Stärkster Einbruch des Konsums seit 50 Jahren
Im vergangenen Jahr haben die Menschen in Deutschland so wenig Geld ausgegeben wie zuletzt 1970. Stattdessen wurde mehr gespart.
Die Deutschen haben im vergangenen Jahr so wenig Geld für Kleidung, Schuhe, neue Autos und Co. ausgegeben wie seit 50 Jahren nicht mehr. Erst die kurzzeitige Senkung der Mehrwertsteuer im zweiten Halbjahr sorgte für Anreize.
gestützt und zur schnellen Erholung beigetragen.
Bereinigt um die Preisentwicklung betrug das Minus zum Vorjahr sogar fünf Prozent. Die Gründe für die Einbußen liegen auf der Hand: In der Pandemie waren viele Geschäfte über Monate geschlossen, Urlaube wurden abgesagt, und etliche Dienstleistungen insbesondere rund um die Mobilität waren kaum gefragt. Es gab für die Menschen schlicht weniger Möglichkeiten, ihr Geld auszugeben.
Die Menschen hätten das Geld auf die hohe Kante gelegt, sagt der Chef-Volkswirt der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch, Thomas Mayer. Das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte sei unter anderem wegen des Kurzarbeitergelds sogar noch etwas gestiegen. Laut Statistischem Bundesamt explodierte die Sparquote um 50,3 Prozent auf knapp 16 Prozent des verfügbaren Einkommens.
Ökonom Mayer erwartet in der Folge einen Nachfrage- und Preisschub mit entsprechender Inflationsgefahr. „Wenn die Pandemie schließlich abebbt, werden die Geldersparnisse in den Konsum fließen. Mit den Konsumausgaben dürften auch die Preise steigen“, sagt er. „Höhere Inflation könnte dann die Lohnrunde 2022 beeinflussen, und es könnte zu einer Preis-Lohn-PreisSpirale kommen, wie wir sie zuletzt in den 1970er-Jahren gesehen haben.“Mayer zweifelt daran, dass die Europäische Zentralbank in diesem Fall wirkungsvoll gegenhalten könnte, etwa mit dem Verkauf ihrer Anleihen oder höheren Leitzinsen.
Deutlich ist an den Statistiken abzulesen, welche Branchen besonders heftig unter den Lockdown-Maßnahmen im Frühjahr und ab November 2020 gelitten haben. So gaben die Menschen im vergangenen Jahr 33,2 Prozent weniger für Hotel- und Gaststättenbesuche aus. Auch für Bahn-, Flugzeugund ÖPNV-Tickets sanken die Ausgaben um ein gutes Drittel. In den Innenstädten litten vor allem die Händler von Schuhen und Bekleidung unter einem Rückgang von 14,5 Prozent der Ausgaben.
Für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke gaben die Menschen dagegen mehr Geld aus, weil sie einfach häufiger zu Hause waren. Im Gesamtjahr stieg dieser Posten um 6,3 Prozent. Mit einem Anstieg um drei Prozent für alkoholische Getränke hielt sich hingegen der befürchtete „Corona-Suff“bei gleichzeitig über Monate geschlossenen Bars und Kneipen noch in Grenzen.
Im zweiten Halbjahr wuchs laut Statistik die Bereitschaft der Bürger für langfristige Anschaffungen. Dazu zählen beispielsweise Autos, Möbel oder größere Elektrogeräte. Nach einem Rückgang um 8,5 Prozent in der ersten Jahreshälfte für langfristige Gebrauchsgüter wurden im zweiten Halbjahr 7,8 Prozent mehr ausgegeben als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Hier dürfte auch die vorübergehende Absenkung der Mehrwertsteuer in der zweiten Jahreshälfte eine Rolle gespielt haben, vermuten die Statistiker. Allerdings fiel der Schub deutlich schwächer aus als im Jahr 2009, als mit einer Abwrackprämie besonders der Autokauf angeheizt wurde.
Der Online-Handel habe die Schließung der lokalen Geschäfte nicht vollständig ausgleichen können, sagt der Chef-Volkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer. Er verweist auf die Verantwortlichkeit der Politik: „Die Zahlen der Wiesbadener Statistiker machen noch einmal klar, dass die deutsche Konjunktur mit der Lockerung der Corona-Beschränkungen steht und fällt. Es wird darauf ankommen, wie die Politiker aus Bund und Ländern die zuletzt gestiegenen Infektionszahlen interpretieren.“