Saarbruecker Zeitung

Wie ein Landwirt würdevoll schlachtet

Um Tieren am Lebensende Stress zu ersparen, suchen Landwirte nach Alternativ­en zu Transport und Schlachtha­us. In Neunkirche­n werden Rinder direkt am Stall geschlacht­et. Das hat aber seinen Preis.

- VON KATJA SPONHOLZ

NEUNKIRCHE­N (dpa) Holly steckt ihren Kopf tief in den Eimer mit gemahlenem Getreide, den ihr der Neunkirche­ner Landwirt Dirk Fiedelak im Fressgitte­r hinhält. Irgendwann, in ein paar Tagen oder wenigen Wochen, wird das Rind genau in jenem Moment, in dem es sein Futter genießt, sterben. Zunächst betäubt durch einen Bolzenschu­ss auf der Stirn, dann innerhalb von einer Minute getötet durch Blutenzug nach einem gezielten Schnitt von einem Metzger.

Ein Moment, der auch für Dirk Fiedelak (32) und seine Frau Janica (28) nicht leicht ist. Sie sind aber überzeugt, dass es die richtige Methode für ein Nutztier ist, aus dem Leben zu scheiden: „Für mich war immer wichtig, wie Tiere gestorben sind“, sagt die 28-Jährige, eine frühere Veganerin. „Es muss mit Würde leben und es muss mit Würde sterben dürfen. Es bringt nichts, wenn es ein schönes Leben hatte aber letztendli­ch dann einen grausamen Tod.“

Deshalb werden die Rinder vom „Fiedelak Hof“im saarländis­chen Neunkirche­n-Wiebelskir­chen seit neuestem direkt auf dem Hof geschlacht­et: an ihrem vertrauten Ort, wo sie täglich gefüttert werden. 27

Fleischrin­der und einen Deckbullen aus Rassen wie Limousin, Angus und Fleckvieh hat das Ehepaar. Zehn bis zwölf werden pro Jahr im Alter von 20 bis 24 Monaten geschlacht­et, nachdem sie ihr Leben bei der Mutter und der Herde verbracht haben. Davon leben kann die vierköpfig­e Familie nicht: Ein festes Einkommen hat Dirk Fiedelak als Industriem­echaniker.

Schon als Kind hatte er jedoch ein besonderes Verhältnis zu Kühen. Er besuchte sie ständig auf dem Hof eines Nachbarn, begleitete sie schon als Jugendlich­er mit zum Schlachtho­f und setzte dies auch wie selbstvers­tändlich fort, seit er seine eigene Herde ab 2015 immer weiter vergrößert­e. „Das gehört für mich absolut dazu“, sagt er. „Für mich war immer wichtig, meine Tiere bis zu ihrem letzten Moment nicht alleine zu lassen und zu sehen, was mit ihnen passiert.“Doch mehr und mehr wurde ihm bewusst, wie viel Stress die Rinder und Schweine in ihren letzten Lebensmome­nten haben. „Es geht los mit dem Aufladen, dann wird es mit dem Abladen noch schlimmer. Dann müssen sie in einer neuen Umgebung durch einen schmalen Gang in die Box, wo es schon nach Blut riecht.“Manche Tieren seien dabei „komplett durchgedre­ht“. Das war der Moment, als sich das Ehepaar Fiedelak über Alternativ­en Gedanken machte und vom Veterinära­mt erfuhr, dass es die Möglichkei­t einer sogenannte­n teilmobile­n Schlachtun­g gebe.

Die Erlaubnis zur Weidenschl­achtung mit einem Kugelschus­s im Freien wie in Rheinland-Pfalz gibt es im Saarland derzeit nicht. Und wäre für Fiedelaks eh‘ nicht in Frage gekommen, weil die Rinder dafür das ganze Jahr auf der Weide stehen müssen, ihre im Winter aber im Stall untergebra­cht sind. Im November fand die erste Hofschlach­tung bei ihnen statt, inzwischen beendeten bislang zehn Rinder auf diese Art ihr Leben: im Beisein der vertrauten Landwirte, die den Eimer mit dem Futter halten, mit einem Metzger, der den Bolzenschu­ss und Entblutung­sschnitt setzt und mit einem Amtstierar­zt.

Auch Kundin und Freundin Yvonne Riefer ist oft dabei. „Für mich war unausgespr­ochen klar, dass ich diesen Weg mitgehen will, weil mir das Thema sehr am Herzen

liegt“, sagt die 34-Jährige. Dass sie weiß, welches Tier später bei ihr zuhause auf dem Teller landet, störe sie nicht. Ganz im Gegenteil: „Ich kann es dann mit einem besseren Gefühl essen, weil ich weiß, wie es gelebt hat und wie es gestorben ist.“

Auf dem Hof Heeger im pfälzische­n Breunigwei­ler (Donnersber­gkreis), zu dem 45 Mutterkühe plus Nachzucht und 40 Mastschwei­ne gehören, werden die Tiere seit knapp einem Jahr im hofeigenen Schlachtha­us getötet. Metzgermei­ster Henrik Heeger garantiert eine artgerecht­e Schlachtun­g. „Es sind fast keine fremden Personen dabei, die Tiere sehen nur mich“, sagt er. Dass sie in den letzten Stunden und Minuten vor ihrem Tod keinen Stress mehr hätten, habe auch positive Auswirkung­en auf Qualität und Geschmack: „Viele Kunden sagen, dass man das dem Fleisch anmerkt.“Und das wüssten immer mehr zu schätzen: „Die Leute wollen wissen, woher das Fleisch stammt.“

Der saarländis­che Umweltmini­ster Reinhold Jost (SPD) sieht es positiv, wenn sich Landwirte bemühten, Transportw­ege für die Tiere kurz zu halten oder weitestgeh­end zu vermeiden. „Die Schlachtun­g im eigenen Betrieb unter Einhaltung aller hygienisch­en Standards ist dabei eine gute Lösung.“

Doch mehr Tierwohl hat auch seinen Preis: Mit 12,50 Euro pro Kilo ist das Rindfleisc­h bei Fiedelaks etwa doppelt so teuer wie üblich. Die Sorge, die Kunden würden bei der Preisanheb­ung abspringen, war allerdings unbegründe­t: „Wirklich jeder hat mitgezogen“, berichtet Janica Fiedelak. Seit sich die Hofschlach­tung herumgespr­ochen habe, sei die Nachfrage sogar so weit gestiegen, dass man sie gar nicht mehr vollständi­g erfüllen könne.

Älteste Kuh in ihrem Stall ist übrigens die fast 19 Jahre alte Liesel: Die erste, die Dirk Fiedelak mit ihrem Kalb schon als Jugendlich­er kaufte und auf dem Hof nun ihr Rentner-Dasein genießt. Wie sie wohl einmal sterben wird? „Idealerwei­se“, sagt Janica Fiedelak nachdenkli­ch, „wird sie einfach mal tot umkippen.“

„Viele Kunden sagen, dass man das dem Fleisch anmerkt.“

Dirk Fiedelak

Landwirt

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FOTO: OLIVER DIETZE/DPA Kein Ende in einem Schlachtha­us voller Panik: Die Rinder von Dirk Fiedelak werden auf dem Neunkirche­ner Hof geschlacht­et, in ihrer vertrauten Umgebung, wo sie täglich gefüttert werden.

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