr gut möglich.
Vor der Ausstrahlung des ersten Falls hatte der SR nicht von einem „Tatort“-üblichen Kommissars-Duo gesprochen, sondern von einem Ermittlerteam. Ein Ensemble-Gefühl wollte beim Debüt aber nicht aufkommen; die Ermittlerinnen Baumann und Heinrich hatten wenig zu melden oder zu tun. Hier ist das nun spürbar, wenn auch nicht fundamental, anders. Die beiden Frauen ermitteln parallel zu den Mannsbildern, unter anderem in Frankreich; dort zeigt sich, dass die Frankreichstrategie der Landesregierung und die erhoffte Zweisprachigkeit diesund jenseits der Grenze noch nicht ganz am Ziel sind: Die befragte Französin spricht kein Deutsch, und eine der beiden Ermittlerinnen versteht kein Wort Französisch; für Zuschauerinnen und Zuschauern, denen es ähnlich geht, hat der SR diese französischsprachige Szene deutsch untertitelt – dafür ein herzliches „merci beaucoup“.
Die schönste Team-Szene des Krimis spielt im Bauch des Theaterschiffs Maria-Helena, das in Saarbrücken nahe dem Staatstheater vor Anker liegt und für den Film als schwimmende Kneipe zurechtgemacht wurde. Statt wie üblich den Fall auf der Polizeiwache zu diskutieren, tut das Quartett es am Tischkicker – wobei die flexible Kamera sich sogar auf Augenhöhe zu den Spielfiguren herablässt – die optisch originellste Szene des Films, der ohnehin sehr gut fotografiert ist: Der Krimi-erfahrene Kameramann Tobias Schmidt („Nord Nord Mord“, „Sarah Kohr“, viele Folgen „Alarm für Cobra 11“) lässt in einer Szene die Kamera im Drohnenflug von einer Kleinstadtstraßen-Idylle in die Lüfte über den Saar-Forst schweben, der hier ein wenig wie ein Ur- und Märchenwald wirkt. Zugleich spiegelt sich die emotionale Kälte zwischen Schürk und seinem Vater wider: in trist-grauen Bildern aus dem gemeinsamen Familienheim mit seinen herzlich ungemütlichen Betonwänden (Szenenbild: Thomas Neudorfer).
Das Kommissars-Duo ist wie im Debüt ein fulminantes Doppel. Burlakov spielt Hölzer als melancholisch umflorten Ermittler, den die Vergangenheit ebenso umtreibt wie Schürk – kein Wunder, dass ihn in seiner ersten Szene ein Albtraum plagt; Sträßer spielt Schürk als verwundete Seele, die sich nach außen hin abschottet, mit einer harten Hülle und ziemlich zackigem Auftreten mit Macho-Aroma; etwa wenn er seiner Bürokollegin Baumann, die ihn fragt, ob er ihr Mittagessen mitgebracht hätte, eine Packung Kaugummi auf den
Tisch knallt. Diese Spannung zwischen Schürk und Baumann, auch beim Tischkickern, ist so hoch, dass man vermuten kann, dass sich da in kommenden „Tatorten“emotional etwas anbahnen könnte. Zugleich liegt Schürk, der seinem Vater im Rollstuhl gerne ein kerniges „Halt die Fresse“entgegen schmettert, in seinem alten Kinderbett zusammengekauert wie ein verängstigtes Kind.
Zwischen Mitte Juni und Mitte Juli 2020 – unter Corona-Bedingungen, mit Masken und Tests, zumindest hinter der Kamera – entstand der „Tatort“in Saarbrücken, Blieskastel, Niederwürzbach und Rilchingen-Hanweiler. Die Kulisse des Polizeireviers ist diesmal die Industrieund Handelskammer (IHK) in der Franz-Josef-Röder-Straße im ersten Stock – beim Debüt der Ermittler stand die Revier-Kulisse auf einem Sulzbacher Industriegelände. Dank großer Fenster haben es die Ermittler jetzt ziemlich sonnig, und die Zuschauer einen schönen Blick auf Saar und Staatstheater. Die Schule, in der ermittelt wird, ist ein „Tatort“-bekannter Drehort: das technisch-gewerbliche Berufsbildungszentrum 2 am Mügelsberg in Saarbrücken; auf deren Dach residierte einst SR-Kommissar Stellbrink. Das idyllische Gebäude, vor dem die Kommissarinnen Baumann und Heinrich eine Frau befragen, liegt in der Krimi-Handlung in Frankreich, in Realität aber am Niederwürzbacher Weiher – es ist der Annahof.
An der Auflösung des Falls werden sich wohl die Geister scheiden. Sie kann man, je nach Krimi-Geschmack, als recht konstruiert empfinden – oder eben als bizarres, schön-schauriges Finale (Drehbuch: Hendrik Hölzemann). Die Dialogszene zwischen Täter und dem potenziell nächsten Opfer ist grandios gespielt, zugleich grausig und schwarzhumorig, schwebt dabei bei der Täterfigur zwischen kalter Logik und schwelendem Wahnsinn. Ein gruseliges Schmankerl. Zugleich schlägt das Finale eine Brücke zum dritten „Tatort“der neuen Ermittler – die Traumata der Vergangenheit, die sie hinter sich lassen wollen, rücken noch einmal näher. Ein guter Cliffhanger.
Insgesamt lohnt sich „Der Herr des Waldes“, dieser extrem finstere Fall im sommerlich sonnigen Saarland, sehr. Am Drehbuch könnte man mäkeln, dass das Finale etwas zu spürbar konstruiert wirkt, auch in der Verbindung des Falls zur Vergangenheit der beiden Kommissare. (Aber die Wege im Saarland können eben kurz sein.) Andererseits wird aus dem Nebeneinander der Erzählstränge im Debüt nun ein Strang. Gut gespielt und spannend ist das Ganze, man muss sich freuen auf den dritten Fall – die Dreharbeiten sollen im Mai beginnen.
Sendetermin: Ostermontag, 5. April, 20.15 Uhr, ARD. Danach für sechs Monate in der Mediathek der ARD.