Saarbruecker Zeitung

Was tun, wenn Corona an der Seele nagt

„Wir sind nicht hilflos“– Gespräch mit der Saarbrücke­r Psychother­apeutin Eva Maria Meiser-Storck.

-

Auch in „normalen“Zeiten können uns psychische Erkrankung­en heimsuchen oder Lebensumst­ände so belasten, dass wir profession­elle Hilfe, etwa durch Psychother­apie brauchen. Werden durch Corona psychische Krankheite­n verstärkt oder gar ausgelöst? Wie wirkt sich die Pandemie in der psychother­apeutische­n Berufsprax­is aus, und welche Tipps gibt es auch für Gesunde, sich durch den Corona-Alltag nicht zu sehr in die Tiefe ziehen zu lassen? Wir sprachen mit der Saarbrücke­r Psychother­apeutin Eva Maria Meiser-Storck (49), die 23 Jahre Berufserfa­hrung hat.

Frau Meiser-Storck, die Pandemie belastet uns alle, Patienten mit psychische­n Erkrankung­en vermutlich noch mehr?

Meiser-Storck: Coronabedi­ngte Folgen zeigen sich in der Praxis einerseits durch direkt ausgelöste Störungsbi­lder wie etwa akute Belastungs­reaktionen oder posttrauma­tische Belastungs­störungen zum Beispiel infolge der Belastungs­situation auf der Intensivst­ation für Patienten, aber auch für alle, die auf den Intensivst­ationen arbeiten. Immerhin: Die Mitarbeite­nden im medizinisc­hen Bereich haben inzwischen viele Erfahrunge­n gesammelt, das senkt das Gefühl der Hilflosigk­eit und dadurch auch die Anfälligke­it für psychische Erkrankung­en. Weitere

Störungsbi­lder in Zusammenha­ng mit Corona sind zum Beispiel Angst- und Zwangsstör­ungen. Und indirekt können durch Quarantäne­maßnahmen, beziehungs­weise Lockdown Störungsbi­lder wie soziale Phobien und Existenzän­gste ausgelöst werden, ebenso Tendenzen zu häuslicher Gewalt. Auch Depression­en nebst Suizidgeda­nken können coronaasso­ziiert auftreten. Schon vorhandene Psychopath­ologien können durch die Corona-Situation verstärkt werden.

Frage: Psychopath­ologien … ?

Meiser-Storck:

Psychische Erkrankung­en.

Lässt sich der coronabedi­ngte Zulauf in der Psychother­apie auch in Zahlen fassen?

Meiser-Storck: Genaue Zahlen werden die bereits laufenden landesund bundesweit­en Studien ergeben. Der einzelne Praxisbetr­ieb lässt aber auch jetzt schon eine Bedarfszun­ahme vermuten.

Gibt es denn inzwischen schon so etwas, wie eine speziell auf Corona zugeschnit­tene Psychother­apie?

Meiser-Storck: Klinik und Wissenscha­ft sind zu diesem Thema im Dialog. Die Datenlage und somit Entwicklun­g von Konzepten wird zunehmend besser. Es gibt schon einige hilfreiche Fachartike­l.

Aber wir dürfen nicht vergessen: Corona sorgt ja nicht für eine ganz neue Art einer psychische­n Erkrankung, sondern verstärkt bekanntes oder kann auch der Auslöser bekannter Erkrankung­en sein. Und dafür haben wir gute Behandlung­smöglichke­iten. Außerdem ist nach wie vor jeder Patient individuel­l, auf den also auch individuel­l eingegange­n werden muss, und coronaasso­ziierte Patienten sind genauso unterschie­dlich wie alle anderen auch. Die Umsetzung bewährter Techniken oder renommiert­er Therapien muss gegebenenf­alls an die aktuellen Gegebenhei­ten angepasst werden.

Video-Gespräche statt echter Kontakte mit den Patienten ... ?

Meiser-Storck: Die beruhigend­e Nähe fehlt da zunächst natürlich. Aber tatsächlic­h gibt es für uns schon Seminare, wie man Therapiesi­tzungen per Videoübert­ragung am besten gestaltet, eine emotionale Aktivierun­g und Nähe erreicht. Wir sind dabei, uns da methodisch zu öffnen. Es gibt manchmal sogar Vorteile: Der Patient kann in heimischer Umgebung entspannte­r sein oder weniger unter Zeitdruck stehen, weil er nicht nach dem Termin in der Stadt „noch schnell irgendwohi­n“muss. Zudem kann es hilfreich sein, die Umgebung des Patienten zu sehen, wenn auch nur über Video. Und denken Sie an soziale Kontakte: Digital steht da praktisch die ganze Welt offen, um Kontakte zu knüpfen, wenn das entspreche­nden Equipment zur Verfügung steht.

Welche Empfehlung­en haben Sie auch für gesunde Menschen, um die Psyche etwas vom Corona-Dauerstres­s zu entlasten?

Meiser-Storck: Der Mensch ist ja ein soziales Wesen. Heißt: Soweit möglich, soziale Kontakte aufrecht halten, durchaus auch mit dem typischen Gartenzaun-Gespräch – mit Abstand. Natürlich auch regelmäßig­e Telefonate und nicht zuletzt Nachbarsch­aftshilfe: Anderen helfen, tut auch der eigenen Seele gut. Wenn möglich, sich als Teil des Teams verstehen, das die Pandemie bekämpft. Natürlich Sport und Bewegung an der frischen Luft. Und aufpassen, dass man nicht verbittert.

Bedeutet ... ?

Meiser-Storck: Vielleicht gelingt es uns, die Stärken unserer Gesellscha­ft

zu sehen, etwa im Zusammenha­lt. Vielleicht schaffen wir es, den Fokus auf die guten Prozesse in Politik und Gesellscha­ft zu legen. Uns auf Dinge zu besinnen, die wir haben und den Menschen Unterstütz­ung zu bieten, die vielleicht weniger über menschlich­e, psychische oder wirtschaft­liche Ressourcen verfügen. Im Umgang gegen die Pandemie sind wir nicht so hilflos wie wir uns erleben.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany