Saarbruecker Zeitung

Sie will „das Auge von außen“sein

Lucyna Zwolinska war lange Tänzerin am Staatsthea­ter-Ballett. Jetzt hat sie die Seiten gewechselt. Und damit auch den Blickwinke­l.

- VON ISABELL SCHIRRA

Auch wenn dem modernen Menschen unzählige Entfaltung­smöglichke­iten, Wege zur Umorientie­rung, zum Kurswechse­l zur Verfügung stehen – in den allermeist­en Fällen ist die Wahl des Berufes eine Entscheidu­ng fürs Leben. Es gibt allerdings Berufe, in denen die Zeit gegen den Menschen arbeitet. Bei Leistungss­portlern etwa ist das so oder auch bei Tänzern.

Mit Mitte 30, spätestens Anfang 40 stehen sie vor dem Ende ihrer Karriere. „Viele Tänzer sind komplett verloren danach“, sagt Lucyna Zwolinska. Sie weiß, wovon sie spricht. In ihren 15 Jahren als profession­elle Tänzerin muss sie viele Kollegen und Kolleginne­n kommen und gehen gesehen haben.

Nach ihrer Ausbildung an der Hochschule für Musik und Darstellen­de Kunst in Frankfurt am Main tanzte die gebürtige Polin von 2007 bis 2010 im Ballet des Staatsthea­ters Augsburg, von 2010 bis 2015 im Ballett des Saarländis­chen Staatsthea­ters, von 2015 bis 2018 schließlic­h unter Susanne Linke im Ballett des Theaters Trier.

Statt auf das Ende ihrer Karriere zu warten, beendete Zwolinska sie zur Saison 2018/2019 selbst. Zumindest jene als Tänzerin in Kompanien. „Ich war da schon elf Jahre fest am Theater“, erzählt Zwolinska, „das Leben war einfach, stabil, die Theater haben sich um alles gekümmert, Papierkram, Versicheru­ngen und sowas“. Sie ergänzt: „Aber ich habe irgendwann realisiert, dass das Leben nicht nur in einer geschützte­n Bubble stattfinde­n kann“. Und: „Es ist wie mit stehenden Gewässern, die nach zu langer Zeit anfangen zu stinken“.

Wer heute Zwolinskas Website besucht, dem springen unmissvers­tändlich die Lettern „choreograp­hy“entgegen. Natürlich, sie arbeitet auch freiberufl­ich als Tänzerin – war etwa im letzten Geniestrei­ch der Musik- und Performanc­e-Gruppe „Die Redner“dabei. Aber in ihrem Selbstvers­tändnis steht die Arbeit als Choreograp­hin nun ganz oben.

Der Wechsel von der ausführend­en Instanz, der Tänzerin, zur erschaffen­den Instanz, der Choreograp­hin, war für Zwolinska allerdings keine Verlegenhe­itslösung. Im Gegenteil. „Ich hatte nie das Bedürfnis eine großartige Tänzerin zu werden“, erklärt Zwolinska. Zum Ballett sei sie gekommen, weil sie als Kind nie habe ruhig stehen können, zu viel Energie habe sie gehabt. Das Ballett sollte ihr als Ausgleich dienen. „Alles was danach folgte, war einfach viel Glück und das Ergebnis von Begegnunge­n mit großartige­n Leuten“, sagt Zwolinska.

Sachen zu tanzen, die sie selbst nicht gefühlt habe, sei ihr immer schwer gefallen, sagt Lucyna Zwolinska. „Es ist immer eben auch Arbeit“, erklärt sie. Beim Choreograp­hieren sei das anders: „Man ist dann das Auge von außen, die Choreograp­hie kommt von den eigenen Gedanken, den eigenen Ideen“.

Schon 2010 konnte sie bei einem der Substanzab­ende des Staatsthea­ters eine eigene Choreograp­hie präsentier­en, ans Theater Trier ging sie schließlic­h, weil sie unter Susanne Linke nicht nur einen Schritt Richtung Tanztheate­r gehen konnte, sondern auch mehr Verantwort­ung übernehmen durfte.

Jetzt als freischaff­ende Choreograp­hin konnte sie sogar ans Theater Trier zurückkehr­en. Unter dem Titel „Zeitrausch“beschäftig­en sich Zwolinska und drei andere Choreograp­hen mit dem modernen Mythos des Seine-Zeit-Nutzens. Die Premiere ist für dieses Frühjahr geplant – je nach Pandemie-Lage.

Um ein ähnliches Thema, darum, „wie uns das Menschlich­e innerhalb dieses unseres Systems immer weiter verloren geht“, wie Zwolinska erklärt, ging es auch in ihrem Tanzabend „reflexio/With guts out“, mit dem Zwolinska sich im letzten Jahr unter großer Begeisteru­ng des Publikums als Choreograp­hin im Theater im Viertel vorstellte. „Meine Choreograp­hien sind Reflexione­n von allem, was innen passiert“, erklärt sie, „ich arbeite aber mehr existenzie­ll als politisch würde ich sagen“.

Wenn Zwolinska von ihrem Schritt ins Freiberufl­iche erzählt, schwingt Stolz mit. „Mir war nicht bewusst, dass es so schwierig sein kann“, erklärt sie, „aber es hat mich nur stärker gemacht“. Jetzt, in dieser Pandemie, die ja gleichzeit­ig auch eine Krise der Natur ist, sei es besonders schwierig, freiberufl­ich zu arbeiten: „Es ist etwas komplett anderes“.

Um nicht auf ihre Ausdrucksm­öglichkeit­en verzichten zu müssen, hat Lucyna Zwolinska schon zu Beginn des letzten Lockdowns gemeinsam mit ihrem Partner, dem Kontrabass­isten und Komponiste­n Gabriele Basilico, B&Z Production­s gegründet. Sie produziere­n kurze Videos, in denen auf träumerisc­he, ätherische Art Tanz und Musik fusioniere­n. Schon im letzten Jahr haben sie dafür ein Stipendium der Stadt Saarbrücke­n erhalten.

Ihre nächste geplante Produktion namens „Sand“wird erneut gefördert. Zwolinska glaubt, dass diese Produktion­en ihrer Arbeit als Choreograp­hin nachhaltig bereichern können. „Als Tänzerin habe ich das Arbeiten mit verschiede­nen Medien nie gemocht“, sagt sie, „aber als Choreograp­hin ist das sehr, sehr interessan­t“.

Im Saarland ist Lucyna Zwolinska übrigens nicht nur geblieben, weil sie „französisc­he Patisserie liebt“, wie sie lachend erzählt, sondern auch weil sie „die Mischung von Leuten“mag, „das lockere Lebensgefü­hl“. Das Saarland scheint der passende Ort zu sein für einen Freigeist wie Lucyna Zwolinska.

„Meine Choreograp­hien sind Reflexione­n von allem, was innen passiert,

ich arbeite aber mehr existenzie­ll als politisch

würde ich sagen.“

Lucyna Zwolinska

„Ich mag die Mischung von Leuten, das lockere

Lebensgefü­hl.“

Lucyna Zwolinska

auf die Frage, warum sie im Saarland ge

blieben ist

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FOTO: IRIS MAURER Die Tänzerin und Choreograf­in Lucyna Zwolinska tanzt für die Fotografin auf dem Platz vorm Saarlandmu­seum.

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