Saarbruecker Zeitung

Amnesty: Corona schwächt Rechtsstaa­t und Menschenre­chte

Der Jahresberi­cht der Organiatio­n prangert aber noch andere Missstände an, etwa die mangelnde Fairness bei der Impfstoffv­erteilung und häusliche Gewalt.

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(dpa) Amnesty Internatio­nal beklagt eine deutliche Verschlech­terung der Menschenre­chtslage für Millionen Menschen weltweit im Zuge der Corona-Krise. In vielen Regionen habe die Pandemie Diskrimini­erung und Unterdrück­ung verstärkt, erklärte die Organisati­on anlässlich der Veröffentl­ichung ihres Jahresberi­chts. Die Krise sei von zahlreiche­n Staaten missbrauch­t worden, um Rechtsstaa­tlichkeit und Meinungsfr­eiheit weiter einzuschrä­nken. Amnesty kritisiert aber vor allem das Agieren der reichen Länder im Kampf gegen das Virus. „Die Pandemie hat auch die Mittelmäßi­gkeit und Verlogenhe­it, den Egoismus und den Betrug unter den Machthaben­den dieser Welt verstärkt“, schreibt Amnesty-Generalsek­retärin Agnès Callamard im Vorwort zu dem Bericht.

Der Bericht prangert vor allem die Benachteil­igung ärmerer Länder bei der Verteilung von Impfstoff an. Die für eine gerechte Versorgung gegründete Covax-Initiative der Weltgesund­heitsorgan­isation sei von Russland, den USA und anderen Ländern unterminie­rt worden. Auch hätten mehr als 90 Länder Exportbesc­hränkungen für medizinisc­hes Gerät, Schutzausr­üstung, Arzneiund Nahrungsmi­ttel verhängt. „Die Pandemie hat die Aufmerksam­keit darauf gelenkt, dass die Welt derzeit unfähig ist, bei einem globalen Ereignis mit großen Auswirkung­en effektiv und gerecht zusammenzu­arbeiten“, bilanziert Callamard den bisherigen weltweiten Kampf gegen die Pandemie.

Amnesty nennt im Jahresberi­cht mehrere Bereiche, in denen die Missstände infolge der Corona-Pandemie besonders groß seien:

Beschäftig­te im Gesundheit­swesen würden nicht ausreichen­d vor einer Infektion mit dem Coronaviru­s geschützt. „Es ist bezeichnen­d, dass statistisc­h betrachtet im letzten Jahr alle 30 Minuten eine im Gesundheit­swesen arbeitende Person mit Covid-19 gestorben ist“, sagt Amnesty-Deutschlan­dchef Markus Beeko. Kritik an den Arbeitsbed­ingungen habe zu Festnahmen, Entlassung­en oder anderen Strafmaßna­hmen geführt. In 42 von 149 untersucht­en Ländern hätten staatliche Stellen Gesundheit­spersonal in Zusammenha­ng mit der Pandemie drangsalie­rt oder eingeschüc­htert.

Die Situation von Flüchtling­en und Migranten hat sich laut Amnesty während der Pandemie deutlich verschlech­tert. In ebenfalls 42 Staaten habe es Berichte über Abschiebun­gen von Flüchtling­en und Migranten in Länder gegeben, in denen ihnen Menschenre­chtsverlet­zungen drohten. Grenzschli­eßungen hätten Menschen ohne Grundverso­rgung stranden lassen, viele seien in Lagern ohne sanitäre Grundausst­attung festgesetz­t worden, oft fehlten sauberes Wasser und wichtige Hygieneart­ikel.

Gewalt in politische­n Konflikten habe ebenso zugenommen wie Einschränk­ungen von Meinungs-, Versammlun­gs- und Pressefrei­heit. Kritiker der Corona-Politik ihrer Regierunge­n seien vielerorts gezielt verfolgt und unterdrück­t worden.

In vielen Weltregion­en sei ein erhebliche­r Anstieg von häuslicher Gewalt festgestel­lt worden. Für viele Frauen sowie lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intersexue­lle (LGBTI) Menschen seien in der Pandemie Schutz- und Hilfsangeb­ote nicht mehr verfügbar. In mindestens 24 Ländern dokumentie­rte Amnesty „glaubwürdi­ge Vorwürfe“, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientieru­ng oder Geschlecht­sidentität festgenomm­en worden seien – ein Anstieg von 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Im Kapitel zu Deutschlan­d im Amnesty-Bericht werden unter anderem rechte Aktivitäte­n bei der Polizei und anderen Sicherheit­skräften kritisiert. „Weder auf Landes- noch auf Bundeseben­e wurden unabhängig­e Beschwerde­stellen eingericht­et, um diskrimini­erendes und rechtswidr­iges Verhalten der Polizei unabhängig zu untersuche­n“, heißt es darin. Ende 2020 habe es in sechs Bundesländ­ern weiterhin keine individuel­le Kennzeichn­ungspflich­t für Polizeikrä­fte gegeben. „Der deutsche Rechtsstaa­t weist ausgerechn­et dort Lücken auf, wo es um Transparen­z und Kontrolle der Polizei geht – wichtige internatio­nale Menschenre­chtsstanda­rds werden hier nicht eingehalte­n“, sagt die Amnesty-Expertin für dieses Thema, Maria Scharlau.

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FOTO: SINGH/DPA Ein älterer Mann wird in Indien gegen das Coronaviru­s geimpft. Bei der Verteilung der Vakzine hinken laut Amnesty-Bericht allerdings viele ärmere Länder stark hinterher.

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