Der Donbass-Konflikt setzt EU und USA unter Druck
Die Spannungen zwischen Moskau und Kiew um die Ostukraine nehmen zu. Die Augen richten sich nun auf die nächsten Schritte von Kremlchef Putin.
(dpa) Seit vor sieben Jahren am Donbass mit dem Beginn einer ukrainischen Anti-Terror-Operation der Krieg ausbrach, läuft in den von Separatisten kontrollierten Regionen vieles wie in Russland. Der Rubel ist offizielles Zahlungsmittel, nur Russisch ist noch Amtssprache. Mehr als 400 000 Menschen haben nach Putins Angebot nun einen russischen Pass.
Doch es gibt neue Spannungen. Der Anführer der „Volksrepublik“Donezk, Denis Puschili, beklagt, dass die Ukraine ihre Truppen für neue Kämpfe aufstelle. Tatsächlich wiesen zuletzt auch die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Region auf wachsende Aktivitäten beider Konfliktseiten hin. Vor allem die jüngsten Meldungen über getötete ukrainische Soldaten lenken die westliche Aufmerksamkeit auf den Konflikt mitten in Europa. Mehr als 13 000 Menschen kamen dort bisher nach Angaben der Vereinten Nationen ums Leben. Das Kommando der US-Streitkräfte in Europa (EUCOM) beobachtet die Lage seit kurzem nicht mehr nur als „mögliche Krise“, sondern als „potienziell unmittelbar bevorstehende Krise“.
Nach Meinung vieler Beobachter in der Ukraine ist das auch im Sinn des ukrainischen Präsidenten Wolodomyr Selenskyj. Bei seiner Wahl vor zwei Jahren versprach er, den Konflikt friedlich zu lösen. Erfolge kann der frühere Schauspieler aber bisher nicht vorweisen. Der ukrainische Armeechef Ruslan Chomtschak ist überzeugt, dass Selenskyj kein Problem damit habe, eine neue Offensive im Donbass zu befehlen. Gegen die derzeitigen Kräfte der moskautreuen Separatisten rechnete er sich Siegchancen aus, wie er sagte. Allerdings weiß auch Chomtschak, dass Russland einer militärischen Lösung nicht zusieht.
Wenn die Separatistenführungen in den Großstädten Luhansk und Donezk
zum Schutz ihrer neuen russischen Staatsbürger im Donbass Moskau offiziell um Hilfe anriefen, wäre Putin im Zugzwang. Der 68-Jährige ist bekannt dafür, dass er keinen Konflikt scheut. Schon jetzt gilt als gesichert, dass aus Russland nicht nur Waffen in die Region gelangen, sondern auch Söldner. Der Donbass sei für Russland vor allem als Druckmittel für die ukrainische Führung nützlich, aber auch zur Lösung demografischer Probleme, wie die Denkfabrik Moskauer Carnegie Center schreibt. Russland erhalte aus der Ukraine weiter eine große Anzahl Migranten.
Für die EU und die USA wird der Konflikt zwischen Moskau und Kiew so oder so wieder zum Testfall für die Beziehungen zu Russland. Präsident Selenskyj musste zuletzt lange auf ein Telefonat mit dem neuen US-Präsidenten Joe Biden warten, der als Freund der Ukraine gilt.
Doch auf einen offenen Konflikt mit der Atommacht Russland dürfte sich weder in Washington noch im Nato-Hauptquartier in Brüssel jemand einlassen. Die Nato reagiert deshalb zunächst zunehmend beunruhigt und beobachtet die russischen Truppenbewegungen genau. Dabei gilt aktuell als ein Horrorszenario, dass Russland mit den Aufständischen in der Ostukraine eine Großoffensive planen könnte, um sich den Zugriff auf den Nord-Krim-Wasserkanal bis zum Fluss Dnipro zu sichern. Die ukrainische Führung macht seit langem keinen Hehl daraus, dass sie den Westen dafür braucht, um Russland unter Druck zu setzen. In Kiew gilt es als möglich, dass Selenskyj eine Eskalation des Konflikts mit Moskau riskiert, um bei einer russischen Annexion des Donbass noch mehr Druckmittel zu haben. Die Ukraine will die EU dazu bringen, die russische Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 zu stoppen. Sie fürchtet um ihre bisherigen Milliardeneinnahmen aus dem Transit von russischem Gas nach Europa. Beim Aufflammen des Konflikts in der Ostukraine, so das Kalkül in Kiew, könnte Nord Stream 2 doch noch scheitern.
Mehr als 13 000 Menschen kamen im Konflikt am Donbass nach Angaben der Vereinten Nationen ums Leben.