Sie will „das Auge von außen“sein
Lucyna Zwolinska war lange Tänzerin am Staatstheater-Ballett. Jetzt hat sie die Seiten gewechselt. Und damit auch den Blickwinkel.
Auch wenn dem modernen Menschen unzählige Entfaltungsmöglichkeiten, Wege zur Umorientierung, zum Kurswechsel zur Verfügung stehen – in den allermeisten Fällen ist die Wahl des Berufes eine Entscheidung fürs Leben. Es gibt allerdings Berufe, in denen die Zeit gegen den Menschen arbeitet. Bei Leistungssportlern etwa ist das so oder auch bei Tänzern.
Mit Mitte 30, spätestens Anfang 40 stehen sie vor dem Ende ihrer Karriere. „Viele Tänzer sind komplett verloren danach“, sagt Lucyna Zwolinska. Sie weiß, wovon sie spricht. In ihren 15 Jahren als professionelle Tänzerin muss sie viele Kollegen und Kolleginnen kommen und gehen gesehen haben.
Nach ihrer Ausbildung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main tanzte die gebürtige Polin von 2007 bis 2010 im Ballet des Staatstheaters Augsburg, von 2010 bis 2015 im Ballett des Saarländischen Staatstheaters, von 2015 bis 2018 schließlich unter Susanne Linke im Ballett des Theaters Trier.
Statt auf das Ende ihrer Karriere zu warten, beendete Zwolinska sie zur Saison 2018/2019 selbst. Zumindest jene als Tänzerin in Kompanien. „Ich war da schon elf Jahre fest am Theater“, erzählt Zwolinska, „das Leben war einfach, stabil, die Theater haben sich um alles gekümmert, Papierkram, Versicherungen und sowas“. Sie ergänzt: „Aber ich habe irgendwann realisiert, dass das Leben nicht nur in einer geschützten Bubble stattfinden kann“. Und: „Es ist wie mit stehenden Gewässern, die nach zu langer Zeit anfangen zu stinken“.
Wer heute Zwolinskas Website besucht, dem springen unmissverständlich die Lettern „choreography“entgegen. Natürlich, sie arbeitet auch freiberuflich als Tänzerin – war etwa im letzten Geniestreich der Musik- und Performance-Gruppe „Die Redner“dabei. Aber in ihrem Selbstverständnis steht die Arbeit als Choreographin nun ganz oben.
Der Wechsel von der ausführenden Instanz, der Tänzerin, zur erschaffenden Instanz, der Choreographin, war für Zwolinska allerdings keine Verlegenheitslösung. Im Gegenteil. „Ich hatte nie das Bedürfnis eine großartige Tänzerin zu werden“, erklärt Zwolinska. Zum Ballett sei sie gekommen, weil sie als Kind nie habe ruhig stehen können, zu viel Energie habe sie gehabt. Das Ballett sollte ihr als Ausgleich dienen. „Alles was danach folgte, war einfach viel Glück und das Ergebnis von Begegnungen mit großartigen Leuten“, sagt Zwolinska.
Sachen zu tanzen, die sie selbst nicht gefühlt habe, sei ihr immer schwer gefallen, sagt Lucyna Zwolinska. „Es ist immer eben auch Arbeit“, erklärt sie. Beim Choreographieren sei das anders: „Man ist dann das Auge von außen, die Choreographie kommt von den eigenen Gedanken, den eigenen Ideen“.
Schon 2010 konnte sie bei einem der Substanzabende des Staatstheaters eine eigene Choreographie präsentieren, ans Theater Trier ging sie schließlich, weil sie unter Susanne Linke nicht nur einen Schritt Richtung Tanztheater gehen konnte, sondern auch mehr Verantwortung übernehmen durfte.
Jetzt als freischaffende Choreographin konnte sie sogar ans Theater Trier zurückkehren. Unter dem Titel „Zeitrausch“beschäftigen sich Zwolinska und drei andere Choreographen mit dem modernen Mythos des Seine-Zeit-Nutzens. Die Premiere ist für dieses Frühjahr geplant – je nach Pandemie-Lage.
Um ein ähnliches Thema, darum, „wie uns das Menschliche innerhalb dieses unseres Systems immer weiter verloren geht“, wie Zwolinska erklärt, ging es auch in ihrem Tanzabend „reflexio/With guts out“, mit dem Zwolinska sich im letzten Jahr unter großer Begeisterung des Publikums als Choreographin im Theater im Viertel vorstellte. „Meine Choreographien sind Reflexionen von allem, was innen passiert“, erklärt sie, „ich arbeite aber mehr existenziell als politisch würde ich sagen“.
Wenn Zwolinska von ihrem Schritt ins Freiberufliche erzählt, schwingt Stolz mit. „Mir war nicht bewusst, dass es so schwierig sein kann“, erklärt sie, „aber es hat mich nur stärker gemacht“. Jetzt, in dieser Pandemie, die ja gleichzeitig auch eine Krise der Natur ist, sei es besonders schwierig, freiberuflich zu arbeiten: „Es ist etwas komplett anderes“.
Um nicht auf ihre Ausdrucksmöglichkeiten verzichten zu müssen, hat Lucyna Zwolinska schon zu Beginn des letzten Lockdowns gemeinsam mit ihrem Partner, dem Kontrabassisten und Komponisten Gabriele Basilico, B&Z Productions gegründet. Sie produzieren kurze Videos, in denen auf träumerische, ätherische Art Tanz und Musik fusionieren. Schon im letzten Jahr haben sie dafür ein Stipendium der Stadt Saarbrücken erhalten.
Ihre nächste geplante Produktion namens „Sand“wird erneut gefördert. Zwolinska glaubt, dass diese Produktionen ihrer Arbeit als Choreographin nachhaltig bereichern können. „Als Tänzerin habe ich das Arbeiten mit verschiedenen Medien nie gemocht“, sagt sie, „aber als Choreographin ist das sehr, sehr interessant“.
Im Saarland ist Lucyna Zwolinska übrigens nicht nur geblieben, weil sie „französische Patisserie liebt“, wie sie lachend erzählt, sondern auch weil sie „die Mischung von Leuten“mag, „das lockere Lebensgefühl“. Das Saarland scheint der passende Ort zu sein für einen Freigeist wie Lucyna Zwolinska.
„Meine Choreographien sind Reflexionen von allem, was innen passiert,
ich arbeite aber mehr existenziell als politisch
würde ich sagen.“
Lucyna Zwolinska
„Ich mag die Mischung von Leuten, das lockere
Lebensgefühl.“
Lucyna Zwolinska
auf die Frage, warum sie im Saarland ge
blieben ist