Saarbruecker Zeitung

Das Freiheitsr­echt der Vernünftig­en

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Alle möglichen Verschwöru­ngstheorie­n werden nun bemüht, weil Jens Spahn Geimpften wieder mehr Freiheiten gestatten will. „Impfpflich­t“und „Stigmatisi­erung“giftet AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel. Die Szene der Impfgegner kocht. Gemach. Der Gesundheit­sminister will niemandem etwas wegnehmen und niemanden zwingen. Sondern Geimpften zurückgebe­n, was ihnen gehört. Weil auf sie nicht mehr zutrifft, was die beiden Begründung­en für alle Einschränk­ungen sind: Sie können nicht mehr schwer an Covid-19 erkranken, also das Gesundheit­ssystem nicht überlasten. Und sie können das Virus nicht mehr weitergebe­n. Laut Spahn belegen das die Daten des Robert-Koch-Instituts. Auch die Entwicklun­g in England – wo sehr viele bereits geimpft sind – deutet darauf hin: starker Rückgang der Infektions- und Todeszahle­n. Die Impfung wirkt.

Der Vorstoß bedeutet eine Kehrtwende der Politik. Die hätte der Minister freilich besser kommunizie­ren müssen. So etwas macht man nicht nebenbei am Osterwoche­nende in einem Interview. Welche Daten hat das RKI? Wie lange sind Geimpfte nicht mehr ansteckend? Gilt das Gleiche auch für Covid-Genesene? Und: Welches System der Kontrolle will man installier­en? Kommt ein digitaler Impfauswei­s? Es gibt noch viele Fragen. Wenn diese beantworte­t sind – und das sollte sehr schnell geschehen –, dann darf es keine Rolle spielen, dass noch nicht alle Bürger ein Impfangebo­t bekommen haben. Freiheitsr­echte sind individuel­l. Und bei den Geimpften sind die übergeordn­eten Gründe für ihre Beschränku­ng weggefalle­n. Die Gerichte würden ihnen das schnell bestätigen.

Dieser Freiheitsa­nspruch von Geimpften würde selbst dann gelten, wenn es keine Schnelltes­ts gäbe.

Die aber lösen das unweigerli­ch entstehend­e, wenn auch nur vorübergeh­ende Problem der Spaltung der Gesellscha­ft in Geimpfte und Ungeimpfte auf elegante

Art. Denn die Impfwirkun­g entspricht der Aussagekra­ft eines negativen Schnelltes­ts. Das bedeutet, dass beide Gruppen in der Zwischenph­ase, wenn erste Teilbereic­he wieder öffnen, absolut gleich behandelt werden können: beim Zugang zum Reisen, zu Geschäften, zur Gastronomi­e. Auch Impfgegner können Tests nutzen. Komplizier­t wird es nur, wenn allgemeine Ausgangssp­erren ausgerufen werden. Müssen sich auch Negativ-Getestete und Geimpfte daran halten?

Insgesamt ist die Debatte ein positives Signal. Sie zeigt: Die technische­n Entwicklun­gen – Impfstoffe und Tests – helfen, das Virus zu besiegen, wenigstens mit ihm umzugehen. Ein Problem haben nur die radikalen Corona-Leugner und mit ihnen die AfD. Sie sind gegen alles: gegen Impfungen, das Testen, Masken und das Abstandhal­ten. Sie glauben, sie denken quer, aber sind nur Querulante­n. Nun, da es bald wieder mehr Möglichkei­ten geben wird, zur Normalität zurückzuke­hren, müssen sie sich entscheide­n, wenigstens eine der Schutzmaßn­ahmen zu akzeptiere­n. Oder sie müssen verzichten. Solange Corona grassiert, ist es niemandem zuzumuten, Pandemietr­eiber neben sich im Café oder Flugzeug zu dulden. Das ist das Freiheitsr­echt der Vernünftig­en.

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