„Keiner hier hat Angst vor Corona“
In Indien steigen die Corona-Zahlen so rasant wie nie. Trotzdem pilgern Hunderttausende zum Ganges. Denn es geht ihnen um Höheres.
(dpa/afp) Hinduistische Pilger und mit Asche eingeriebene Gurus baden dicht gedrängt im heiligen Fluss Ganges. An besonders wichtigen Tagen wie an diesem Mittwoch sind es Millionen. Masken tragen die wenigsten, wie Fernsehbilder zeigen. Sie sind alle da, um das größte religiöse Fest der Welt zu feiern, das mehrere Wochen dauert. Sie erhoffen, sich mit dem Waschritual von ihren Sünden zu reinigen und einem Zustand der Befreiung näherzukommen, bei dem der endlose Zyklus von Geburt, Tod und Wiedergeburt endet, alles Leiden aufhört und alle Wünsche unwichtig werden.
Das Kumbh-Mela-Fest basiert auf einem Mythos, wonach Götter und Dämonen um einen Krug (Kumbh) mit Unsterblichkeitsnektar stritten. Bei dem Streit fielen einige Tropfen an vier Orten auf die Erde. An diesen wird in Indien abwechselnd das Fest gefeiert, zurzeit in Haridwar.
Angesichts der großen religiösen Bedeutung scheint die Pandemie viele Anwesende kaum zu stören. „Wenn du bei Mutter Ganges bist, was kannst du dann auch nur fürchten? Sie ist unsere Mutter“, sagte ein Pilger kürzlich im Fernsehen. Ein anderer betonte: „Keiner hier hat Angst vor Corona. Corona gibt es nicht. Das ist alles nur Drama.“
Ein dritter sagte: „Viele Menschen nehmen ihre Masken beim Baden ab, aber was kann man machen? Wie kann man sie stoppen?“
Religion ist wichtig in Indien, wo die Mehrheit der Menschen hinduistisch ist. Auch deutet die Sorglosigkeit der Pilger auf ein größeres Phänomen in Indien hin, wo inzwischen viele Menschen kaum noch Corona-Regeln einhalten – und das obwohl die Infektionen gerade so schnell zunehmen wie nie zuvor. In absoluten Zahlen ist Indien nach den USA am stärksten von der Corona-Pandemie betroffen. Insgesamt gibt es in dem Land mit seinen mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern über 13,8 Millionen registrierte Infektionen. Allein seit Anfang des Monats kam mehr als eine Million dazu. Damit hat Indien Brasilien auf der Corona-Weltkarte überholt.
Dabei sind dieses Jahr weniger Besucher zum Fest am Ganges gekommen als sonst. Zu einem wichtigen Badetag am vorigen Montag kamen rund drei Millionen Menschen, 2019 waren es 20 Millionen. Dennoch hatte die Polizei Mühe, sie zu kontrollieren. Viele hielten sich nicht an die Regeln.
Ein Mitarbeiter der örtlichen Gesundheitsbehörde sagte, dass Pilger negative PCR-Testnachweise mitnehmen müssten. Einige von ihnen hinterfragten die Regeln aber, auch weil zuletzt etliche Politiker große Veranstaltungen für Regionalwahlen organisiert haben – ohne Masken und Abstand. Mediziner wiederum kritisieren, dass die Regierung das Kumbh-Fest zulasse, während es in anderen Teilen des Landes Lockdowns gibt.