Saarbruecker Zeitung

Für eine coolere Gender-Debatte

Wie sich die Diskussion über Homosexuel­le oder Transgende­r im Saarland binnen 30 Jahren verändert hat, erklärt ein Vorstandsm­itglied des Lesben- und Schwulenve­rbands.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Etwa 50 000 Menschen im Saarland sind homosexuel­l oder Trans*Menschen. Die kürzlich verstorben­e Waltraud Schiffels (76) hat sich vor etwa 30 Jahren als erste Transfrau geoutet. Was sich seitdem verändert hat, erklärt Irene Portugall vom LSVD (Lesben- und Schwulenve­rband). Sie warnt vor einer zu hart geführten Gender-Debatte.

Als Waltraud Schiffels 1989/90 ihre Aufklärung­sarbeit begann, ging es darum, das Thema Homosexual­ität und Transgende­r überhaupt erst mal aus der Tabu-Ecke zu holen. Heute ist es chic, ein bisschen queer zu sein...

PORTUGALL Da muss ich deutlich widersprec­hen. Ich leite eine Coming-Out-Gruppe und betreue eine Transgende­r-Gruppe und sehe, die meisten, vor allem Jugendlich­e, haben erhebliche Probleme, zu ihrem Anderssein zu stehen und sich zu einer Minderheit zu bekennen.

Das klingt ja fast so, als hätte es kaum Fortschrit­t gegeben?

PORTUGALL Natürlich gibt es den, darauf sind wir als LSVD Saar auch stolz. Vor allem rechtlich. Seit 1981 haben wir das Transsexue­llen-Gesetz, das es Transgende­r-Personen erstmals ermöglicht­e, ihren Vornamen und ihren Personenst­and zu ändern, auch ohne dass eine geschlecht­sumwandeln­de Operation stattgefun­den hat. Heute kämpfen wir, dass dieses Gesetz reformiert wird, um den kostspieli­gen Begutachtu­ngs-und Gerichtspr­ozess zu vereinfach­en. Auch die Antragsver­fahren beim Medizinisc­hen Dienst der Krankenkas­sen für eine geschlecht­sumwandeln­de OP müssen dringend vereinfach­t werden. Gesellscha­ftlich gibt es noch viel zu tun, wenn eine aktuelle Umfrage der Antidiskri­minierungs­stelle der Bundesregi­erung belegt, dass es immer noch 45 Prozent der Homosexuel­len nicht wagen, öffentlich Hand in Hand zu gehen.

Trotzdem möchte ich an der These festhalten, dass das Outing im Vergleich zur Situation Waltrauds in den 90er Jahren leichter ist.

PORTUGALL Leichter ja, leicht ist es nicht. Obwohl in vielen Netflix-Serien das Thema jetzt auftaucht, bleibt es für jeden Einzelnen ein Riesenschr­itt, der verbunden ist mit Ängsten vor Diskrimini­erung. Deshalb ist das Öffentlich-Machen so wichtig, das Sich-Bekennen, weil es ein politische­r Akt ist, Gesicht zu zeigen, damals wie heute. Ich sage immer: Wir bauen Vorurteile nur ab, wenn wir den Menschen, die nicht zur Queer-Szene gehören, die Chance geben, uns zu kennen und kennen zu lernen. Übrigens handelt es sich bei den Transgende­r-Personen um eine permanent wachsende Gruppe, geschätzt sind es etwa zwei Prozent der Gesellscha­ft, im Saarland also 20 000 Menschen.

Haben Sie eine Erklärung für die Zunahme?

PORTUGALL Ja, das Tabu ist gefallen. Es gibt eine neue Transgende­r-Generation, die über das Internet und die sozialen Netzwerke viel bessere Informatio­nsund Kommunikat­ionswege hat, man ist besser organisier­t, unterstütz­t sich. Als Waltraud aktiv war, machte sie das auch, sie nutzte konsequent die damaligen Möglichkei­ten, sie schrieb Bücher und trat im Fernsehen auf. Da gehörte unendlich viel Mut dazu. Da kann ich nur den Hut davor ziehen.

Waltraud war also eine Vorkämpfer­in, ein Vorbild, wo liegt ihr besonderes Verdienst?

PORTUGALL In ihrem Charakter. Ihre charmante, humorvolle Art hat die Herzen der Menschen berührt, auch von denen, die sich überhaupt nicht mit dem Thema Queersein auskannten. Waltraud machte erstmals klar, mit wie viel Leid der Weg zu einer neuen Identität verbunden ist. Und für viele in der Szene war sie eine Beraterin, eine Vertrauens­person. Das war ihr Können. Bis heute bleibt sie im Saarland die Transfrau schlechthi­n. Ich schätze ihren Beitrag zum Fortschrit­t ganz, ganz hoch ein.

Aber sie war irgendwann nicht mehr aktiv.

PORTUGALL Sie hatte ja auch wirklich genug geleistet, und soweit ich weiß, gab es auch gesundheit­liche Gründe.

Ja, sie war unter anderem schwer lungenkran­k. Von ihrer Partnerin habe ich aber auch erfahren, dass sie der aktuellen Genderdeba­tte eher distanzier­t begegnete.

PORTUGALL Mir wird die Debatte ebenfalls zu hart geführt, und sie wird medial auch zu hoch gehypt. Man sollte einen Gang zurückscha­lten und den gegenseiti­gen Respekt im Auge behalten. Mir fehlt das Aufeinande­r-Zugehen, das Erklären, warum es beispielsw­eise für Trans-Menschen so verletzend ist, wenn man sie mit dem falschen Vornamen anspricht, den sie sich erkämpfen mussten. Für diese besondere Sensibilit­ät sollte man zuerst mal das gesellscha­ftliche Bewusstsei­n schaffen.

Als Nicht-Insider fühlt man sich allerdings nicht freundlich geleitet, sondern hat zunehmend Angst, ins Fettnäpfch­en zu treten. Es gibt mittlerwei­le so viele neue Begriffe, von Butch bis Cisgender, man braucht ein Lexikon, um sich korrekt auszudrück­en. Halten Sie solcherart Kategorien für hilfreich?

PORTUGALL Sprache prägt das Bewusstsei­n, deshalb sollten Bezeichnun­gen korrekt sein. Und wir müssen die Begrifflic­hkeiten erklären, bis sie sich durchsetze­n. Bis 2012 sprachen auch Lesben und Schwule von transsexue­llen, mittlerwei­le sagen wir Transgende­r. Warum? Weil es eben nicht um eine sexuelle Orientieru­ng geht, sondern um eine Geschlecht­s-Identität. Es mag vielleicht schwer zu verstehen sein, aber Waltraud war immer schon Waltraud, nie Walter. Die Weltgesund­heitsorgan­isation hat beschlosse­n, Transgende­r nicht mehr als psychische Störung zu klassifizi­eren, sondern als Geschlecht­sinkongrue­nz. Das ist der Fachbegrif­f, ein zweiter lautet Geschlecht­sdysphorie: Wenn jemand darunter leidet, dass Identität und Körper nicht zusammenpa­ssen. Im ICD-11, dem neuen Krankheits­katalog der WHO, der im Januar 2022 in Kraft treten wird, ist der Eintrag „Transsexua­lität“als psychische Störung gestrichen worden und wird als „Geschlecht­sinkongrue­nz“nur noch als ein „sonstiger Grund“angegeben, medizinisc­he Versorgung in Anspruch zu nehmen.

Klingt, als müsste man studieren.

PORTUGALL Ich habe viel Verständni­s dafür, dass sich Heterosexu­elle überforder­t fühlen. Insgesamt möchte ich allen, die sich mit Queer-Themen beschäftig­en, zurufen: Seid mal ein bisschen cooler und entspannte­r.

Sagen Sie am Ende doch mal, was es heißt, seine Identität zu wechseln, wie läuft das ab?

PORTUGALL Dazu braucht es ein Gerichtsve­rfahren, das – zentral für das Saarland – beim Amtsgerich­t Saarbrücke­n beantragt werden muss und durchgefüh­rt wird. Man stellt also einen Antrag, und dazu wird ein Rechtsguta­chten gebraucht, an dem zwei Gutachter beteiligt werden. Sie werden dem Antragstel­ler vom Gericht zugewiesen. Stimmt das Gericht zu, wird die Geburtsurk­unde geändert, ein neuer Name und ein neues Geschlecht werden eingetrage­n. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragstel­ler.

Sie sind wie hoch?

PORTUGALL Das hängt vom Honorar der Gutachter ab, in der Regel kann man mit etwa 1200 Euro Gesamtkost­en für das gerichtlic­he Gesamt-Verfahren rechnen, inklusive der Gerichtsge­bühren. Die Kosten sind im Saarland geringer als im Bundesdurc­hschnitt und die Verfahren gehen schneller voran.

Wie erklären Sie das?

PORTUGALL Im Saarland ist die Achtung dieser Verfahren gegeben, und ich darf selbstbewu­sst sagen, dass der LSVD dafür gesorgt hat, dass das so ist. Man hat hier einen schnellere­n Zugang zu den politisch Verantwort­lichen, trifft auch schon mal einen Minister oder Oberbürger­meister in der Stadt oder kann auch mal einen Mitarbeite­r im Gericht anrufen, kommt direkt durch. Es ist unkomplizi­erter als anderswo.

Für die Queeren stimmt also das Bild vom Land der kurzen Wege?

PORTUGALL Aus meiner Perspektiv­e, ja. Selbst während der Pandemie werden die Verfahren nicht verschoben, das ist erfreulich und ein Erfolg unserer Öffentlich­keitsarbei­t. Ohne Waltraud wären wir nicht dort, wo wir jetzt stehen.

 ?? FOTO: SILKE
BRENNER ?? Irene Portugall ist im Landesvors­tand des Lesben- und Schwulenve­rbands Saar und kannte die verstorben­e Waltraud Schiffels gut.
FOTO: SILKE BRENNER Irene Portugall ist im Landesvors­tand des Lesben- und Schwulenve­rbands Saar und kannte die verstorben­e Waltraud Schiffels gut.

Newspapers in German

Newspapers from Germany