Saarbruecker Zeitung

Der scheinbare Vorteil Frankreich­s in der Krise

Im Kampf gegen die Pandemie tut sich der deutsche Föderalism­us schwer. Frankreich­s Präsident hat es einfacher. Doch sind die Ergebnisse besser?

- VON KNUT KROHN

Deutschlan­d verzweifel­t am Föderalism­us. Im Kampf gegen die Corona-Pandemie scheinen die Nachteile des Systems offensicht­lich. Gefordert wäre in der Krise ein schnelles und gezieltes Durchgreif­en der Akteure, doch der politische Entscheidu­ngsprozess verliert sich scheinbar im Kompetenzg­erangel der Länder und einer kaum mehr nachzuvoll­ziehenden Kakophonie der Ministerpr­äsidenten. Das Ergebnis endloser Verhandlun­gen ist meist ein Flickentep­pich unterschie­dlicher Corona-Maßnahmen.

Angesichts dieses Durcheinan­ders schweift der Blick vieler Deutscher fast sehnsüchti­g nach Frankreich. Dort hält der Präsident das Heft des Handelns in der Hand. In markigen Ansprachen tut Emmanuel Macron seinem Volk kund, was das Land in den kommenden Wochen oder Monaten erwarten wird. In der Krise wird die fast monarchisc­h anmutende Konstrukti­on der französisc­hen Republik immer deutlicher, die es Macron erlaubt, das Land praktisch im Alleingang zu regieren.

In der Corona-Krise schien das von Vorteil. So konnte der Präsident mit einer Art Kriegserkl­ärung zu Beginn der ersten Welle im ganzen Land einen harten Lockdown anordnen. Die Franzosen gehorchten erstaunlic­h klaglos. Dennoch raffte das Virus in Frankreich weit mehr Menschen dahin als in anderen Ländern Europas.

Schon damals zeigte sich ein grundlegen­des Problem: Der Lockdown wurde von den Menschen zwar ertragen, aber nicht wirklich mitgetrage­n. Schlupflöc­her waren schnell gefunden. Der in einer solchen Situation dringend notwendige breite gesellscha­ftliche Dialog fand allenfalls im Ansatz statt. Da sämtliche Verantwort­ung in die Hände eines einzigen Mannes abgegeben wurde, braucht sich der einzelne Bürger nicht weiter den Kopf zu zerbrechen.

Damit saß auch Emmanuel Macron in der Falle. Denn wenn sich der Präsident als allmächtig­er „republikan­ischer Monarch“präsentier­t, der für alles zuständig ist, ist er auch für all das verantwort­lich, was schiefläuf­t. Das reicht in diesem Fall vom maroden Gesundheit­ssystem bis zum Chaos bei der Impf-Kampagne. Erstaunlic­h ist, dass sich die Frustratio­n über die Politik des Präsidente­n nicht längst auf der Straße entlädt. Offensicht­lich haben sich die Bürger von ihrem Staatschef abgewendet und nehmen die Corona-Einschränk­ungen nicht mehr allzu ernst.

Im Vergleich zu den Franzosen wirken die deutschen Nachbarn im Kampf gegen die Pandemie fast verbissen anarchisch. Das Parlament in

Berlin beklagt zwar immer wieder, an wichtigen Entscheidu­ngsprozess­en nicht beteiligt zu sein, doch wird auf vielen Ebenen über den Weg aus der Krise gestritten. Es liegt am Kern des föderalen Systems, wenn öffentlich um das Öffnen oder Schließen von Schulen oder das Beschneide­n von Freiheitsr­echten gerungen wird. Das ist mühsam und wirkt uneffektiv, steigert aber die Akzeptanz der Entscheidu­ngen.

Ganz anders in Frankreich: die Corona-Ankündigun­gen Emmanuel Macrons haben einen fast religiösen Charakter. Widerspruc­h ist nicht möglich. Doch erkennt das Volk immer deutlicher, dass diese Dramatisie­rung der präsidiale­n Ansprachen auch dazu dient, die Ohnmacht der Exekutive zu maskieren. Längst ist die Pandemie außer Kontrolle, und die Maßnahmen scheinen hilflos und chaotisch.

Anders als in Frankreich sehen sich die Entscheidu­ngsträger in Deutschlan­d auch durch die föderale Struktur des Landes einem ständigen Rechtferti­gungsdruck ausgesetzt. Das führt dazu, dass manches vielleicht länger dauert, am Ende aber nicht unbedingt ein schlechter­es Ergebnis stehen muss. Mit Bewunderun­g wird in Frankreich zur Kenntnis genommen, dass Deutschlan­d objektiv besser durch die Pandemie kommt. Groß ist aber auch die Verwunderu­ng, mit welchem Eifer bisweilen versucht wird, diese Erfolge kleinzured­en.

Der Lockdown wurde von den Menschen zwar ertragen, aber nicht wirklich mitgetrage­n.

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