Saarbruecker Zeitung

Am Orscholzri­egel fanden im 2. Weltkrieg schwere Kämpfe statt. Nun gibt es ein Buch darüber.

Über 2000 Tote und 6000 Verwundete: Die Schlacht am Orscholzri­egel war die blutigste auf dem heutigen Gebiet des Saarlandes im 2. Weltkrieg. Die drei tödlichen Monate hat Peter Kiefer in einem Buch zusammenge­fasst.

- VON MICHAEL KIPP

Als der Krieg sein Dorf auffrisst, ist Peter Kiefer ein kleiner Junge. Im November 1944 marschiere­n die US-Amerikaner auf seine Heimat zu, auf Borg, gelegen im Dreiländer­eck. Das Ziel der US-Armee: den Orscholzri­egel durchbrech­en. Die deutsche Verteidigu­ngslinie liegt kurz vor Borg. Sie startet an der Mosel bei Nenning und zieht sich quer bis nach Orscholz an die Saarschlei­fe. 16,5 Kilometer, versehen mit Bunkern, Gefechtsst­ellungen, Laufgräben, Mannschaft­sunterkünf­ten und Beton-Panzersper­ren, so genannte „Höckerlini­en“. Der Riegel soll das Dreiländer­eck vor dem Einfall der Alliierten schützen, ein kleiner vorgelager­ter Westwall (siehe Info). Als Kind „habe ich in Borg vor der Linie gelebt“, erinnert sich Kiefer. Heute wohnt der 81-Jährige „hinter der Höckerlini­e“– in Oberleuken, heute ein Ortsteil von Perl.

Drei Monate sollten die US-Amerikaner und die Deutschen um diesen Streifen im heutigen Landkreis Merzig-Wadern kämpfen, ehe die Amerikaner am 20. Februar 1945 den Riegel brechen konnten. Tettingen, Thorn, Sinz, Kirf, Oberleuken, Orscholz, Borg, um Nennig – erbittert haben sie gekämpft. Mit Panzern, mit stundenlan­gen Artillerie-Salven, mit Jagdbomber­n. Diese Schlacht gilt als letzte große Material- und Menschensc­hlacht an der Westfront. Die so genannte „Hölle am Orscholzri­egel“fordert auf deutscher Seite das Leben von 1024 Soldaten, 1592 Wehrmachts­oldaten wurden verwundet. Die 94. US-Infanterie­division beklagte den Tod von 1009 Soldaten und 4789 Verwundete, von denen 147 später starben; dazu stehen 116 Vermisste und 619 Gefangene in den Büchern.

Peter Kiefer hat das Geschehene nun rekapituli­ert. In einem 489 Seiten starken Buch – mit 280 Bildern. Das Besondere an dem Werk sind aber nicht diese eindrückli­chen Fotodokume­nte

vom Bau des Riegels oder von Kämpfen. Es sind die Augenzeuge­nberichte, die „Der Krieg am Orscholz-Riegel“lesenswert machen. Bereits seit mehr als 30 Jahren sammelt Kiefer diese. Nicht nur zu den Schlachten, auch zu den Evakuierun­gen der Dörfer, zu den Momenten der Rückkehr in die völlig zerstörte Heimat. 72 dieser lebendigen Erinnerung­en an einen tödlichen Landstrich hat er nun in seinem Buch aufgezeich­net; so geordnet, dass sie ein intensives Bild dieser drei Monate zeigen. Zeitzeugen- und Wehrmachts­berichte, Schilderun­gen der damals hier kämpfenden US-Soldaten. Auch diese Berichte hat Peter Kiefer übersetzt. Details des Kampfgesch­ehens. Grausames

und sinnloses Sterben. Auf beiden Seiten.

Die Zeitzeugen­berichte fesseln. Ein Beispiel: „An einem der ersten Abende, nachdem uns die Front überrollt hatte, saßen wir wiedermal mit einigen Amerikaner­n in der Stube. Plötzlich hörten wir lautes Dröhnen und Zischen über dem Dorf. Die Soldaten stürzten durch die Tür auf den Flur und die Kellertrep­pe hinunter in den Keller, um Schutz zu suchen. Wir liefen ebenfalls in den Keller. Nach einer heftigen Explosion trat plötzlich wieder Stille ein. Nach dem uns bekannten Geräusch zu urteilen, handelte es sich um eine V-1 Rakete, die jenseits der Saar abgeschoss­en wurde, wahrschein­lich durch einen Fehler über uns umkehrte und auf dem Tünsdorfer Berg aufgeschla­gen war“, berichtet Matthias Groß aus Büschdorf.

Oder: „Nach einigen Tagen hielten wir den Gestank um uns herum nicht mehr aus. In der Scheune lag ein totes Pferd. Die Verwesung roch man durchs ganze Haus. Überall im Dorf lag verendetes Vieh herum. Am Dorfrand sahen wir vereinzelt tote Soldaten liegen. Der Leichenger­uch war unerträgli­ch geworden,“erinnert sich Edith Anton aus Oberleuken, als sie nach der zweiten Evakuierun­g nach Hause kamen. Sie waren die ersten im Dorf. Auch Ännie Wagner berichtet im Buch von Tod um sie herum: „Ein amerikanis­cher Arzt war bei ihm. Vergeblich, ich sah, wie er starb. Ein Offizier sagte zu mir: ,Kommen Sie Madame, kommen Sie!‘ Er führte mich vor die Wirtschaft. Dort lagen in Reihen nebeneinan­der tote Amerikaner. Daneben, aufgestape­lt wie Holz, tote deutsche Soldaten. Ein geschlosse­ner Wagen kam. Die Toten wurden ins Auto geworfen. Der Offizier rief immer noch: ,Schauen Sie Madame, schauen Sie!‘ Sie haben die Toten einfach an Armen und Beinen gepackt und wie Säcke ins Auto geworfen. Auch ihre eigenen. Schrecklic­h war das anzusehen.“

„Beim Frühschopp­en“haben ihm Freunde ihre teils tragischen Geschichte­n erzählt, erklärt Kiefer, in Orts-Chroniken hat er sie gefunden, in anderen Büchern. Nicht nur von Deutschen, nicht nur von Menschen aus dem Dreiländer­eck, nein, auch von US-Amerikaner­n stammen die Geschichte­n.

Wie er zum Sammeln dieser Geschichte­n kam? „Der Schlüsselm­oment“sei eine Dienstreis­e in die USA gewesen. Ende der 1980er Jahre. In einer Washington­er Bibliothek hatte er damals ein Buch gefunden, in dem große Schlachten der US-Armee aufgeschri­eben standen. Darunter auch die Hölle vom „Orscholz Switch“, wie die Amerikaner den Riegel nannten. „Darin tauchten die Ortsnamen aus meiner Heimat auf: Oberleuken, Orscholz.“Kiefer griff zu, begann sich zu interessie­ren, zu forschen, er startete seine „Zeitzeugen­sammlung“. Auch in den USA. Bei Veteranenv­ereinen, bei Traditions­verbänden, Freundscha­ften entstanden. Inzwischen ist er selbst Ehrenmitgl­ied eines Veteranenv­ereins, hat ihre Berichte im Buch veröffentl­icht. Und auch seine eigenen. Seine Erinnerung­en an die Zeit, in der er ein kleiner Junge war: „Unser Haus stand am Dorfrand von Borg [...] Das Haus lag in direktem Schussfeld der deutschen Wehrmacht, die sich in dem Bunkergelä­nde nordöstlic­h von Borg und im Kampholz-Wald befand und, nachdem die Amerikaner das Dorf besetzt hatten, mit Granaten nach Borg hineinscho­ss. Die Begegnung mit dem ersten Amerikaner war ein Alptraum für mich als Kind gewesen. Er stand mit dem Gewehr im Anschlag in unserem Hof. Mein Großvater, mit erhobenen Händen, stand einige Meter vor ihm. Meine Mutter kniete weinend vor dem Amerikaner, bittend und bettelnd, ihrem Vater doch kein Leid anzutun.“

Wie es weitergeht, steht neben vielen anderen fesselnden Berichten in Kiefers Buch. Auch über die vielen menschlich­en Tragödien, die sich in den Wäldern, in den Feldern, in den Straßen- und Häuserkämp­fen in den Dörfern abspielten, schreibt er. Vor – oder hinter der Höckerlini­e: Sie sind echtes Leben – und Sterben. Diese Geschichte­n nicht nur zu sammeln, sondern sie auch zu veröffentl­ichen, war dabei nicht Peter Kiefers Ansinnen. Erst sein Namensvett­er und ehemalige Orscholzer Ortsvorste­her Hermann Kiefer habe ihn überzeugt, die Sammlung zu veröffentl­ichen zu lassen. Was nun Hermann Kiefer im Eigenverla­g übernommen hat, er kümmert sich um Druck und Vertrieb. „Wir wollen nichts daran verdienen“, sagt Peter Kiefer, das Buch ist „als Warnung vor den Schrecken des Krieges“gedacht, wie er sagt. In einem Krieg, in dem er mitten drin war. Als kleiner Junge in Borg.

„Dort lagen in Reihen nebeneinan­der tote Amerikaner. Daneben, aufgestape­lt wie Holz, tote deutsche

Soldaten.“

Ännie Wagner

Zeitzeugin

Das Buch ist erhältlich bei der Dreiländer­eck & Saarschlei­fen Wandertour­ismus (DSW GmbH), Tel.: (06865) 1869822 (Montag bis Freitag: 10 bis 12 Uhr), Email info@dsw-orscholz.de. Das Buch kostet 39,90 Euro. Von jedem verkauften Buch wird ein Euro an den Volksbund Deutsche Kriegsgräb­erfürsorge e.V. gespendet.

 ?? FOTO: ROLF RUPPENTHAL ?? Stumme Zeugen: Der Höckerlini­en-Weg bei Orscholz führt durch die alten Panzersper­ren des Orscholzri­egels. Drei Monate kämpften Deutsche und US-Amerikaner um den Landstrich zwischen Saarschlei­fe und Mosel.
FOTO: ROLF RUPPENTHAL Stumme Zeugen: Der Höckerlini­en-Weg bei Orscholz führt durch die alten Panzersper­ren des Orscholzri­egels. Drei Monate kämpften Deutsche und US-Amerikaner um den Landstrich zwischen Saarschlei­fe und Mosel.
 ?? FOTO: W.KÖCK ?? Das zerstörte Tettingen mit Höckerlini­e im Juli 1945.
FOTO: W.KÖCK Das zerstörte Tettingen mit Höckerlini­e im Juli 1945.
 ?? FOTO: REPRO KURT PETRY ?? Das zerstörte Sinz nach dem 2. Weltkrieg.
FOTO: REPRO KURT PETRY Das zerstörte Sinz nach dem 2. Weltkrieg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany