Merkel setzt sich mit Ausgangssperren durch
Das Bundeskabinett hat die bundesweite Corona-Notbremse beschlossen. Das trifft auch das Saarland.
SAARBRÜCKEN (dpa/ulb) Auf die Menschen in vielen Landkreisen Deutschlands und auch in weiten Teilen des Saarlandes könnten schon übernächste Wochen nächtliche Ausgangsbeschränkungen zukommen. Auch mit offenen Läden, Sport in Gruppen und Außengastronomie, wie sie derzeit im Saarland möglich sind, wäre dann vielerorts Schluss. Entsprechende Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach Kritik an Alleingängen der Länder angekündigt hatte, wurden am Dienstag von der Bundesregierung
beschlossen. Kommende Woche könnten sie vom Parlament verabschiedet werden und dann den Bundesrat passieren. Hier zeichnet sich kein Einspruch ab. Damit könnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Gesetz noch kommende Woche unterschreiben.
Gelten sollen die Beschränkungen, wenn in einem Kreis über drei Tage hinweg die Sieben-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen über 100 Fällen je 100 000 Einwohner liegt. Im Saarland blieben am Dienstag laut Gesundheitsministerium nur die Kreise Merzig-Wadern (83) und St. Wendel (54,2) darunter. Der Regionalverband Saarbrücken (166,5) sowie die Kreise Neunkirchen (178,2), Saarlouis (122,6) und Saarpfalz (122,7) lagen klar darüber. Bliebe es dabei, wäre hier bald von 21 bis 5 Uhr der Aufenthalt außerhalb einer Wohnung oder Gartens im Grundsatz nicht erlaubt. Der Grenzwert ist aber noch umstritten. Die Inzidenz sei „unzuverlässig“und bilde die Lage vor Ort nicht ausreichend klar ab, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann.
Nach dem Kabinettsbeschluss soll an Schulen Präsenzunterricht nur mit zwei Coronatests pro Woche gestattet werden. Bei einer Inzidenz von über 200 in einem Kreis soll dort der Präsenzunterricht ganz untersagt werden. Das Kabinett beschloss auch eine Änderung der Arbeitsschutzverordnung: Unternehmen müssen Beschäftigten Corona-Tests anbieten.
BERLIN (dpa) Eigentlich hat Angela Merkel schon alles zur Notwendigkeit der gerade in ihrem Kabinett beschlossenen Bundes-Corona-Notbremse gesagt. Da wird sie noch gefragt, ob es auch schnell genug gehe mit den bundesweit verpflichtenden Einschränkungen. „Ich kann aus meiner Perspektive nur sagen, dass je schneller es geht, umso besser das natürlich ist“, meint sie da noch. Ob ihr Wort Gehör findet, darf in diesem Moment am Dienstag im Kanzleramt aber bereits bezweifelt werden.
Dabei wird der Ruf von Ärzten und Epidemiologen nach einem effektiveren Durchgreifen gegen die Pandemie und besonders die Ausbreitung von Virusmutanten schon seit Wochen lauter. „Wir müssen mit den Corona-Infektionszahlen weiter deutlich nach unten. Andernfalls droht uns eine neue dritte Pandemiewelle, die unser Gesundheitssystem überfordern könnte“, sagte die Chefin des Bundesverbands der deutschen Amtsärzte, Ute Teichert, schon am 9. Februar. Sechs Wochen, unzählige Bund-Länder-Diskussionen und eine Entschuldigung der Kanzlerin über verpatzte Osterruhetage später schlug Merkel Ende März andere Töne an. Einige Länder ließen es an geeigneten Maßnahmen fehlen – wenn das nicht „in sehr absehbarer Zeit“anders werde, müsse sie sich bundeseinheitliche Regelungen überlegen, sagte die Kanzlerin am 28. März in einer Talkshow. Acht weitere Tage vergingen, bis CDU-Chef Armin Laschet auf den Verschärfungskurs einschwenkte und an Ostermontag einen „Brücken-Lockdown“vorschlug. Die Lage erfordere es, „dass wir noch mal in vielen Bereichen nachlegen und uns Richtung Lockdown bewegen“. Doch das Gezänk und die unterschiedlichen Positionen zwischen Bund und Ländern und zwischen SPD- und Unions-Ministerpräsidenten ging erst einmal weiter, während der Anstieg der Infektionszahlen wegen der Osterferien auch erstmal weniger dramatisch aussah. Eine Hauptfrage war über Tage: Wann sollte eine geplante Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) stattfinden? Vier weitere Tage später kam am vergangenen Freitag die Wende. Die MPK wurde abgesagt, stattdessen sollte nun eilig das Infektionsschutzgesetz nachgeschärft werden. Nach vier weiteren Tagen – die Sieben-Tages-Inzidenz hatte den höchsten Wert seit 15. Januar erreicht – beschloss das Kabinett nun die Bundes-Notbremse, die weite Teile Deutschlands bald treffen dürfte.
Darin vorgesehen: abendliche Ausgangsbeschränkungen ab einer Sieben-Tages-Inzidenz von 100, Zusammenkünfte nur mit zwei Hausständen,
geschlossene Läden, Restaurants, Kinos. Präsenzunterricht soll nur mit Tests zweimal die Woche möglich sein – und ab 200 Neuinfektionen pro Kreis und 100 000 Einwohnern in sieben Tagen dann gar nicht mehr. Und das alles ohne langes Diskutieren, ohne Öffnungsexperimente und ohne Ausnahmen – so der Plan. Doch reicht das? Und wann tritt es nun in Kraft?
Eines zeichnet sich am Dienstag deutlich ab: So schnell, wie es mit einer Verkürzung von Beratungszeiten möglich wäre, kommt die Bundes-Notbremse
nicht. Opposition und Regierungsfraktionen scheinen sich im Bundestag weitgehend einig, dass sie ausführlich beraten wollen. Den Parlamentsbeschluss soll es in einer Woche, am Mittwoch, geben. Der Bundesrat könnte dann allerdings auf die Tube drücken und am Tag drauf Ja sagen – oder die Länder rufen den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat für Nachverhandlungen an, was auch noch einmal dauern würde.
In Kraft treten sollen die neuen Regeln dann einen Tag nach der Unterzeichnung
durch den Bundespräsidenten. Es dürften allerdings fünf weitere Tage vergehen, bis die bundesweite Notbremse in Landkreisen oder kreisfreien Städten zum ersten Mal greift. Denn Voraussetzung ist, dass dort an drei aufeinander folgenden Tage eine Sieben-Tage-Inzidenz von mindestens 100 gemeldet wird. „Ab dem übernächsten Tag“, also wiederum zwei Tage später, sollen dann die bundeseinheitlich geregelten Verschärfungen dort wirksam werden. Kurzum: Die Wirkung der Bundesbremse dürfte Ende April eintreten. Vor eben diesem Szenario hat die Intensivmediziner-Vereinigung Divi just vor dem Kabinettsbeschluss gewarnt. „Wir müssen davon ausgehen, dass wir deutschlandweit jetzt jeden Tag zwischen 50 und 100 neue Covid-Intensivpatienten aufnehmen müssen“, sagte Divi-Präsident Gernot Marx in einem Interview. Wenn das Gesetz erst Ende April beschlossen werde, werde die Patientenzahl auf 7000 steigen. „Wir reden über sehr viele schwere Erkrankungen und über viele Menschen, die das nicht überleben werden.“
„Wir reden über viele Menschen, die das nicht
überleben werden.“
Gernot Marx
Präsident der Intensivmediziner-Vereinigung