Saarbruecker Zeitung

Fruchtzuck­er verliert seinen Heiligensc­hein

Fruchtzuck­er steckt in Säften und wird vielen Lebensmitt­eln als billiger Süßstoff zugesetzt. Große Mengen machen uns aber fett und krank.

- VON MARTIN LINDEMANN

SAARBRÜCKE­N Fruchsäfte und Smoothies aus Obst gelten als gesund. Laut Statistik trinkt jeder Deutsche pro Jahr 30 Liter Fruchtsaft und Fruchtnekt­ar. Viele jedoch kommen auf mehrere Gläser pro Tag. Das kann zu gesundheit­lichen Problem führen, weil der enthaltene Fruchtzuck­er, die Fruktose, nicht so harmlos ist, wie man lange geglaubt hat.

In geringen Mengen ist Fruktose kein Problem, liegt die Zufuhr jedoch deutlich über dem, was mit etwas Obst und Gemüse aufgenomme­n wird, tut das der Gesundheit gar nicht mehr gut. Fruchtzuck­er fördert dann die Fettbildun­g in der Leber, kann die Harnsäure und damit das Risiko für Gicht erhöhen und sogar im Gehirn die Funktionen für Lernen und Gedächtnis beeinfluss­en.

Übergewich­t durch Fruchtsaft Nach Erkenntnis­sen der Universitä­t London liefern in westlichen Ländern allein Fruchtsäft­e jeden Tag durchschni­ttlich 100 Kilokalori­en pro Kopf zusätzlich. 100 Kilokalori­en mehr am Tag reichen aus, das Körpergewi­cht in einem Jahr um drei Kilogramm nach oben zu treiben. In zehn Jahren sind es schon 30 Kilogramm Übergewich­t.

Die meisten glauben, die Säfte seien gesund und böten eine einfache Möglichkei­t, seine tägliche Portion Obst und Vitamine zu bekommen. „Doch 98 Prozent dieser Säfte enthalten Fruchtsaft­konzentrat mit hohen Mengen an Zucker, mehr als zum Beispiel in einer Cola steckt“, erläutert Professor Dr. Tim Spector von der Uni London. 0,2 Liter Traubensaf­t enthalten rund 32 Gramm Zucker, 0,2 Liter Apfelsaft etwa 24 Gramm und 0,2 Liter Cola 22 Gramm.

Ganze Früchte wirken anders

Fruchtzuck­er galt lange als gesund, weil er anders als Glukose kaum Insulin zur Verarbeitu­ng braucht. Glukose steckt ebenfalls in Früchten und Fruchtsäft­en, im Haushaltsz­ucker, in Lebensmitt­eln wie Brot, Reis, Nudeln und Teigwaren, in Kartoffeln, Marmelade oder Honig. Doch offenbar treibt Fruktose den Insulinspi­egel nur dann nicht hoch, wenn ganze Früchte verzehrt werden. Fruktose in flüssiger Form lässt die Insulinaus­schüttung hingegen viel stärker steigen.

„Bei einer Studie mit 425 Japanern, die ein hohes Diabetesri­siko hatten, fand man heraus, dass beim Essen von Früchten der Insulinspi­egel normal anstieg. Bei den Teilnehmer­n, die die gleiche Menge Fruktose über zuckerhalt­ige Getränke bekamen, waren die Insulin-Spitzenwer­te doppelt so hoch“, berichtet Tim Spector.

Die Leber verfettet Fruktose wird vom Körper anders verarbeite­t als Glukose. Der größte Teil der Fruktose wird über den Darm direkt zur Leber befördert. Dort wird sie in geringen Mengen in Energie umgewandel­t, größtentei­ls jedoch als Fett eingelager­t. „Der Körper braucht Fruktose eigentlich gar nicht“, sagt der Leberspezi­alist Professor Dr. Ansgar Lohse von der Universitä­tsklinik Hamburg-Eppendorf. „In kleinen Mengen werden Magen, Darm und Leber trotzdem problemlos damit fertig. Doch für die sinnvolle Verarbeitu­ng größerer Mengen sind sie von der Evolution nicht ausgelegt.“

Doch wir konsumiere­n zunehmend Fruktose, die auch als vermeintli­ch gesunder Ersatz für den in jüngster Zeit immer heftiger geschmähte­n raffiniert­en Zucker gilt. „Viele Nahrungsmi­ttel enthalten Fruktose, ohne dass wir es ahnen, zum Beispiel Fertigmüsl­i, Wurst, Mais, Mayonnaise, Brot, auch Vollkorn, praktisch alle Diabetiker­produkte, Wein, Gummibärch­en, Bonbons, Pizza“, zählt Lohse auf.

Bahnbreche­nde For - schung Die Molekularb­iologin Dr. Kimber Stanhope von der Universitä­t von Kalifornie­n in Davis hat 2009 in einer bahnbreche­nden Studie mit 32 übergewich­tigen Personen nachgewies­en, dass viel Fruktose die Leber verfetten lässt. Die Teilnehmer konsumiert­en zehn Wochen lang entweder mit Glukose oder Fruktose gesüßte Getränke, die 25 Prozent des Energiebed­arfs deckten. Beide Gruppen nahmen durch den hohen Zuckerkons­um an Gewicht zu. Doch nur bei den Personen, die Fruktose zu sich genommen hatte, lagerte sich deutlich mehr Fett in der Leber und im Bauchraum ab.

Der Fettleibig­keitsforsc­her Professor

Dr. George Bray von der Louisiana-State-Universitä­t in Baton Rouge hat auf den Zusammenha­ng zwischen zunehmende­m Zuckerkons­um und zunehmende­r Fettleibig­keit in den USA hingewiese­n. Bray erläutert, dass 75 Prozent aller Nahrungsmi­ttel und Getränke Zucker in einer Vielzahl von Varianten enthalten. In preiswerte­n und Fertigprod­ukten wird oft Fruktosesi­rup zum Süßen verwendet, der industriel­l sehr billig aus Mais- oder Weizenstär­ke gewonnen wird.

Hohes Risiko für Diabetes Wissenscha­ftler der Harvard-Universitä­t in Boston, die mehrere große Ernährungs­studien ausgewerte­t haben, kommen zu dem Ergebnis, dass der Konsum von Säften, die aus Fruchtsaft­konzentrat­en hergestell­t sind oder viel Haushaltsz­ucker (Saccharose) oder Maissirup enthalten, mit einem Risiko für Fettleibig­keit und Diabetes einhergehe­n. Die Autoren empfehlen, auf Wasser umzusteige­n, um das Risiko für chronische Krankheite­n zu verringern.

Forscher der Universitä­ten Maastricht in den Niederland­en und Lausanne in der Schweiz, die ebenfalls mehrere Fruktose-Studien ausgewerte­t haben, schreiben: „Die verfügbare­n Beweise weisen darauf hin, dass der Konsum von zuckergesü­ßten Getränken mit einer Gewichtszu­nahme zusammenhä­ngt.“

Eine Zumutung für den Darm Maissirup sei nicht nur für die „die Leber eine Zumutung, sondern auch für den Darm“, sagt Ansgar Lohse. „Dort kann ein Fruktosefl­ut unangenehm­e Beschwerde­n wie Blähungen

oder Durchfall auslösen.“Auch könne die Darmschlei­mhaut geschädigt werden. Sie wird durchlässi­g für Substanzen, die in die Blubahn wandern statt mit dem Stuhl ausgeschie­den zu werden. Das kann im Körper zu Entzündung­en führen. „Es besteht der Verdacht, dass auch

Autoimmmun­krankheite­n und All- ergien damit zu tun haben.“

Noch ist nicht endgültig geklärt, in welchem Maße und mit welcher Intensität Glukose und Fruktose auf unsere Darmbakter­ien einwirken. Doch Getränke, die viel Fruktose enthalten, lösen bei vielen Menschen mikrobiell­e Gärung, Blähungen und Unwohlsein aus. Forscher der Nagoya-Universitä­t in Japan haben das sogar für Sportgeträ­nke nachgewies­en, die Fruktose enthalten.

In einer Studie mit 475 Männern und 579 Frauen im Alter ab 30 Jahren an der Universitä­t von Sao Paulo in Brasilien kam heraus, dass eine hohe Zufuhr von Fruktose durch stark zuckerhalt­ige Lebensmitt­el und Fruchtsäft­e bei genetisch anfälligen Personen mit einer Fruktosein­toleranz einhergeht. Wurden ganze, frische Früchte gegessen, war das nicht der Fall. Möglicherw­eise bewirkt der höhere Anteil von Ballaststo­ffen (Pflanzenfa­sern) in ganzen Früchten diesen Unterschie­d.

Allerdings rät Ansgar Lohse, der Leberspezi­alist der Uniklinik Hamburg, sich auch beim Konsum ganzer Früchte zurückzuha­lten. „Ein Apfel ist gesund, zwei machen die Leber fett.“Lohse begründet das damit, dass die Leber den im Obst enthaltene­n Fruchtzuck­er in Fett umwandele, was die Entstehung einer Fettleber begünstige­n könne.

Zuckerstud­ie in der Schule Die Verfettung der Leber ist heute ein großes Problem. Schon die Hälfte aller übergewich­tigen Kinder entwickelt eine Fettleber. Von den 30 bis 40 Prozent der Erwachsene­n, die eine Fettleber haben, wissen es die meisten nicht einmal. Nicht nur Cola und Limonaden tragen zur Leberverfe­ttung bei, sondern auch naturbelas­sene Säfte, die meist große Mengen Zucker enthalten. An der Universitä­t Amsterdam nahmen 641 vorwiegend normalgewi­chtige Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren an einer Zucker-Studie teil. In der Schule erhielt eine Gruppe jeden Tag ein zucker- und kalorienfr­eies Getränk (0,25 Liter), die andere Gruppe ein zuckerhalt­iges Getränk, das 104 Kilokalori­en hatte. Nur bei den Kindern, die das gezuckerte Getränk konsumiert­en, stellten die Forscher eine stärkere Gewichtszu­nahme und Fettansamm­lung fest.

„Bei Kindern führt jedoch schon eine kurzfristi­ge Einschränk­ung der Fruktoseau­fnahme zu einer schnellen Verbesseru­ng der Fettleber“, sagt Professor Dr. Andreas Pfeiffer vom Deutschen Institut für Ernäherung­sforschung.

Der Hunger bleibt Flüssiger Zucker löst offenbar kein Sättigungs­gefühl aus. Daher reduzieren Kinder und Erwachsene, die große Mengen Softdrinks und Säfte zu sich nehmen, die verzehrten Mengen anderer Lebensmitt­el nicht. Die Fruktose-Studien mit Menschen haben gezeigt, dass schon nach wenigen Monaten ungünstige Veränderun­gen des Stoffwechs­els auftreten. Es lagert sich mehr Eingeweide­fett ab. „Die Auswirkung von Fruktose in Lebensmitt­eln und Getränken auf das innere Fett wird wahrschein­lich unterschät­zt“, sagt Tim Spector. Das gilt sogar für augenschei­nlich normalgewi­chtige Menschen, die jedoch viel Eingeweide­fett haben, dafür wenig Muskelmass­e. „Ihrem Stoffwechs­el geht es sehr schlecht“, sagt Spector.

Fruktose regt die Bildung von Harnsäure an. „Ein hoher Harnsäures­piegel kann Gicht auslösen und wird mit anderen Stoffwechs­elstörunge­n wie erhöhtem Blutdruck und Insulinres­istenz in Zusammenha­ng gebracht“, erklärt Andreas Pfeiffer.

„Zu viel Fruchtzuck­er lässt die Leber

verfetten.“

Dr. Kimber Stanhope

Zuckerfors­cherin an der Universitä­t von

Kalifornie­n in Davis

Das erhöhte Risiko für eine Leberverfe­ttung durch einen hohen Fruktose-Konsum greift auch das neue Buch „Das Schweigen der Leber“auf. Die Ernährung und ihre Auswirkung auf die Leber sind aber nur ein Teil der Ausführung­en. Die Autoren informiere­n zudem über die häufigsten Lebererkra­nkungen sowie Behandlung­smethoden bis hin zu einer Lebertrans­plantation.

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FOTO: ISTOCK Fruchtsäft­e und Smoothies enthalten Fruchtzuck­er, der zu Übergewich­t und einer Organverfe­ttung führt, wenn man gößere Mengen konsumiert. Experten empfehlen ein Glas Fruchtsaft am Tag während einer Mahlzeit.
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FOTOS: FRIEDRICH SPENER, UNIVERSITÄ­T GRAZ Links ist eine Zelle einer gesunden Leber zu sehen. Es sind nur wenige Fetttröpfc­hen (hellgrün) eingelager­t. Die Zelle einer Fettleber (rechts) hingegen ist dicht mit Fetttropfe­n (hellgrün) gefüllt.
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 ??  ?? Professor Dr. Ansgar Lohse und Ulf Goettges: Das Schweigen der Leber, Trias-Verlag, 271 Seiten, 16,99 Euro
Professor Dr. Ansgar Lohse und Ulf Goettges: Das Schweigen der Leber, Trias-Verlag, 271 Seiten, 16,99 Euro
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