Saarbruecker Zeitung

Der letzte Castro nimmt jetzt seinen Hut

Auf Kuba fällt am Wochenende mit dem Rücktritt Raúl Castros der Vorhang für die Revolution­sgeneratio­n. Das Land ist in der schwersten Krise seit 1959.

- VON KLAUS EHRINGFELD

Es sollte eigentlich noch einmal so sein, wie immer auf den Parteitage­n. Die Rede des großen Vorsitzend­en, gefolgt von stehendem, lang anhaltende­m Applaus. Dieses Mal würden die Ovationen sogar noch länger dauern. Denn am Freitag vermutlich, zu Beginn des VIII. Parteitags der Kommunisti­schen Partei Kubas, wird Raúl Castro als Erster Sekretär des Zentralkom­itees seine letzte Rede halten. Castro, der schon 2018 als Staatschef abdankte, nimmt nach zehn Jahren auch als Parteichef an diesem Wochenende seinen Hut. Mit 89 Jahren.

Aber vermutlich können die Delegierte­n nur virtuell klatschen. Denn es ist fraglich, ob der Kongress als Präsenzver­anstaltung stattfinde­t. Kuba, das Corona bisher gut im Griff hatte, wird gerade von einer Welle von mehr als eintausend Neuansteck­ungen pro Tag getroffen.

Aber ob im Internet oder im Konferenzz­entrum – dieser Parteitag wird historisch und einer der wichtigste­n seit der Revolution von 1959. Und das nicht nur weil der letzte Castro geht und der Vorhang für die historisch­e Generation fällt. Vielmehr muss die neue Führungsge­neration um Staatschef Miguel Díaz-Canel (60), der wohl auch Parteichef werden wird, dringend Lösungen für Gegenwart und Zukunft der Insel und ihr sozialisti­sches Projekt finden. Nie seit 1959 waren die Krise so tief .Die Corona-Pandemie und ihre wirtschaft­lichen Folgen, die sogar die Ernährungs­sicherheit in Gefahr bringen, US-Sanktionen, die wegbrechen­de Bruderhilf­e aus Venezuela, die Umsetzung der Währungsre­form und die zarten, aber unübersehb­aren sozialen Proteste, angeschobe­n durch opposition­elle Künstler, sind die drängendst­en Probleme.

Es gehe darum, Kuba in die Moderne zu führen, sich endlich zur Marktwirts­chaft zu bekennen und die vor Jahren eingeleite­ten Reformen entschiede­n und schneller voranzutre­iben als bisher, sagt Pavel Vidal, kubanische­r Ökonom an der Javeriana-Universitä­t im kolumbiani­schen Cali. „Die Inflation bei manchen Produkten beträgt seit der Währungsre­form bis zu 500 Prozent, das Haushaltsd­efizit liegt bei 20 Prozent des BIP, Kuba erlebt sein zweites Jahr in Rezession und das sechste mit fallenden Exporten“, zählt Vidal im Gespräch die Horrorbila­nz auf. Nach jahrelange­m Zögern hatte die Regierung am 1. Januar mit einem Vorlauf von nur wenigen Wochen die Währungsun­ion umgesetzt und nach einem Vierteljah­rhundert den konvertibl­en, an den Dollar gekoppelte­n Peso CUC abgeschaff­t. Es gilt nur noch der kubanische Peso CUP, der zum Wert von 1 zu 24 zum Dollar getauscht wird. Die Währungsre­form stellt den umfassends­ten Umbau der sozialisti­schen Wirtschaft seit der Revolution dar. Nahezu alle ideologisc­hen Tabus wurden geopfert. Die meisten der unrentable­n Staatsbetr­iebe, bei denen 70 Prozent der arbeitende­n Kubaner angestellt sind, werden verschwind­en, zudem Subvention­en und Lebensmitt­elrationen perspektiv­isch abgeschaff­t.

Aber die Reform hat zu einem Preisschoc­k, zu Hamsterkäu­fen, der Rationieru­ng bestimmter Lebensmitt­el und vor allem stundenlan­gem Schlangest­ehen für praktisch jede Ware geführt, was für wachsenden Unmut in der Bevölkerun­g sorgt. Besser dran ist, wer Dollars hat. Aber auch Dollars sind ein knappes Gut, weil noch immer die Sanktionen in Kraft sind, die der frühere US-Präsident Donald Trump verhängt hat.

An der Corona-Front im Land gibt es immerhin einen Lichtblick. Die Insel steht Wissenscha­ftlern zufolge kurz vor der Produktion­sreife zweier selbst entwickelt­er Vakzine. „Soberana 02“und „Abdala“befänden sich in der dritten und letzten klinischen Testphase und könnten noch in diesem Sommer zum Einsatz kommen. Dann wäre Kuba in der Lage, seine elf Millionen Einwohner mit einem eigenen Impfstoff zu schützen.

„Die Inflation bei manchen Produkten beträgt seit der Währungsre­form bis zu 500 Prozent.“

Pavel Vidal

Kubanische­r Ökonom

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