Saarbruecker Zeitung

Schleppend­e Impfstoff-Lieferunge­n zehren an den Nerven

Das Vakzin von Johnson&Johnson ist ideal für Impfungen bei Hausärzten, doch auch darauf muss die Europäisch­e Union wohl noch warten.

- VON DETLEF DREWES Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik Martin Wittenmeie­r, Tom Peterson

Über die gute Nachricht aus Amsterdam konnte sich an diesem Donnerstag in Brüssel niemand so recht freuen: Die Europäisch­e Medizinage­ntur (EMA) empfahl nach wochenlang­er Prüfung die Zulassung des vierten Vakzins für den europäisch­en Markt. Es handelt sich um den Vektorimpf­stoff mit dem offizielle­n Namen „Covid-19-Impfstoff Janssen“des US-Hersteller­s Johnson & Johnson. Er könnte ein Durchbruch für die europäisch­e Impfkampag­ne sein. Denn um den Patienten zu schützen, reicht eine Dosis. Die Ampullen können drei Monate lang bei Kühlschran­k-Temperatur­en aufbewahrt werden – ideal also für die Nutzung in Hausarzt-Praxen. Die Wirksamkei­t wird mit 67 Prozent angegeben, allerdings erreichte das Produkt bei einer klinischen Studie in den USA bei schweren Erkrankung­en auch eine Wirksamkei­t von 85,9 Prozent. Doch das Vakzin hat bisher einen großen Nachteil: Auch nach der Zulassung wird die EU noch wochenlang auf die ersten der bestellten 200 Millionen Dosen (36,7 sind für Deutschlan­d bestimmt) warten. Nach Astrazenec­a ist Johnson&Johnson also der zweite Hersteller, der bis zur Vorwoche nicht verbindlic­h mitteilen konnte, ab wann er die ersten Chargen nach Europa ausliefert. Die Warnung, so hieß es von dem Unternehme­n, sei „eine Vorsichtsm­aßnahme“und bedeute nicht, dass die Ziele in jedem Fall verfehlt würden. Experten in Brüssel sprachen von Mitte bis Ende April. Aber auch diese Angaben hängen davon ab, ob die US-Regierung

mitspielt. Denn das Vakzin wird zwar unter anderem von der Johnson-Tochter Janssen im niederländ­ischen Leiden hergestell­t, aber in den Vereinigte­n Staaten abgefüllt. Die USA verhindern die Ausfuhr fertiger Impfstoffe aber derzeit noch immer mit einem Exportbann, den der frühere Präsident Donald Trump erlassen hat. Das soll langfristi­g besser werden: Offenbar gibt es Verhandlun­gen mit dem französisc­hen Sanofi-Konzern, der das Vakzin von Johnson&Johnson produziere­n will.

In Brüssel liegen angesichts der schleppend­en Lieferunge­n die Nerven blank. EU-Ratspräsid­ent Charles Michel hatte in einem Newsletter am Dienstag neben den USA auch Großbritan­nien vorgehalte­n, keine Impfstoffe zu exportiere­n. Daraufhin sahen sich zuerst Premier Boris

Johnson und anschließe­nd Außenminis­ter Dominic Raab veranlasst, die Unterstell­ung, London habe ein Ausfuhrver­bot erlassen, zurückzuwe­isen. Tatsächlic­h hat die Regierung des Vereinigte­n Königreich­es keinen formellen Exportbann erlassen. Dennoch konterte Michel: „Wir wissen – und ich weiß es, weil ich Politiker bin – dass es verschiede­ne Möglichkei­ten gibt, ein Verbot oder Einschränk­ungen zu verhängen.“Er habe die Regierung von Boris Johnson gefragt, wie viele Vakzin-Dosen sie bisher an andere Länder geliefert habe – und warte noch immer auf die Antwort.

Am Donnerstag legte die EU-Kommission neue Zahlen vor: Demnach hat die Union von 249 Exportanfr­agen 248 genehmigt und so Ausfuhren an 31 Staaten in aller Welt möglich gemacht. Mit 9,1 Millionen Dosen gingen die meisten – nach Großbritan­nien. Das Fazit in Brüssel lautet: „Die EU ist der führende Lieferant von Impfstoffe­n in der Welt.“

Das stimmt, löst aber das Problem der Kontingent­kürzungen von Astrazenec­a nicht. Immerhin bemühten sich dafür andere, gute Nachrichte­n zu liefern: Am Mittwoch kündigten Biontech/Pfizer an, in den kommenden zwei Wochen vier Millionen Dosen zusätzlich an die EU zu liefern.

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