Löw macht Platz für eine „Explosion“
Der Fußball-Bundestrainer erklärt seine Beweggründe zu seinem vorzeitigen Rücktritt nach der EM 2021.
(sid) Joachim Löw schlenderte entspannt im dunklen Dreiviertelmantel und mit schwerer Aktentasche in die DFB-Zentrale. Dort stellte der Noch-Bundestrainer seinem noch unbekannten Erben in einem kämpferischen Auftritt gleich die größte Aufgabe: Mister X soll bitteschön bei der Heim-EM 2024 „für eine Explosion“sorgen. Am liebsten als Verteidiger des Titels, den er selbst als letzte Amtshandlung in diesem Sommer holen will.
„Ab heute gilt meine volle Konzentration der EM. Wir wollen das Maximale erreichen“, sagte Löw am Donnerstag auf der ersten Pressekonferenz nach seinem angekündigten Rückzug, für dieses letzte große Ziel werde er „alles mobilisieren, alle Kräfte freisetzen“. Seine verjüngte Nationalmannschaft werde aber erst 2024 „ihren Leistungszenit erleben“. Dann, sagte Löw, solle ein Sommermärchen 2.0 her. Wie die WM 2006 könne die EM „unheimlich viel bewirken für unsere Gesellschaft, für alle Menschen in unserem Land“.
Dies sei der Leitgedanke seiner Entscheidung zum Ausstieg gewesen. Sein Nachfolger, der nach dem Willen des DFB-Präsidenten Fritz Keller „eine neue Ära“prägen soll, brauche „ein bisschen Zeit“, betonte der 61-Jährige, „es soll auf keinen Fall daran scheitern, dass der Trainer an seinem Stuhl klebt. Das ist jetzt die Zeit der Erneuerung, der Veränderung und der Bewegung.“
Nur: Wer soll die DFB-Auswahl nach 15 Jahren unter Weltmeister-Trainer Löw erneuern? „Es gibt keine Denkverbote, alles ist möglich“, sagte Keller, und: „Wir haben alle Zeit der Welt.“Den Auftrag zur Trainersuche hat DFB-Direktor Oliver Bierhoff erhalten. Die Nachricht von Löws Abschied habe ihn „nicht wie ein Blitz getroffen“, sagte er wenig überraschend, „ich war in den letzten Monaten nicht tatenlos“. Kandidaten-Namen wollte Bierhoff aber nicht kommentieren. „Dafür haben wir die Experten“, sagte er schnippisch. Könnte es auch eine Frau sein? Bierhoff schmunzelte und sagte: „Ich würde nie etwas ausschließen.“
Löw hielt ein kurzes Plädoyer für Hansi Flick („Jeder kennt seine Qualitäten“), will sich in die Suche aber nicht einmischen. Sein früherer Assistent gilt bei vielen nach der Absage von Jürgen Klopp als bestmöglicher Kandidat. Bierhoff aber betonte, der DFB werde „nicht in bestehende Verträge eingreifen“–
Flick ist bis 2023 an den FC Bayern gebunden, dessen Vorstands-Chef Karl-Heinz Rummenigge sich schon vehement gegen mögliche Abwerbeversuche gewehrt hat.
Möglich scheint weiterhin eine interne Lösung mit U21-Trainer Stefan Kuntz und/oder Löws Assistent Marcus Sorg. Letzterer habe einen Vertrag bis 2024 sowie „hohe Kompetenz und Stärke“, betonte Bierhoff. Oder kommt doch der vereinslose „Revoluzzer“Ralf Rangnick, der sein Interesse offensiv signalisiert und in Klopp sowie Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus prominente Fürsprecher hat? „Es ist eine Stelle, die keinen Trainer in Deutschland kalt lässt“, sagte der frühere Leipzig-Architekt bei Sky. Eine weitere wichtige Anforderung würde der 62-Jährige erfüllen: Der neue Mann soll laut Bierhoff möglichst Deutscher sein. Einen konkreten Zeitplan für die Suche wollte er nicht nennen.
Zunächst, das machten Löw, Keller und Bierhoff klar, liege der Fokus auf der EM im Sommer. Löws Abschied werde der DFB-Auswahl „einen Kick geben“, behauptete Keller, der den scheidenden Freiburger als „Welttrainer“würdigte.
Löw selbst versprüht großen Hunger auf sein letztes Hurra: „Turniere habe ich immer über alles geliebt.“Und auch in seinem Team spüre er „die Energie“, die Mannschaft habe „sehr große Qualität“. Ob er sie durch einen der ausgebooteten Weltmeister wie Thomas Müller oder Mats Hummels ergänzen wird, will Löw – wie bereits kommuniziert – erst im Mai entscheiden.
Sein Entschluss zum vorzeitigen Ende sei nach „tagelangem“Überlegen vor zwei, drei Wochen gefallen, berichtete Löw. Jetzt sei „der richtige Zeitpunkt, den Stab an einen anderen Trainer weiterzugeben“. Die „große Laudatio“für Löw will Keller erst nach der EM halten. Am liebsten mit Pokal. „Jogi zu feiern“, sagte Bierhoff bewegt, „da wird ein Abend oder eine Grußrede nicht reichen.“