Was Olaf Scholz vom „Saarland-Modell“hält
Der Vizekanzler will jetzt Klarheit und keine „ganz lange wissenschaftliche Debatte“in der Corona-Krise – Sympathie für das „Saarland-Modell“
Olaf Scholz (SPD) hat maßgeblich am Entwurf der neuen Bundesregelung in der Corona-Krise mitgewirkt. Im SZ-Gespräch verteidigt der Finanzminister Ausgangsbeschränkungen, sieht aber auch gute Ansätze beim „Saarland-Modell“.
Gegen die Regeln der Bundesnotbremse gibt es Kritik. Wie haben Sie Ihre SPD-Regierungschefs eingeschworen, sich überhaupt auf einen solchen Schritt einzulassen?
SCHOLZ Das war gar nicht schwer, denn die SPD-Regierungschefinnen und -chefs setzen in ihren Ländern die Notbremse um. Mit dem Bundesgesetz wollen wir dafür sorgen, dass Deutschland insgesamt einheitlich vorgeht und Rechtssicherheit herrscht. Viele Bürgerinnen und Bürger beklagen zu Recht, dass es an Klarheit mangelt – die schaffen wir jetzt. Unser Ziel: Mit dem Impfen Woche für Woche so gut voranzukommen, dass wir im Sommer die Pandemie endlich hinter uns lassen können. Dafür ist es aber auch nötig, dass die Zahl der Neuinfizierten nicht zu stark steigt und uns einen Strich durch die Rechnung macht – deshalb müssen wir jetzt entschlossen handeln.
Aber war das nicht auch ein Machtwort des Kanzlerkandidaten innerhalb der SPD?
SCHOLZ Politik braucht Führung, gerade in Krisenzeiten. Zur Führung gehört es, sich im Vorfeld eng mit allen abzusprechen und die Ideen, die man vorschlägt, gut vorzubereiten. Sagen, was man tun will und dann tun, was man gesagt hat – das ist das ganze Geheimnis.
Es gibt am Gesetz sachliche Kritik. Was ist von einem Grenzwert zu halten, der wie die Sieben-Tage-Inzidenz je nach Feiertag oder Testaufkommen schwankt?
SCHOLZ Im Infektionsschutzgesetz muss geregelt werden, dass dann, wenn die Infektionszahlen zu stark steigen, etwas geschieht. Und zwar so, dass alle wissen: Das zeigt Wirkung. Das ist ein wirklicher Vorzug der Sieben-Tage-Inzidenz. Unverantwortlich wäre es jetzt, eine ganz lange wissenschaftliche Debatte darüber zu führen, was man alles auch anders machen könnte, ohne zu handeln. Wir können jetzt nicht Doktorarbeiten und Habilitationen schreiben. Wir müssen die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger schützen.
Die 100er-Grenze mag klar sein, aber ist sie auch rechtssicher?
SCHOLZ Ja, sonst hätten wir einen solchen Gesetzesantrag nicht vorbereitet.
Sind Ausgangssperren, wie sie im Gesetz stehen, eigentlich hilfreich? Es gibt auch Experten, die an ihrer Wirkung zweifeln.
SCHOLZ Ausgangsbeschränkungen wirken. Wir haben in vielen Ländern gesehen, dass sie zu einer Senkung der Infektionen beitragen. Es geht darum, Kontakte zu beschränken und das ist ein Weg, das zu erreichen – neben vielen anderen, die ebenfalls in dem Gesetz vorgesehen sind.
Ist die Bundes-Notbremse eine Bankrotterklärung für den Föderalismus nach einem Jahr Pandemie?
Scholz Nein, keinesfalls. Bund, Länder und Kommunen bekämpfen diese Pandemie seit mehr als einem Jahr gemeinsam – das ist eine gewaltige Aufgabe. Der Schritt jetzt, das Infektionsschutzgesetz zu ergänzen, baut auf den Erfahrungen vor Ort auf. Dass wir jetzt die gesetzliche Grundlage angesichts sehr stark steigender Infektionen präzisieren, dient der Einfachheit, der Klarheit und der Verbindlichkeit.
Das „Saarland-Modell“, mit Öffnungsangeboten die Testbereitschaft zu erhöhen, wurde von Ihrer Partei-Vize Anke Rehlinger unterstützt. War das falsch? Und was sagen Sie Frau Rehlinger?
SCHOLZ Die Infektionszahlen im Saarland waren lange niedrig. Das bot eine gute Grundlage auszuprobieren, welche Handlungsoptionen existieren, um aus dem Lockdown langsam herauszukommen. Klar ist aber auch, dass wir Regeln für den Fall brauchen, dass die Infektionen – wie im Augenblick – wieder schnell und stark ansteigen. Deutschland ist keine Insel, deshalb betrifft uns das alle.
Sie teilen also nicht die schnelle Kritik der Kanzlerin?
SCHOLZ: Wie gesagt, es ist nachvollziehbar, bei niedrigen Infektionszahlen zum Beispiel zu schauen, was mit intensivem Testen möglich ist. Das Saarland ist da auch nicht allein. Die Frage, wie Öffnungsstrategien aussehen können, wird im Übrigen wieder wichtig, wenn das Infektionsgeschehen sich verbessert. Wenn wir dann die vereinbarten Öffnungsschritte gehen, werden die Erfahrungen hier an der Saar für alle wertvoll sein.
Nun kommt die Pflicht für Arbeitgeber, Corona-Tests anzubieten. Warum nicht eine Pflicht der Arbeitnehmer, sie zu nutzen? Die Schüler müssen das ja auch.
SCHOLZ: Die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wollen sich schützen und sind froh, wenn sie regelmäßige Tests in Anspruch nehmen können. Wir haben damit einen großen Schritt gemacht und ich bin sicher, dass sich das positiv auf den Betriebsalltag auswirken wird.
Der Pandemie-Bonus für die Union ist weg, besonders Armin Laschet hat Zuspruch verloren. Waren Sie froh, als sich die CDU dafür aussprach, ihn gegen Sie in den Wahlkampf zu schicken?
SCHOLZ Die Union muss selber wissen, ob sie sich mitten in einer Pandemie einen solchen Machtkampf leisten mag, statt sich um die Probleme des Landes zu kümmern. Letztlich ist es gar nicht so wichtig, wer für die Union und die Grünen ins Rennen gehen wird. Die SPD ist gut aufgestellt und hat früh entschieden, wer aus unserer Sicht Kanzler werden soll. Wir haben die Zeit genutzt, unser Programm für die nächsten Jahre zu entwickeln, denn es geht um viel: In den 20er Jahren werden wichtige Weichen gestellt, die über die Zukunft unseres Landes entscheiden. Wir wollen wirtschaftlichen Wohlstand sichern, den menschengemachten Klimawandel bewältigen, für mehr Respekt in der Gesellschaft sorgen und Europa eine Zukunftsperspektive geben. Wir müssen gar nicht auf die anderen schauen.
Woher nehmen Sie die Hoffnung, aus dem Umfrage-Tief zu kommen?
SCHOLZ Die Situation ist hochdynamisch. Die Parteien liegen gerade eng beieinander, die Union liegt deutlich unter 30 Prozent. Das zeigt, dass bei dieser Wahl für uns wirklich was drin ist, wenn wir es richtig anstellen. Wir wollen die nächste Regierung führen.
Das können Sie nur, wenn die SPD vor den Grünen liegt. Sind die der Hauptgegner? Und was macht Ihnen Hoffnung?
SCHOLZ Gerade in diesen Tagen wird allen endgültig klar, dass es einen Wechsel im Kanzleramt geben wird. Die Bürgerinnen und Bürger werden nun genau überlegen, wer der nächste Kanzler werden soll. Ich bin sehr zuversichtlich, dass viele deshalb ihr Kreuz bei der SPD machen werden – wir haben eine klare Vorstellung für die Zukunft und einen Kandidaten, der Kanzler kann.