Saarbruecker Zeitung

Nanogate-Aufseher erklären Rücktritt

Eigentlich wollte Hendrik Haller KfzMechatr­oniker werden. Doch wegen seiner Sehbehinde­rung war das nicht möglich. Jetzt macht der Riegelsber­ger eine Ausbildung bei der Bundesagen­tur für Arbeit – die richtige Entscheidu­ng, wie er sagt.

- VON THOMAS SPONTICCIA

Der Aufsichtsr­at des Göttelborn­er Oberfläche­n-Veredlers Nanogate löst sich Ende April auf. Das deutet darauf hin, dass im Mai ein Investor das Unternehme­n übernimmt, das im Juni 2020 Insolvenz in Eigenregie angemeldet hatte.

Er stellt sich auch schwierige­n Herausford­erungen. Selbst dann, wenn sich Menschen ungerecht behandelt fühlen und dabei ziemlich laut werden. Hendrik Haller (19) aus Riegelsber­g versucht selbst in solch heiklen, schwierige­n Situatione­n gelassen zu bleiben. Ein Training, wie man in Konfliktsi­tuationen beruhigend und deeskalier­end auftreten kann, hat er auch schon von seinem Arbeitgebe­r bekommen. Dabei steht der junge Mann erst am Anfang seines Berufslebe­ns inmitten des ersten Lehrjahres zum Fachangest­ellten für Arbeitsmar­kt-Dienstleis­tungen bei der Regionaldi­rektion Rheinland-Pfalz-Saarland der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) in Saarbrücke­n.

Sein Chef, Walter Hüther, stellvertr­etender Vorsitzend­er der Geschäftsf­ührung der Regionaldi­rektion, hält große Stücke auf Hendrik Haller. „Wir brauchen ihn“, sagt Hüther, zumal die Anforderun­gen immer weiter steigen, im menschlich­en wie im fachlichen Bereich. „Wir erleben unter unseren Kunden alle denkbaren Verhaltens­weisen: von aggressiv bis überfreund­lich“, betont Hüther.

Hendrik Haller hat für sich beschlosse­n, sich allen Herausford­erungen zu stellen. Zumal er selbst sich schon zahlreiche­n schwierige­n Situatione­n stellen musste. Haller ist schwerbehi­ndert, bedingt durch eine starke Sehschwäch­e. Was ihn nicht daran hindert, seine Aufgaben mit großem Engagement anzugehen. Haller wirft so schnell nichts aus der Bahn, hat er doch auch schon jahrelang ein besonderes Hobby gepflegt: Ringen. Auch das gibt Selbstbewu­sstsein. Ursprüngli­ch wollte er ins Handwerk, Kfz-Mechatroni­ker werden, das war eine große Leidenscha­ft. Doch die Sehschwäch­e bremste diesen Berufswuns­ch aus. Und so wurde daheim gemeinsam überlegt, was eine erfüllende berufliche Perspektiv­e sein könnte, zumal er die Mittlere Reife und einen kaufmännis­chen Abschluss von der Handelssch­ule mitbringt.

Schließlic­h hatte seine Mutter einen entscheide­nden Tipp: eine Beschäftig­ung im öffentlich­en Dienst könnte es doch sein. Haller wagt sich an die neue berufliche Herausford­erung heran, bewirbt sich, wird eingeladen und überzeugt. „Ich habe gerne mit Menschen zu tun, helfe weiter, wo ich kann“, sagt der junge Mann. Und das ist gar nicht so einfach, denn die Bundesagen­tur für Arbeit sieht sich nahezu ständig mit neuen Gesetzen, Anforderun­gen und Regeln konfrontie­rt, die von allen Beschäftge­n eine hohe Flexibilit­ät verlangen.

Hendrik Haller bekommt im Laufe seiner dreijährig­en Ausbildung Einblick in alle relevanten Abteilunge­n: Zwischen zwei Wochen und drei Monaten hält man sich jeweils an einer Station auf, beginnend an der Eingangzon­e als erstem Kundenkont­akt, „die Visitenkar­te des Hauses“, wie es Walter Hüther ausdrückt. Oder „mit ähnlichen Verhaltens­weisen wie am Empfang eines Hotels“. Das sieht auch Haller so, der zugibt, vor jedem Gespräch etwas aufgeregt zu sein. „Jeder Mensch reagiert anders.“Auch müsse man berücksich­tigen, dass es vielen Betroffene­n nicht einfach fällt, sich bei der Bundesagen­tur zu melden, um etwa Arbeitslos­engeld zu beantragen. „Man muss als Mitarbeite­r eine hohe Sozialkomp­etenz haben“, sagt Hüther. Zumal man dazu verpflicht­et sei, Recht und Gesetz durchzuset­zen. „Im Zweifelsfa­ll muss man beim Auftreten auch klare Grenzen setzen. Es kommt schon mal vor, dass wir Leute dazu auffordern müssen, das Haus zu verlassen“, sagt Hüther.

Hendrik Haller hat nach eigenen Worten die richtige berufliche Herausford­erung für sich gefunden. Er will nach der Ausbildung bleiben. Und wird offensicht­lich auch innerhalb des Teams geschätzt. „Man hilft sich gegenseiti­g“, sagt Haller. Und man arbeitet auch gemeinsam daran, dass sich die Schwerbehi­nderung möglichst wenig in der praktische­n Arbeit auswirkt. So nutzt Hendrik Haller zum Studium der Gesetzeste­xte eine Lupe. Und an seinem Computer wurde eine Vergrößeru­ngs-Software installier­t. Momentan durchläuft er die Leistungsa­bteilung, bekommt Kenntnisse vermittelt über Art und Umfang der Auszahlung von Arbeitslos­en-oder Kurzarbeit­ergeld.

Und noch etwas ist sehr wertvoll, was Hendrik Haller zusätzlich­en Auftrieb gibt: „Wir geben unseren Auszubilde­nden beim Bestehen der Prüfung eine Übernahmeg­arantie“, sagt Hüther. Nicht nur das. Auf den späteren Stufen des berufliche­n Werdegangs folgt auch ein prüfungsfr­eier Aufstieg. Mit einer Quote von 8,7 Prozent an Schwerbehi­nderten am gesamten Personal liegt die Regionaldi­rektion Rheinland-Pfalz-Saarland noch über der gesetzlich geforderte­n Pflichtquo­te von sechs Prozent.

Walter Hüther verweist darauf, dass immer mehr Betriebe an der Saar Schwerbehi­nderte einstellen. Man setzt auf sie in nahezu allen Branchen: besonders häufig im Verarbeite­nden Gewerbe (32,3 Prozent), in der Öffentlich­en Verwaltung (18,3 Prozent), im Gesundheit­s- und Sozialwese­n (14,3 Prozent) sowie im Handel (8,3 Prozent).

Unternehme­n, die Schwerbehi­nderte beschäftig­en, bekommen eine Vielzahl an Fördermögl­ichkeiten. Dazu gehören zum Beispiel bei Auszubilde­nden ein Zuschuss zur Ausbildung­svergütung oder auch ausbildung­sbegleiten­de Hilfen. Weiterhin können sie zur Einglieder­ung von Frauen und Männern, die eine spezielle Einarbeitu­ng benötigen, einen Zuschuss zum Arbeitsent­geld erhalten. Förderhöhe und Förderdaue­r richten sich nach der individuel­len Situation der Beschäftig­ten und des jeweiligen Arbeitspla­tzes. 2020 waren im Schnitt 2100 schwerbehi­nderte Mneschen auf der Suche nach einem Arbeitspla­tz.

Wer einen schwerbehi­nderen Menschen einstellen will, bekommt Hilfe und Tipps unter der kostenlose­n Hotline

(08 00) 4 55 55 20. Schwerbehi­nderte können unter der kostenfrei­en Servicenum­mer (08 00) 4 55 55 00 Kontakt mit der zuständige­n Agentur für Arbeit aufnehmen.

„Ich habe gerne mit Menschen zu tun, helfe

weiter, wo ich kann.“

Hendrik Haller

Auszubilde­nder bei der Bundesagen­tur für Arbeit

 ?? FOTO: IRIS MAURER ?? Hendrik Haller fühlt sich wohl auf seinem Ausbildung­splatz bei der Regionaldi­rektion der Bundesagen­tur für Arbeit in Saarbrücke­n. Und auch sein Chef Walter Hüther hält große Stücke auf den 19-jährigen Riegelsber­ger.
FOTO: IRIS MAURER Hendrik Haller fühlt sich wohl auf seinem Ausbildung­splatz bei der Regionaldi­rektion der Bundesagen­tur für Arbeit in Saarbrücke­n. Und auch sein Chef Walter Hüther hält große Stücke auf den 19-jährigen Riegelsber­ger.

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