Die Grünen sind ein künftiger Machtfaktor im Bund
Sie scharren schon lange mit den Hufen. Und der jüngste Wahlsonntag hat nachdrücklich gezeigt, dass ihr kollektiver Traum der Realität immer näher kommt: Ohne die Grünen ist im Herbst mit größter Wahrscheinlichkeit keine neue Regierungsbildung im Bund möglich. Die Neuauflage einer Großen Koalition wird die SPD nämlich strikt ablehnen. Nach 16 Jahren Verbannung auf die Oppositionsbänke hat die Partei wieder eine reale Machtoption, ran an die politischen Schalthebel, rein vielleicht sogar in die Chefetage des Kanzleramtes. Sind die Grünen darauf vorbereitet?
Der Co-Vorsitzende Robert Habeck kokettierte am Tag danach immer noch mit dem Begriff des „Underdogs“für seine Partei. Aber das zieht nicht mehr. Wer wie in Baden-Württemberg fast 33 Prozent auf die Waage bringt, der ist die längste Zeit in der Robin-Hood-Rolle gewesen. Der spielt in der Liga der Volksparteien mit. Sicher, das phänomenale Ergebnis der Südwest-Grünen verdankt sich einem überaus beliebten Landesvater, der häufig genug auch gegen den grünen Strom schwimmt. Trotzdem muss sich die Partei an diesem Ergebnis auch bundesweit messen lassen.
Mindestens drei Umstände kommen ihr dabei zugute. Erstens: Habeck und seine Co-Chefin Annalena Baerbock arbeiten schon länger daran, die Grünen breiter aufzustellen, den ökologischen Markenkern um andere wichtige Kompetenzfelder zu erweitern. Zweitens: Was die persönliche Popularität angeht, so brauchen sich Habeck und Baerbock nicht vor Winfried Kretschmann zu verstecken. Der eine kann sehr gut mit der Öffentlichkeit, die andere noch besser mit der Partei. Würde Baerbock Kanzlerkandidatin, dann würde das die Aufbruchstimmung in den eigenen
Reihen zusätzlich befeuern. Eine Frau gegen zwei Männer: Scholz und Laschet oder Söder. Drittens: Die grüne Strahlkraft ist aktuell untrennbar mit der unerwarteten Schwäche der Union verbunden. Plötzlich gilt man nicht mehr nur als „Kellner“in einem möglichen schwarz-grünen Bündnis. Die Grünen könnten sogar „Koch“in einer Koalition mit SPD und Liberalen werden. Mit einem Ampel-Bündnis ließe sich die Union sogar ohne Zutun der Linken von den Schalthebeln der Macht verdrängen. Das sind ganz neue politische Horizonte.
Ein Blick auf das Wahlergebnis in Rheinland-Pfalz sollte die Grünen allerdings vor dem Höhenrausch schützen, den Baden-Württemberg ausgelöst haben mag. Dort hat man zwar ebenfalls zugelegt, aber doch auf vergleichsweise bescheidenem Niveau. Und es kann ja im Bund noch schiefgehen. Man denke nur an die jüngst angezettelte Debatte über Sinn und Unsinn von Eigenheimen. Schon einmal hat so ein Fehltritt von der Güteklasse „Veggie Day“den Grünen einen Wahlkampf verhagelt. Bei einer Partei mit Kanzlerambitionen hört das Wahlvolk genauer hin, selbst bei ihrem letzten Hinterbänkler. Und dann ist da noch die Corona-Krise, von der niemand weiß, in welchem Stadium sie am Bundestags-Wahlsonntag im Herbst stecken wird. Es bleibt also ein spannendes Rennen. Aber, dass die Grünen sich immer mehr Feldvorteile erarbeitet haben, ist unübersehbar.