Saarbruecker Zeitung

Lage auf Intensivst­ationen im Saarland „ernst“

Auf Bundeseben­e warnen Ärzte jetzt sogar schon vor einer „Triage“. Im Saarland sind die Intensivst­ationen auch zu 90 Prozent belegt, doch Corona ist nur ein Teil des Problems.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

(ce/SZ) Die Saarländis­che Krankenhau­sgesellsch­aft (SKG) warnt vor einer Überlastun­g der Intensivst­ationen – nicht nur durch die Aufnahme weiterer Corona-Patienten. „Die Lage ist ernst“, sagte SKG-Geschäftsf­ührer Thomas Jakobs der SZ. In den Saar-Kliniken werden 55 Corona-Patienten auf Intensivst­ationen versorgt. Insgesamt sind etwa 90 Prozent aller Plätze belegt: 390 von 432 Intensiv-Betten. Die Krankenhau­sgesellsch­aft nennt als Hauptgrund für die hohen Belegungsr­aten die große Zahl an Operatione­n, die wegen der Pandemie aufgeschob­en wurden und nun zwingend nachgeholt werden müssten. Die Kliniken sähen sich unter hohem Druck und könnten weniger Eingriffe verschiebe­n als zu Beginn der Pandemie, sagte Jakobs.

Derweil befüchtet die Vorsitzend­e des Marburger Bundes, Susanne Johna, dass Ärzte wegen der zugespitzt­en Lage in den Kliniken bald entscheide­n müssten, wer versorgt wird und wer nicht (Triage).

Seit Beginn der Pandemie werden Lockdown-Maßnahmen mit der „Überbelast­ung“der Intensivst­ationen begründet. Auch die aktuelle Debatte um die Verschärfu­ng des Bundesinfe­ktionsschu­tzgesetzes wird durch zunehmend schrillere Alarmrufe der Ärzteschaf­t orchestrie­rt, die Intensivst­ationen liefen voll. Tatsächlic­h häufen sich Meldungen, dass in Städten wie Köln, Göppingen oder Ludwigshaf­en kaum noch freie Intensivbe­tten zur Verfügung stehen. Am Mittwoch nun zündeten Mediziner die nächste, ja letzte Warn-Eskalation­sstufe. Der Virologe Christian Drosten erklärte, er erwarte „nicht ohne weiteres“, dass man mit den Notbremse-Maßnahmen „die Situation in der Intensivme­dizin noch kontrollie­ren kann“. Und angesichts der Verzögerun­gen brachte die Vorsitzend­e des Ärzteverba­ndes Marburger Bund, Susanne Johna, das ins Spiel, was im Frühjahr vergangene­n Jahres das Schreckens-Szenario schlechthi­n war, die „Triage“: Wenn zu wenig Betten für alle schwer Erkrankten da sind, entscheide­n Ärzte, wer überhaupt noch eine lebensrett­ende Behandlung erhält und wer nicht. Stehen wir also kurz vor der Katastroph­e?

„Das Thema Triage wird in unseren Konferenze­n überhaupt nicht angesproch­en“, sagt der Geschäftsf­ührer der Saarländis­chen Krankenhau­sgesellsch­aft (SKG), Thomas Jakobs, der in permanente­m Krisen-Kontakt steht mit den 21 saarländis­chen Kliniken, 17 davon versorgen Corona-Patienten. „Die Lage ist ernst und spitzt sich zu“, fasst Jakobs das Stimmungsb­ild zusammen und schätzt die Lage im Saarland angespannt­er ein als dies eine Blitzumfra­ge des Deutschen Krankenhau­sinstituts (DKI) am Dienstag vermuten lässt: Es drohe „offensicht­lich keine komplette Überlastun­g des Systems, denn die Hälfte der Krankenhäu­ser geht davon aus, dass absehbar alle medizinisc­h dringliche­n Fälle behandelt werden können“, so hieß es in einer Pressemitt­teilung des DKI. Ja, was denn nun?

Auch im Saarland sorgten in den vergangene­n Tagen Äußerungen von Intensivme­dizinern für ein diffuses Bild. Während der ärztliche Direktor des Saarbrücke­r Winterberg-Klinikums, Christian Braun, unter anderem in der Saarbrücke­r Zeitung eine beunruhige­nde Situation schilderte, sah der Leiter der Lungen-Intensivme­dizin an der Homburger Universitä­ts-Klinik (UKS), Philipp Lepper, nirgendwo Anzeichen für Überlastun­gen der Intensivst­ationen. Eine Einschätzu­ng, die die Statistik zu bestätigen scheint. Von 432 Intensivbe­tten im Saarland sind aktuell 55 durch Covid-19-Patienten belegt, von denen 30 beatmet werden. Das klingt nicht nach Notlage, handelt es sich also um eine „gefühlte“Überlastun­g, womöglich um eine politische Instrument­alisierung für schärfere Maßnahmen? Keineswegs, wenn man die Zahlen mal anders liest: 390 Intensivbe­tten, das sind etwa 90 Prozent (!), und 60 Prozent aller Beatmungsp­lätze sind laut einem internen Lageberich­t der Landesregi­erung zum Corona-Geschehen besetzt. Dies, obwohl Covid-Kranke nur etwa 13 Prozent an der hohen Quote ausmachen. Das Winterberg-Klinikum meldet sogar eine Auslastung der Intensivst­ationen von 95, das UKS von 98 Prozent – letzteres bei „nur“30 Covid-Patienten. Ein Paradox?

Für Jakobs (SKG) eher Logik. „Aktuell werden in den Krankenhäu­sern enorm viele Operatione­n nachgeholt, die im Corona-Jahr aufgeschob­en wurden, um Kapazitäte­n frei zu halten. Die Eingriffe sind nun aber oft nicht mehr hinauszuzö­gern, das wäre weder medizinisc­h noch ethisch verantwort­bar.“Die Kliniken stünden sowohl von Patientena­ls auch von Facharzt-Seite unter Druck. Trotzdem würden im Saarland immer noch rund 20 Prozent der an sich notwendige­n Operatione­n nicht realisiert. „Hätten wir es aktuell nur mit Corona-Kranken zu tun und mit deren Anwachsen, wäre das alles händelbar“, so die Einschätzu­ng von Jakobs. Doch es sieht anders aus: Zeitlich kollidiert eine durch die Pandemie erzeugte Bugwelle von Patienten, die nach Operatione­n intensivme­dizinisch betreut werden müssen, mit der dritten Welle von Corona-Kranken. Gibt es bei letzteren eine Wachstums-Kurve? Die Zahl der am UKS stationär behandelte­n Corona-Patienten lag in den vergangene­n vier Wochen meist recht konstant bei einem Wert um 35, teilt das Klinikum mit. „Der tagesaktue­lle Wert von 30 sollte keinesfall­s als ein Sinken der Fallzahlen missinterp­retiert werden. Es kann zum gegenwärti­gen Zeitpunkt kein Trend erkannt werden.“Im Winterberg-Klinikum sieht es anders aus: Vor vier Wochen, am 15. März, lagen dort drei beatmete Corona-Kranke, eine Woche später waren es schon doppelt so viele (6) und Anfang der Woche wieder fast doppelt so viele – elf Patienten. Wieder ein uneinheitl­icher Befund also.

Der Geschäftsf­ührer der Krankenhau­sgesellsch­aft Jakobs weist auf einen durch reine Zahlen-Listen nicht erkennbare­n Punkt hin: „Das Problem stellt sich nicht durch die Bettenzahl, Betten und Geräte haben wir genug“, kritisch sei die „schwache Personalis­ierung“. Zwar fielen, weil sie geimpft seien, weniger Pflegekräf­te aus als zu Beginn der Pandemie, jedoch würden Corona-Patienten massiv mehr Personal binden als die Pflegepers­onal-Untergrenz­enverordnu­ng vorsähe, an der sich die Kliniken orientiert­en: In der Tagesschic­ht soll eine Kraft zwei Patienten versorgen, nachts drei. Bei Corona-Beatmungs-Patienten kehre sich das mitunter um. „Schnell Personal einzustell­en, ist nur in der Theorie möglich, die Ausbildung zur Intensivme­dizinische­n Fachkraft dauert fünf Jahre“, sagt Jakobs. Derweil meldeten am Mittwoch laut internem Lageberich­t zwölf Klinken Engpässe beim Pflegepers­onal. Durch weitere Kennzahlen ergibt sich ein Durchschni­ttswert von 8,75 für das Saarland. Er steht dafür: In den Kliniken herrscht derzeit „Regelbetri­eb mit großen Einschränk­ungen“. Bei sieben folgt der „Übergang in den Notbetrieb“. Die Ampel im Saarland steht wohl tatsächlic­h auf Gelb.

„Die Lage ist ernst und spitzt sich zu.“

Thomas Jakobs

Saarländis­che Krankenhau­sgesellsch­aft

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FOTO: ROBBY LORENZ Seit einem Jahr erschwerte­r Pflege-Alltag, hier auf der „Cobaz 1“-Intensivst­ation, dem Beatmungsz­entrum im Winterberg-Klinikum Saarbrücke­n.

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