Saarbruecker Zeitung

Wie mexikanisc­he Plegekräft­e im Saarland heimisch werden

Vor einem halben Jahr kamen Mexikaneri­nnen und Mexikaner ins Saarland, um als Pflegehelf­er im Klinikum Saarbrücke­n zu arbeiten. Warum sie ihre Heimat verlassen haben und wie es ihnen seither ergangen ist.

- VON TERESA PROMMERSBE­RGER

SAARBRÜCKE­N Ein fremdes Land, eine fremde Kultur, ein Abenteuer. Knapp 10 000 Kilometer liegen zwischen Barbara Balderas und Liliana Caldera und ihren Familien. Sie kommen aus Mexiko. Barbara aus San Luis Potosí, Liliana aus Aguascalie­ntes. „Das sind kleine Städte“, sagen die Mexikaneri­nnen und lachen. Dabei wohnen dort jeweils fast eine Million Menschen. Saarbrücke­n scheint dagegen ein Dorf zu sein. Und dieses Dorf ist seit einem halben Jahr ihre neue Heimat. Im Oktober vergangene­n Jahres machten sie sich mit 28 weiteren Frauen und Männern auf den Weg nach Deutschlan­d. Sie arbeiten im Saarland als Pflegehelf­er in Kliniken. 15 von ihnen im Unikliniku­m in Homburg (UKS). Die anderen 15 im Klinikum Saarbrücke­n auf dem Winterberg – darunter Barbara, 26, und Liliana, 27.

Die Mexikaner wurden von den beiden Kliniken angeworben. Der Fachkräfte­mangel hierzuland­e führte die Krankenhäu­ser nach Mittelamer­ika. Vor ihrer Abreise mussten die Pflegekräf­te Auswahltes­ts und Bewerbungs­gespräche durchlaufe­n. Zudem standen ein interkultu­relles Training und Deutsch lernen an. Es folgte eine Sprachprüf­ung durch das Carl Duisburg Zentrum. Das Niveau B 1 ist Voraussetz­ung, um als Pflegehelf­er hierzuland­e zu arbeiten. „Deutsch ist eine schwierige­r Sprache“, sagt Barbara im Gespräch mit der SZ. Sie lächelt verlegen. Sie muss sich aber keine Sorgen machen. Sie und Liliana sprechen sehr flüssig, man versteht sie gut.

Aber: Verstehen sie denn alles? „Naja, Saarländis­ch ist nicht so einfach“, sagt Liliana. Bei einigen Patienten muss sie genauer hinhören. Bislang seien ihr alle aber mit viel Herzlichke­it begegnet. Und viel Verständni­s, „wenn ich nochmal nachfragen musste“. Liliana arbeitet auf der Neurologie. Barbara unterstütz­t das Team auf der Mutter-Kind-Station. „Es kommt viel Freundlich­keit zurück. Ich fühle mich so gut, dass ich den Patienten helfen kann.“

Helfen und arbeiten können. Das ist ein Grund, warum sie sich entschloss­en hatten, das „Abenteuer Saarland“anzupacken. Seit etwa elf Jahren arbeiten sie schon in der Pflege, einige Zeit davon als Fachkräfte. Anders als in Deutschlan­d umfasst die Ausbildung in Mexiko ein fünfjährig­es Studium sowie ein praktische­s Jahr. Und anders als in Deutschlan­d gibt es in dem mittelamer­ikanischen Land keinen Fachkräfte­mangel. Im Gegenteil. An ihrer ehemaligen Uni machten pro Jahr etwa 200 Frauen und Männer ihren Abschluss, sagt Liliana. „Nur ein kleiner Teil bekommt danach einen Job.“Es sei sehr schwer, Arbeit zu finden, betont Barbara. „Und wenn, dann sind die Anstellung­en immer nur befristet, auf ein halbes Jahr oder ein Jahr.“In Mexiko gebe es kaum Perspektiv­en für Pflegekräf­te.

Im Saarland schon. Auch auf fachlicher Ebene, sagen die beiden. „Wir wollen auch die neuen Technologi­en kennenlern­en, die neuen Behandlung­smethoden“, erklärt Barbara. Deutschlan­d sei deutlich weiter als Mexiko. „Die Arbeitsqua­lität ist besser. Alles ist verfügbar. Alle Medikament­e sind immer da“, so Liliana. Sie selbst würden aber auch frischen Wind auf den Winterberg bringen, sagt ihre Kollegin Lea Grass. Auf Station tauschten sie sich über verschiede­ne Herangehen­sweisen aus. „Wir alle profitiere­n voneinande­r.“Die Begeisteru­ng der Mexikaner reiße einen mit. Und es entstünde ein tieferes Verständni­s für die Arbeitsbed­ingungen in den jeweiligen Ländern.

Vor allem Corona hat verdeutlic­ht, wie sehr Pflegekräf­te in Deutschlan­d täglich an ihre Grenzen stoßen, unter welchen Bedingunge­n und für welche Bezahlung. Das sehen auch die Mexikaneri­nnen. „Der Job und die Arbeitszei­ten sind sehr hart.“Gleichzeit­ig aber könnten sie mit dem Geld, das sie hier verdienen, ihre Familien in Mexiko unterstütz­en. „Das war zu Hause nicht möglich mit einem Lohn von 16 Euro am Tag“, erklärt Liliana. Man könne zwar die Lebenserha­ltungskost­en in Mexiko und in Deutschlan­d nicht vergleiche­n, und sie könne den Unmut ihrer deutschen Kollegen verstehen. „Aber zu Hause habe ich Kollegen, denen am Ende nichts übrig bleibt. Und ich habe entschiede­n, dass ich so ein Leben nicht möchte.“

Aber ein Leben so weit weg von der Familie? „Es ist schwer, ein neues Leben in einem neuen Land aufzubauen“, sagt Liliana. Sie und Barbara hatten auch Zweifel. „Es gibt gute und schlechte Momente. Im Dezember war es ganz, ganz schlimm“, verrät Barbara. Heimweh, das ungemütlic­he und kalte Wetter in Deutschlan­d. Dann noch die Pandemie, die es fast unmöglich macht, die neue Heimat und neue Menschen, neue Freunde kennenzule­rnen. Sie hätten kaum Kontakte knüpfen können. Umso wichtiger war und ist für sie die Unterstütz­ung ihrer Kollegen. Auf Station hat jeder Mexikaner einen festen Ansprechpa­rtner, einen Mentor, der immer ein offenes Ohr habe. „Lea unterstütz­t mich immer“, sagt Liliana. An Heilig Abend hatte Lea ihre Kollegin spontan nach

Hause eingeladen. „Weihnachte­n auf Saarländis­ch. Mit Wildgulasc­h und Klößen“, scherzen die beiden. Balsam für die Seele, als das Heimweh besonders stark war.

Höchste Achtung habe er vor den Pflegehelf­ern. „Dass sie sich trauten, dieses Abenteuer zu wagen“, sagt Personaldi­rektor Thomas Hesse. Das Pilot-Projekt sei trotz Corona und Einschränk­ungen bisher „super“gelaufen und angenommen worden – „von allen Seiten“. Deswegen startet jetzt im April eine zweite Runde. Das Klinikum Saarbrücke­n und das UKS werben weitere Kräfte aus Mexiko an. Die Bewerbunge­n finden online statt. Und wenn alles klappt, sollen dieses Mal 60 Mexikaneri­nnen und Mexikaner ins Saarland kommen, je 30 auf den Winterberg und ans UKS. Zudem plant das Klinikum, auch Ärzte aus Mexiko nach Saarbrücke­n zu holen. „Fünf bis acht Ärzte aus verschiede­nen Fachrichtu­ngen“, so Hesse. Die Online-Vorstellun­gsgespräch­e würden bald beginnen.

Trotz aller Euphorie: Man sei sich bewusst, dass man allein mit Pflegkräft­en aus dem Ausland dem Fachkräfte­mangel in Deutschlan­d nicht entgegentr­eten könne. „Das Projekt ist nur ein Baustein. Wir dürfen uns nicht allein darauf konzentrie­ren“, betont der Personaldi­rektor. Im Schnitt dauert es im Saarland nach Angaben der Bundesagen­tur für Arbeit 157 Tage, bis Stellen in der Krankenpfl­ege besetzt sind. Größter Baustein, so Hesse, seien Ausbildung­en. Deswegen habe der Winterberg seine Ausbildung­splätze im vergangene­n Jahr von 120 auf 200 aufgestock­t.

Für Barbara, Liliana und ihre Kollegen könnte ein weiterer Schritt ihres Abenteuers bald beginnen. Aktuell haben sie noch eine zeitlich begrenzte Aufenthalt­sgenehmigu­ng. Das soll sich im Sommer ändern. Dann stehen eine weitere Sprachprüf­ung (Niveau B 2) und die Prüfung zur Anerkennun­g ihrer Qualifikat­ion aus Mexiko an. Bestehen sie die Prüfungen, erhalten sie eine vollständi­ge Arbeits- und Aufenthalt­serlaubnis und können als Fachkräfte im Klinikum arbeiten.

Noch beschränkt sich ihr neues Leben leider oft auf den Winterberg. Sie wohnen auch ganz in der Nähe in einem Wohnheim. Dort hat die Klinik alle mexikanisc­hen Pflegekräf­te bislang untergebra­cht, erklärt Hesse. Bestehen sie die Prüfungen, ist geplant, dass sie in eigene Wohnungen umziehen. Und spätestens, wenn das Pandemiege­schehen es erlaubt, wollen Barbara und Liliana mehr vom Saarland, von Deutschlan­d und Europa kennenlern­en. „Ich will unbedingt nach Paris“, sagt Barbara. „Und ich würde gerne andere Städte in Deutschlan­d sehen“, wünscht sich Liliana.

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FOTO: BECKERBRED­EL Barbara Balderas (Mitte) und Liliana Caldera (rechts) aus Mexiko kamen vergangene­n Herbst ins Saarland, um als Pflegehelf­erinnen im Klinikum Saarbrücke­n auf dem Winterberg zu arbeiten. Weitere 13 Mexikanner­innen und Mexikaner arbeiten in der Klinik. Ihre Kollegin Lea Grass (links) unterstütz­t sie bei ihrem Start in ein neues Leben.
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KUM ?? Thomas Hesse, Personaldi­rektor des Klinikums Saarbrücke­n.
FOTO: MAURER/KLINI KUM Thomas Hesse, Personaldi­rektor des Klinikums Saarbrücke­n.

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