Lage auf Intensivstationen im Saarland „ernst“
Auf Bundesebene warnen Ärzte jetzt sogar schon vor einer „Triage“. Im Saarland sind die Intensivstationen auch zu 90 Prozent belegt, doch Corona ist nur ein Teil des Problems.
(ce/SZ) Die Saarländische Krankenhausgesellschaft (SKG) warnt vor einer Überlastung der Intensivstationen – nicht nur durch die Aufnahme weiterer Corona-Patienten. „Die Lage ist ernst“, sagte SKG-Geschäftsführer Thomas Jakobs der SZ. In den Saar-Kliniken werden 55 Corona-Patienten auf Intensivstationen versorgt. Insgesamt sind etwa 90 Prozent aller Plätze belegt: 390 von 432 Intensiv-Betten. Die Krankenhausgesellschaft nennt als Hauptgrund für die hohen Belegungsraten die große Zahl an Operationen, die wegen der Pandemie aufgeschoben wurden und nun zwingend nachgeholt werden müssten. Die Kliniken sähen sich unter hohem Druck und könnten weniger Eingriffe verschieben als zu Beginn der Pandemie, sagte Jakobs.
Derweil befüchtet die Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna, dass Ärzte wegen der zugespitzten Lage in den Kliniken bald entscheiden müssten, wer versorgt wird und wer nicht (Triage).
Seit Beginn der Pandemie werden Lockdown-Maßnahmen mit der „Überbelastung“der Intensivstationen begründet. Auch die aktuelle Debatte um die Verschärfung des Bundesinfektionsschutzgesetzes wird durch zunehmend schrillere Alarmrufe der Ärzteschaft orchestriert, die Intensivstationen liefen voll. Tatsächlich häufen sich Meldungen, dass in Städten wie Köln, Göppingen oder Ludwigshafen kaum noch freie Intensivbetten zur Verfügung stehen. Am Mittwoch nun zündeten Mediziner die nächste, ja letzte Warn-Eskalationsstufe. Der Virologe Christian Drosten erklärte, er erwarte „nicht ohne weiteres“, dass man mit den Notbremse-Maßnahmen „die Situation in der Intensivmedizin noch kontrollieren kann“. Und angesichts der Verzögerungen brachte die Vorsitzende des Ärzteverbandes Marburger Bund, Susanne Johna, das ins Spiel, was im Frühjahr vergangenen Jahres das Schreckens-Szenario schlechthin war, die „Triage“: Wenn zu wenig Betten für alle schwer Erkrankten da sind, entscheiden Ärzte, wer überhaupt noch eine lebensrettende Behandlung erhält und wer nicht. Stehen wir also kurz vor der Katastrophe?
„Das Thema Triage wird in unseren Konferenzen überhaupt nicht angesprochen“, sagt der Geschäftsführer der Saarländischen Krankenhausgesellschaft (SKG), Thomas Jakobs, der in permanentem Krisen-Kontakt steht mit den 21 saarländischen Kliniken, 17 davon versorgen Corona-Patienten. „Die Lage ist ernst und spitzt sich zu“, fasst Jakobs das Stimmungsbild zusammen und schätzt die Lage im Saarland angespannter ein als dies eine Blitzumfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) am Dienstag vermuten lässt: Es drohe „offensichtlich keine komplette Überlastung des Systems, denn die Hälfte der Krankenhäuser geht davon aus, dass absehbar alle medizinisch dringlichen Fälle behandelt werden können“, so hieß es in einer Pressemittteilung des DKI. Ja, was denn nun?
Auch im Saarland sorgten in den vergangenen Tagen Äußerungen von Intensivmedizinern für ein diffuses Bild. Während der ärztliche Direktor des Saarbrücker Winterberg-Klinikums, Christian Braun, unter anderem in der Saarbrücker Zeitung eine beunruhigende Situation schilderte, sah der Leiter der Lungen-Intensivmedizin an der Homburger Universitäts-Klinik (UKS), Philipp Lepper, nirgendwo Anzeichen für Überlastungen der Intensivstationen. Eine Einschätzung, die die Statistik zu bestätigen scheint. Von 432 Intensivbetten im Saarland sind aktuell 55 durch Covid-19-Patienten belegt, von denen 30 beatmet werden. Das klingt nicht nach Notlage, handelt es sich also um eine „gefühlte“Überlastung, womöglich um eine politische Instrumentalisierung für schärfere Maßnahmen? Keineswegs, wenn man die Zahlen mal anders liest: 390 Intensivbetten, das sind etwa 90 Prozent (!), und 60 Prozent aller Beatmungsplätze sind laut einem internen Lagebericht der Landesregierung zum Corona-Geschehen besetzt. Dies, obwohl Covid-Kranke nur etwa 13 Prozent an der hohen Quote ausmachen. Das Winterberg-Klinikum meldet sogar eine Auslastung der Intensivstationen von 95, das UKS von 98 Prozent – letzteres bei „nur“30 Covid-Patienten. Ein Paradox?
Für Jakobs (SKG) eher Logik. „Aktuell werden in den Krankenhäusern enorm viele Operationen nachgeholt, die im Corona-Jahr aufgeschoben wurden, um Kapazitäten frei zu halten. Die Eingriffe sind nun aber oft nicht mehr hinauszuzögern, das wäre weder medizinisch noch ethisch verantwortbar.“Die Kliniken stünden sowohl von Patientenals auch von Facharzt-Seite unter Druck. Trotzdem würden im Saarland immer noch rund 20 Prozent der an sich notwendigen Operationen nicht realisiert. „Hätten wir es aktuell nur mit Corona-Kranken zu tun und mit deren Anwachsen, wäre das alles händelbar“, so die Einschätzung von Jakobs. Doch es sieht anders aus: Zeitlich kollidiert eine durch die Pandemie erzeugte Bugwelle von Patienten, die nach Operationen intensivmedizinisch betreut werden müssen, mit der dritten Welle von Corona-Kranken. Gibt es bei letzteren eine Wachstums-Kurve? Die Zahl der am UKS stationär behandelten Corona-Patienten lag in den vergangenen vier Wochen meist recht konstant bei einem Wert um 35, teilt das Klinikum mit. „Der tagesaktuelle Wert von 30 sollte keinesfalls als ein Sinken der Fallzahlen missinterpretiert werden. Es kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Trend erkannt werden.“Im Winterberg-Klinikum sieht es anders aus: Vor vier Wochen, am 15. März, lagen dort drei beatmete Corona-Kranke, eine Woche später waren es schon doppelt so viele (6) und Anfang der Woche wieder fast doppelt so viele – elf Patienten. Wieder ein uneinheitlicher Befund also.
Der Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Jakobs weist auf einen durch reine Zahlen-Listen nicht erkennbaren Punkt hin: „Das Problem stellt sich nicht durch die Bettenzahl, Betten und Geräte haben wir genug“, kritisch sei die „schwache Personalisierung“. Zwar fielen, weil sie geimpft seien, weniger Pflegekräfte aus als zu Beginn der Pandemie, jedoch würden Corona-Patienten massiv mehr Personal binden als die Pflegepersonal-Untergrenzenverordnung vorsähe, an der sich die Kliniken orientierten: In der Tagesschicht soll eine Kraft zwei Patienten versorgen, nachts drei. Bei Corona-Beatmungs-Patienten kehre sich das mitunter um. „Schnell Personal einzustellen, ist nur in der Theorie möglich, die Ausbildung zur Intensivmedizinischen Fachkraft dauert fünf Jahre“, sagt Jakobs. Derweil meldeten am Mittwoch laut internem Lagebericht zwölf Klinken Engpässe beim Pflegepersonal. Durch weitere Kennzahlen ergibt sich ein Durchschnittswert von 8,75 für das Saarland. Er steht dafür: In den Kliniken herrscht derzeit „Regelbetrieb mit großen Einschränkungen“. Bei sieben folgt der „Übergang in den Notbetrieb“. Die Ampel im Saarland steht wohl tatsächlich auf Gelb.
„Die Lage ist ernst und spitzt sich zu.“
Thomas Jakobs
Saarländische Krankenhausgesellschaft