Am Orscholzriegel fanden im 2. Weltkrieg schwere Kämpfe statt. Nun gibt es ein Buch darüber.
Über 2000 Tote und 6000 Verwundete: Die Schlacht am Orscholzriegel war die blutigste auf dem heutigen Gebiet des Saarlandes im 2. Weltkrieg. Die drei tödlichen Monate hat Peter Kiefer in einem Buch zusammengefasst.
Als der Krieg sein Dorf auffrisst, ist Peter Kiefer ein kleiner Junge. Im November 1944 marschieren die US-Amerikaner auf seine Heimat zu, auf Borg, gelegen im Dreiländereck. Das Ziel der US-Armee: den Orscholzriegel durchbrechen. Die deutsche Verteidigungslinie liegt kurz vor Borg. Sie startet an der Mosel bei Nenning und zieht sich quer bis nach Orscholz an die Saarschleife. 16,5 Kilometer, versehen mit Bunkern, Gefechtsstellungen, Laufgräben, Mannschaftsunterkünften und Beton-Panzersperren, so genannte „Höckerlinien“. Der Riegel soll das Dreiländereck vor dem Einfall der Alliierten schützen, ein kleiner vorgelagerter Westwall (siehe Info). Als Kind „habe ich in Borg vor der Linie gelebt“, erinnert sich Kiefer. Heute wohnt der 81-Jährige „hinter der Höckerlinie“– in Oberleuken, heute ein Ortsteil von Perl.
Drei Monate sollten die US-Amerikaner und die Deutschen um diesen Streifen im heutigen Landkreis Merzig-Wadern kämpfen, ehe die Amerikaner am 20. Februar 1945 den Riegel brechen konnten. Tettingen, Thorn, Sinz, Kirf, Oberleuken, Orscholz, Borg, um Nennig – erbittert haben sie gekämpft. Mit Panzern, mit stundenlangen Artillerie-Salven, mit Jagdbombern. Diese Schlacht gilt als letzte große Material- und Menschenschlacht an der Westfront. Die so genannte „Hölle am Orscholzriegel“fordert auf deutscher Seite das Leben von 1024 Soldaten, 1592 Wehrmachtsoldaten wurden verwundet. Die 94. US-Infanteriedivision beklagte den Tod von 1009 Soldaten und 4789 Verwundete, von denen 147 später starben; dazu stehen 116 Vermisste und 619 Gefangene in den Büchern.
Peter Kiefer hat das Geschehene nun rekapituliert. In einem 489 Seiten starken Buch – mit 280 Bildern. Das Besondere an dem Werk sind aber nicht diese eindrücklichen Fotodokumente
vom Bau des Riegels oder von Kämpfen. Es sind die Augenzeugenberichte, die „Der Krieg am Orscholz-Riegel“lesenswert machen. Bereits seit mehr als 30 Jahren sammelt Kiefer diese. Nicht nur zu den Schlachten, auch zu den Evakuierungen der Dörfer, zu den Momenten der Rückkehr in die völlig zerstörte Heimat. 72 dieser lebendigen Erinnerungen an einen tödlichen Landstrich hat er nun in seinem Buch aufgezeichnet; so geordnet, dass sie ein intensives Bild dieser drei Monate zeigen. Zeitzeugen- und Wehrmachtsberichte, Schilderungen der damals hier kämpfenden US-Soldaten. Auch diese Berichte hat Peter Kiefer übersetzt. Details des Kampfgeschehens. Grausames
und sinnloses Sterben. Auf beiden Seiten.
Die Zeitzeugenberichte fesseln. Ein Beispiel: „An einem der ersten Abende, nachdem uns die Front überrollt hatte, saßen wir wiedermal mit einigen Amerikanern in der Stube. Plötzlich hörten wir lautes Dröhnen und Zischen über dem Dorf. Die Soldaten stürzten durch die Tür auf den Flur und die Kellertreppe hinunter in den Keller, um Schutz zu suchen. Wir liefen ebenfalls in den Keller. Nach einer heftigen Explosion trat plötzlich wieder Stille ein. Nach dem uns bekannten Geräusch zu urteilen, handelte es sich um eine V-1 Rakete, die jenseits der Saar abgeschossen wurde, wahrscheinlich durch einen Fehler über uns umkehrte und auf dem Tünsdorfer Berg aufgeschlagen war“, berichtet Matthias Groß aus Büschdorf.
Oder: „Nach einigen Tagen hielten wir den Gestank um uns herum nicht mehr aus. In der Scheune lag ein totes Pferd. Die Verwesung roch man durchs ganze Haus. Überall im Dorf lag verendetes Vieh herum. Am Dorfrand sahen wir vereinzelt tote Soldaten liegen. Der Leichengeruch war unerträglich geworden,“erinnert sich Edith Anton aus Oberleuken, als sie nach der zweiten Evakuierung nach Hause kamen. Sie waren die ersten im Dorf. Auch Ännie Wagner berichtet im Buch von Tod um sie herum: „Ein amerikanischer Arzt war bei ihm. Vergeblich, ich sah, wie er starb. Ein Offizier sagte zu mir: ,Kommen Sie Madame, kommen Sie!‘ Er führte mich vor die Wirtschaft. Dort lagen in Reihen nebeneinander tote Amerikaner. Daneben, aufgestapelt wie Holz, tote deutsche Soldaten. Ein geschlossener Wagen kam. Die Toten wurden ins Auto geworfen. Der Offizier rief immer noch: ,Schauen Sie Madame, schauen Sie!‘ Sie haben die Toten einfach an Armen und Beinen gepackt und wie Säcke ins Auto geworfen. Auch ihre eigenen. Schrecklich war das anzusehen.“
„Beim Frühschoppen“haben ihm Freunde ihre teils tragischen Geschichten erzählt, erklärt Kiefer, in Orts-Chroniken hat er sie gefunden, in anderen Büchern. Nicht nur von Deutschen, nicht nur von Menschen aus dem Dreiländereck, nein, auch von US-Amerikanern stammen die Geschichten.
Wie er zum Sammeln dieser Geschichten kam? „Der Schlüsselmoment“sei eine Dienstreise in die USA gewesen. Ende der 1980er Jahre. In einer Washingtoner Bibliothek hatte er damals ein Buch gefunden, in dem große Schlachten der US-Armee aufgeschrieben standen. Darunter auch die Hölle vom „Orscholz Switch“, wie die Amerikaner den Riegel nannten. „Darin tauchten die Ortsnamen aus meiner Heimat auf: Oberleuken, Orscholz.“Kiefer griff zu, begann sich zu interessieren, zu forschen, er startete seine „Zeitzeugensammlung“. Auch in den USA. Bei Veteranenvereinen, bei Traditionsverbänden, Freundschaften entstanden. Inzwischen ist er selbst Ehrenmitglied eines Veteranenvereins, hat ihre Berichte im Buch veröffentlicht. Und auch seine eigenen. Seine Erinnerungen an die Zeit, in der er ein kleiner Junge war: „Unser Haus stand am Dorfrand von Borg [...] Das Haus lag in direktem Schussfeld der deutschen Wehrmacht, die sich in dem Bunkergelände nordöstlich von Borg und im Kampholz-Wald befand und, nachdem die Amerikaner das Dorf besetzt hatten, mit Granaten nach Borg hineinschoss. Die Begegnung mit dem ersten Amerikaner war ein Alptraum für mich als Kind gewesen. Er stand mit dem Gewehr im Anschlag in unserem Hof. Mein Großvater, mit erhobenen Händen, stand einige Meter vor ihm. Meine Mutter kniete weinend vor dem Amerikaner, bittend und bettelnd, ihrem Vater doch kein Leid anzutun.“
Wie es weitergeht, steht neben vielen anderen fesselnden Berichten in Kiefers Buch. Auch über die vielen menschlichen Tragödien, die sich in den Wäldern, in den Feldern, in den Straßen- und Häuserkämpfen in den Dörfern abspielten, schreibt er. Vor – oder hinter der Höckerlinie: Sie sind echtes Leben – und Sterben. Diese Geschichten nicht nur zu sammeln, sondern sie auch zu veröffentlichen, war dabei nicht Peter Kiefers Ansinnen. Erst sein Namensvetter und ehemalige Orscholzer Ortsvorsteher Hermann Kiefer habe ihn überzeugt, die Sammlung zu veröffentlichen zu lassen. Was nun Hermann Kiefer im Eigenverlag übernommen hat, er kümmert sich um Druck und Vertrieb. „Wir wollen nichts daran verdienen“, sagt Peter Kiefer, das Buch ist „als Warnung vor den Schrecken des Krieges“gedacht, wie er sagt. In einem Krieg, in dem er mitten drin war. Als kleiner Junge in Borg.
„Dort lagen in Reihen nebeneinander tote Amerikaner. Daneben, aufgestapelt wie Holz, tote deutsche
Soldaten.“
Ännie Wagner
Zeitzeugin
Das Buch ist erhältlich bei der Dreiländereck & Saarschleifen Wandertourismus (DSW GmbH), Tel.: (06865) 1869822 (Montag bis Freitag: 10 bis 12 Uhr), Email info@dsw-orscholz.de. Das Buch kostet 39,90 Euro. Von jedem verkauften Buch wird ein Euro an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. gespendet.