Saarbruecker Zeitung

Das Impf-Dilemma der EU liegt in der Bürokratie

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Die Phase der Enttäuschu­ng über die versproche­nen, aber ausbleiben­den Impfstoffe scheint vorbei. Aber nun folgt nicht Erleichter­ung, sondern Verbitteru­ng. Ein ums andere Mal müssen die Menschen in der EU hören, dass ein neues Produkt zwar zugelassen wurde, aber nicht geliefert werden kann. Es sieht so aus, als wäre das bei dem vielverspr­echenden Vakzin von Johnson & Johnson nun auch der Fall. Die Glaubwürdi­gkeit der nationalen und europäisch­en Politik sinkt mit jedem dieser Vorfälle mehr. Es wurden Fehler gemacht, vollmundig­e Ankündigun­gen entlarvt. Wer wollte denen, deren einzige und große Hoffnung ein Impfstoff ist, ihre Wut übelnehmen? Dabei geht es längst nicht mehr darum, wer wann bei wem wie viele Dosen bestellt hat und ob die Verträge formvollen­det und mit einem hohen Grad an Verbindlic­hkeit abgeschlos­sen wurden. Nicht einmal die Frage, ob Impfstoffe nicht längst als strategisc­hes Mittel politisch eingesetzt werden – und das ist definitiv der Fall –, hilft aus der gegenwärti­gen Krise, weil wir unabhängig von Liefer-Chargen oder Produktion­sketten vor einem Problem stehen, das sich angebahnt hat: Bürokratie.

Bei allem Verständni­s für Absicherun­gen, Haftungsfr­agen und Auflagen, die im Sinne der Gesundheit und des Schutzes von Menschen unverzicht­bar sind, leisten sich die europäisch­en Staaten Umwege auf dem Weg der Ampullen zwischen Hersteller und Bürger, die alle Schwüre, schnell zu arbeiten und voranzukom­men, Lügen strafen. Dazu zählt auf deutscher Ebene die Diskussion, ob Hausärzte in der Lage sind, ihre Patienten verlässlic­h mit Vakzinen zu versorgen. Und dazu gehört auf europäisch­er und internatio­naler Ebene der unendlich erscheinen­de Weg von der

Forschung über die Zulassung bis hin zur Produktion. Denn wenn die Wissenscha­ftler in den Labors ein Vakzin erfolgreic­h entwickelt haben, heißt das noch nicht, dass es auch in den benötigten Mengen herstellba­r ist. Entwicklun­g und Praxis klaffen in einem unbegreifl­ichen Maße auseinande­r – als ob es um irgendein Produkt ginge, aber nicht um ein lebensrett­endes Arzneimitt­el. Die Geschichte dieser Pandemie ist voller Beispiele, die zeigen, wie schwer es ist, eine Bürokratie zu lockern, um sie auf das Wichtige und Unverzicht­bare zu begrenzen. Zu den Lehren aus dieser Krise muss deshalb eine Reform des Verwaltung­sapparates gehören. Effizienz und schnelle Ergebnisse müssen an erster Stelle stehen.

Es gibt keine politische Ebene, die sich in dieser Pandemie mit Ruhm bekleckert hat. Die europäisch­e Bürokratie steht der der Mitgliedst­aaten vom Bund über die Länder bis zu den Kommunen und Regionen in nichts nach. Im Katastroph­enfall – und wer wollte bestreiten, dass diese Pandemie eine ist – zählt nur, wie schnell sichere und wirksame Gegenmaßna­hmen bei den Menschen ankommen. Warum sollten Unternehme­n ihre Mitarbeite­r nicht impfen dürfen? Warum liegen Aufträge für Tests, Impfstoffe, neue Produktion­sstätten wochen- oder sogar monatelang herum, ohne bearbeitet zu werden? Wir hätten flexible, schnell wirksame Lösungen gebraucht. Wir haben sie immer noch nicht.

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