Herber Rückschlag beim Impfen – Astrazeneca-Stopp auch im Saarland
Nach Meldungen über Thrombosen bei Geimpften zieht die Bundesregierung das Vakzin vorerst aus dem Verkehr. Mehr als 24 000 Saarländer haben das Mittel bereits bekommen.
SAARBRÜCKEN (ine/dpa/aie/kir) Deutschland setzt die Corona-Impfungen mit dem Präparat von Astrazeneca vorerst aus. Die Entscheidung sei eine „reine Vorsichtsmaßnahme“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Das Saarland und die meisten anderen Bundesländer stellten die Impfungen mit Astrazeneca sofort ein. Auch andere EU-Staaten wie Frankreich stoppten das Präparat.
Spahn erläuterte, die Entscheidung gehe auf sieben Fälle zurück, bei denen Thrombosen der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung stünden. „Es ist sehr selten aufgetreten“, sagte er und wies darauf hin, dass hierzulande mittlerweile über 1,6 Millionen Impfungen mit Astrazeneca verabreicht wurden. „Es geht um ein sehr geringes Risiko
– aber, falls es tatsächlich im Zusammenhang mit der Impfung stehen sollte, um ein überdurchschnittliches Risiko.“Nach SZ-Informationen
soll unter den sieben Fällen auch eine Frau Anfang 60 sein, die nach ihrer Impfung am 3. März aktuell im Winterberg-Klinikum Saarbrücken behandelt wird. Das Klinikum wollte aus Datenschutzgründen keine Angaben machen; man stehe aber mit den Behörden im engen Austausch.
Den vorläufigen Stopp empfohlen hatte das zuständige Paul-Ehrlich-Institut. Bei der Analyse neuer Daten sehe man eine auffällige Häufung einer speziellen Form von sehr seltenen Thrombosen in Hirnvenen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen und Blutungen in zeitlicher Nähe zu Impfungen mit Astrazeneca. Die Daten würden von der Europäischen Arzneimittelagentur weiter analysiert und bewertet.
Der Astrazeneca-Impfstoff macht im Saarland 29 Prozent der bereits gelieferten und bis Ende März erwarteten Impfdosen aus. Mehr als 24 000 Saarländer haben ihre Erstimpfung mit Astrazeneca schon erhalten, darunter Ärzte, Pflegekräfte und Heimmitarbeiter. Gedacht war der Impfstoff auch für Lehrer, Erzieher und Polizisten. Die Zweitimpfung mit Astrazeneca
hat noch niemand erhalten. „Wir gehen sehr sorgfältig mit der Situation um“, sagte Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU). Am Abend gab das Ministerium bekannt, dass zumindest in dieser Woche alle Impftermine in den Impfzentren aufrecht erhalten bleiben. Statt Astrazeneca sollten dann Biontech und Moderna verimpft werden. Am Freitag wollen Bund und Länder das weitere Vorgehen beraten.
SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach kritisierte, der ImpfStopp schaffe große Verunsicherung. Der Homburger Virologe Jürgen Rissland betonte, es handele sich lediglich um ein vorsorgliches Aussetzen, damit sei noch kein Urteil über den Impfstoff gefällt.
BERLIN/SAARBRÜCKEN (SZ/dpa) Die Entscheidung platzte mitten hinein in einen laufenden Impftag. Das war auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) klar, wie er am Montag in Berlin sagte. Deutschland setzt jetzt wie schon einige andere europäische Länder den Corona-Impfstoff von Astrazeneca vorerst nicht mehr ein. Als „reine Vorsichtsmaßnahme“, um Auffälligkeiten in seltenen Fällen wissenschaftlich zu überprüfen, wie Spahn deutlich machte.
Man folge damit einer aktuellen Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), sagte Spahn. Hintergrund sind Meldungen über Thrombosen (Blutgerinnseln) in Hirnvenen, die bei einzelnen Geimpften aufgetreten sind. Das PEI, das für die Überwachung der Impfstoffe zuständig ist, halte nach Meldungen von Thrombosen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung weitere Untersuchungen für notwendig, so Spahn.
Die meisten Bundesländer kündigten am Montag an, die Impfungen mit Astrazeneca unverzüglich einzustellen – so auch das Saarland. „Ab sofort und bis auf weiteres sind alle Impfungen mit dem Astrazeneca-Impfstoff im Saarland vorsorglich ausgesetzt“, sagte Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU).
Seit Freitag haben bereits mehrere Länder, darunter Dänemark, die Niederlande, Irland, Dänemark, Norwegen und Island, die Verimpfung von
Astrazeneca gestoppt. Italien und Österreich setzten zunächst die Verwendung von bestimmten Chargen aus. Die Europäische Arzneiagentur (Ema) sah bislang noch keine Hinweise darauf, dass die Blutgerinnsel durch die Impfung verursacht wurden. Sie hatte noch am Freitag erklärt, dass die Anzahl der Thrombose-Fälle bei geimpften Personen nicht höher sei als in der Allgemeinbevölkerung.
Auch Spahn verwies am Montag auf die Relationen: In Deutschland habe es bislang 1,6 Millionen Impfungen mit Astrazeneca gegeben. Bei sieben Geimpften sei es zu Thrombosen gekommen. Nun sollen die Experten klären, ob es dafür einen ursächlichen Zusammenhang gibt oder die Thrombosen nur zufällig nach der Impfung aufgetreten sind. Der Gesundheitsminister bat Bürger, die vier Tage nach einer Impfung mit Astrazeneca starke Kopfschmerzen haben, unverzüglich einen Arzt aufsuchen sollen. Er ließ offen, was mit Menschen wird, die bereits eine erst Impfung haben und deren zweite Impfung noch aussteht. „Das Ergebnis der Prüfung ist offen, es besteht eine gute Möglichkeit, dass die Impfung mit Astrazeneca auch weiterhin möglich ist.“
Astrazeneca spielt in der Impfstrategie der Bundesregierung eine große Rolle – die Entscheidung von Montag ist insofern ein großer Rückschlag. 56 Millionen Dosen hat sich Deutschland gesichert, drei Millionen wurden bereits geliefert. Der Impfstoff des britischen Herstellers hat den Vorteil, dass er bei Kühlschranktemperaturen gelagert werden kann. Daher war er auch für den Einsatz in Arztpraxen und Unternehmen vorgesehen. Spahn wollte sich nicht dazu äußern, welche Folgen ein dauerhafter Ausfall von Astrazeneca haben könnte. Jetzt müsse man die Prüfung der Experten abwarten. Er hoffe, dass die Ema noch in dieser Woche zu einem Ergebnis komme.
Asztrazeneca steht schon seit längerem immer wieder in der Kritik (siehe Text unten). Auf die Frage, ob das Vertrauen in Astrazeneca überhaupt zurückkehren könne, sagte Spahn: „Wichtig ist Transparenz und schnelle Kommunikation.“
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kritisiert die Aussetzung: „Ich halte es für einen großen Fehler, jetzt die Impfungen mit Astrazeneca auszusetzen. Das schafft nur große Verunsicherung und Misstrauen in einer Situation, in der es auf jede Impfung ankommt“, sagte er unserer Redaktion. „Besser wäre eine Prüfung bei laufenden Impfungen.
Ich kenne keine Analysen, die ein Aussetzen rechtfertigen würden“, so Lauterbach. „Das Risiko einer Thrombose liegt in der Größenordnung von eins zu 100 000 oder weniger und scheint im Vergleich zu Ungeimpften nicht erhöht zu sein.“
Dennoch zogen am Montag weitere Länder nach: Italien stoppte inzwischen gänzlich die Impfungen mit Astrazeneca. Frankreich vollzog ebenfalls einen vorläufigen Stopp bis zur erwarteten Ema-Einschätzung – auch hier eine reine „Vorsichtsmaßnahme“, wie Präsident Emmanuel Macron betonte.
Großbritannien nutzt den Impfstoff dagegen weiter. „Wir prüfen die Berichte genau, aber angesichts der großen Anzahl verabreichter Dosen und der Häufigkeit, mit der Blutgerinnsel auf natürliche Weise auftreten können, deuten die verfügbaren Beweise nicht darauf hin, dass der Impfstoff die Ursache ist“, teilte die britische Aufsichtsbehörde für Arzneimittel mit. Auch Tschechien und Polen halten an dem Impfstoff fest.
Astrazeneca selbst hatte nach einer Analyse von Impfdaten Zweifel die Sicherheit zurückgewiesen. Sicherheitsdaten von mehr als 17 Millionen Geimpften in der EU und Großbritannien hätten keine Belege für ein höheres Risiko für Lungenembolien, tiefen Venenthrombosen und Thrombozytopenie geliefert, so der Konzern am Sonntag in London.