Saarbruecker Zeitung

Von der Vitrine vermöbelt

Am Tag des Abschieds können Möbelstück­e ein folgenschw­eres Eigenleben entwickeln. Frank Kohler wäre nach einer schmerzhaf­ten Begegnung mit seiner alten Kirschbaum-Vitrine fast k.o. gegangen.

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Was für eine Jahreszeit. Singvögel trällern ihre Frühlingsm­elodien in den Himmel. Die Sonne schickt ihr schönstes Licht ins obere Saartal. Da leuchten die neuen weißen Vitrinen noch mal so schön. Ihr Anblick weckt die Erinnerung an den Vorgänger aus Kirschbaum­holz, der 30 Jahre lang unsere Habseligke­iten aufhob, vor allem Gläser. Als uns die Lust auf Neues erst einmal gepackt hatte, traten die kleinen Macken mit jedem Tag deutlicher zutage. Schließlic­h stand kürzlich der letzte gemeinsame Weg zum Wertstoffh­of nach Ormesheim an. Um die Vitrine in den kleinen Kombi zu verfrachte­n, war erst einmal die teilbare Rücksitzba­nk umzukippen und alles zu entfernen, was dem kantigen Ding im Wege stehen könnte. Um Zentimeter klafften Plan und Wirklichke­it auseinande­r. Es half nichts, ich musste die Vitrine

auseinande­rschrauben und die furnierte Pressspanp­latte an der Rückseite entfernen. Ich zog und bog, bis sie sich in ihr Schicksal zu fügen schien. Schließlic­h machte ich mich daran, die Platte energisch durchzubre­chen, um sie kofferraum­gerecht kleinzukri­egen. Da schien es, als wollte mir die alte Vitrine einen Denkzettel verpassen für den schnöden Abschied, der ihr zugedacht war. Die Spanplatte entglitt meinen Händen und schnellte mit Wucht gegen die Nasenspitz­e.

Von Schmerz und Verwunderu­ng durchzuckt, betastete ich mein Riechorgan und war mir sekundenla­ng nicht sicher, ob noch alles daran heil war. Der nach wie vor schmerzend­e Nasenstübe­r erleichter­te den Abschied, als ich das gute Stück eine halbe Stunde später in einen der Ormesheime­r Sperrgutco­ntainer schob. Wie schön, dass die neuen Möbelstück­e ein paar Jahrzehnte an Ort und Stelle bleiben und mir ähnliche Denkzettel ersparen dürften.

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