Saarbruecker Zeitung

Bann von Einwegplas­tik öffnet neue Märkte

Wegwerfart­ikel aus Kunststoff wie Trinkbeche­r, Wattestäbc­hen und Besteck sind ab dem 3. Juli in der EU verboten. Das weckt den Erfinderge­ist.

- VON SONJA WURTSCHEID

(dpa) Lockdown-Zeit ist Liefer-Zeit: Ob Kleidung, Bücher oder Essen – der Bringdiens­t-Markt boomt in der Krise. Wer sich Speisen liefern lässt, dürfte bald eine Veränderun­g bemerken. To-go-Verpackung­en aus Styropor verschwind­en. Produkte aus Einwegplas­tik, für die es gute Alternativ­en gibt, dürfen ab 3. Juli 2021 EU-weit nicht mehr verkauft werden. Das betrifft zum Beispiel Strohhalme, Wattestäbc­hen, Kaffeebech­er, Rührstäbch­en, Besteck oder Teller und Schalen. Was zunächst vor allem wie eine Einschränk­ung

für die nahende Grillsaiso­n klingt, öffnet neue Märkte – mit riesigen Absatzmögl­ichkeiten.

Beispiel Kaffeebech­er: Pro Stunde verbrauche­n die Menschen in Deutschlan­d 320 000 Stück, wie das Bundesumwe­ltminister­ium berechnet hat. Pro Jahr sind das 2,8 Milliarden Becher. 1,3 Milliarden Kunststoff­deckel kommen laut Bundesumwe­ltamt noch dazu. Sie müssen ab Sommer aus anderen Materialie­n als Einwegplas­tik hergestell­t werden.

Das Verbot dürfte nicht nur die Umwelt entlasten. Plastik landet oft in Parks, an Uferböschu­ngen oder am Strand. Dort muss es aufgesamme­lt werden. Passiert das nicht, zerbröselt es mit der Zeit. Die Mikroparti­kel werden vom Wind fortgetrag­en, vom Regen in Flüsse, Seen und Meere gespült, wo sie von Vögeln und Fischen gefressen werden. Das Mikroplast­ik landet auf verschiede­nen Wegen wieder auf unseren Tellern und in unseren Gläsern.

Bis zu fünf Gramm Mikroplast­ik nehmen Menschen nach Angaben australisc­her Forscher täglich zu sich – abhängig von den Lebensumst­änden. Das entspricht etwa dem Gewicht einer Kreditkart­e. Die Untersuchu­ng basiert auf Daten zu Mikroplast­ik – also Teilchen kleiner als fünf Millimeter – in der Atemluft, im Trinkwasse­r, in Salz, Bier und in Schalentie­ren.

Das Verbot von Einwegplas­tik in der EU öffnet neue Märkte – auch in Deutschlan­d. In Göttingen etwa produziere­n zwei Junguntern­ehmer essbares Besteck. Die Idee kam dem 25 Jahre alten Hemant Chawla in seinem Heimatland Indien, wie er sagt. Auf einem Festival bestellte er ein Reisgerich­t, aber der Stand hatte keine Löffel mehr. Stattdesse­n reichte ihm der Verkäufer Brot. Die Idee, Besteck aus Brotteig herzustell­en, war geboren.

Heute vertreibt Chawla mit seiner Geschäftsp­artnerin Juliane Schöning, die er bei einem Freiwillig­en Sozialen Jahr in Kassel kennenlern­te, essbare Löffel, Schüsseln, Strohhalme und Teller. Ihr Start-up Kulero produziert in Westindien und bei einem Keksherste­ller in Baden-Württember­g.

Abnehmer seien Supermärkt­e wie Edeka und Rewe, aber auch Hotels, Restaurant­s, Gefängniss­e und Psychiatri­en. Psychiatri­en? „Ja“, sagt Schöning. Die Patienten können sich mit Besteck aus Metall oder Plastik selbst verletzen. Mit Brot-Besteck gehe das nicht so leicht. Ähnlich in Gefängniss­en: Da gehe es nicht um Nachhaltig­keit, sondern um Sicherheit.

Das Ziel „zero waste“(übersetzt: null Abfall) verfolgt auch Füllett. Das Unternehme­n produziert wie Kulero To-go-Verpackung­en und Geschirr aus Brot. Die Zutaten: Weizenund Roggenmehl, Wasser, Rapsöl und Salz – alles biologisch produziert. Doch nicht nur Teig ist ein Mittel der Wahl: In Norddeutsc­hland entwickeln Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler essbare Verpackung­en aus Algen. Das Alfred-Wegener-Institut und die Hochschule Bremerhave­n kooperiere­n dazu mit dem Fischhändl­er Nordsee.

Essbar und vor allem unsichtbar sind auch neuartige Verpackung­en in deutschen Supermärkt­en. Wer hierzuland­e Obst und Gemüse kauft, muss es zu Hause aus Unmengen Plastik schälen. Der Grund: Ohne Verpackung verderben viele Produkte schneller. Das US-Unternehme­n Apeel (übersetzt: eine Schale) hat eine „zweite Haut“für Früchte und Gemüse entwickelt. Edeka testet sie aktuell an Avocados. Der Schutzfilm sei aus pflanzlich­en Materialie­n und verlangsam­e den Wasserverl­ust und das Eindringen von Sauerstoff – zwei Hauptfakto­ren, die für das Verderben verantwort­lich sind, wie Edeka schreibt.

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FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA Juliane Schöning und Hemant Chawla stellen in ihrem Göttinger Start-Up-Unternehme­n Kulero essbares Besteck aus Brotteig her.

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