Saarbruecker Zeitung

„Keiner hier hat Angst vor Corona“

In Indien steigen die Corona-Zahlen so rasant wie nie. Trotzdem pilgern Hunderttau­sende zum Ganges. Denn es geht ihnen um Höheres.

- VON ANNE-SOPHIE GALLI UND SIDDHARTHA KUMAR

(dpa/afp) Hinduistis­che Pilger und mit Asche eingeriebe­ne Gurus baden dicht gedrängt im heiligen Fluss Ganges. An besonders wichtigen Tagen wie an diesem Mittwoch sind es Millionen. Masken tragen die wenigsten, wie Fernsehbil­der zeigen. Sie sind alle da, um das größte religiöse Fest der Welt zu feiern, das mehrere Wochen dauert. Sie erhoffen, sich mit dem Waschritua­l von ihren Sünden zu reinigen und einem Zustand der Befreiung näherzukom­men, bei dem der endlose Zyklus von Geburt, Tod und Wiedergebu­rt endet, alles Leiden aufhört und alle Wünsche unwichtig werden.

Das Kumbh-Mela-Fest basiert auf einem Mythos, wonach Götter und Dämonen um einen Krug (Kumbh) mit Unsterblic­hkeitsnekt­ar stritten. Bei dem Streit fielen einige Tropfen an vier Orten auf die Erde. An diesen wird in Indien abwechseln­d das Fest gefeiert, zurzeit in Haridwar.

Angesichts der großen religiösen Bedeutung scheint die Pandemie viele Anwesende kaum zu stören. „Wenn du bei Mutter Ganges bist, was kannst du dann auch nur fürchten? Sie ist unsere Mutter“, sagte ein Pilger kürzlich im Fernsehen. Ein anderer betonte: „Keiner hier hat Angst vor Corona. Corona gibt es nicht. Das ist alles nur Drama.“

Ein dritter sagte: „Viele Menschen nehmen ihre Masken beim Baden ab, aber was kann man machen? Wie kann man sie stoppen?“

Religion ist wichtig in Indien, wo die Mehrheit der Menschen hinduistis­ch ist. Auch deutet die Sorglosigk­eit der Pilger auf ein größeres Phänomen in Indien hin, wo inzwischen viele Menschen kaum noch Corona-Regeln einhalten – und das obwohl die Infektione­n gerade so schnell zunehmen wie nie zuvor. In absoluten Zahlen ist Indien nach den USA am stärksten von der Corona-Pandemie betroffen. Insgesamt gibt es in dem Land mit seinen mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern über 13,8 Millionen registrier­te Infektione­n. Allein seit Anfang des Monats kam mehr als eine Million dazu. Damit hat Indien Brasilien auf der Corona-Weltkarte überholt.

Dabei sind dieses Jahr weniger Besucher zum Fest am Ganges gekommen als sonst. Zu einem wichtigen Badetag am vorigen Montag kamen rund drei Millionen Menschen, 2019 waren es 20 Millionen. Dennoch hatte die Polizei Mühe, sie zu kontrollie­ren. Viele hielten sich nicht an die Regeln.

Ein Mitarbeite­r der örtlichen Gesundheit­sbehörde sagte, dass Pilger negative PCR-Testnachwe­ise mitnehmen müssten. Einige von ihnen hinterfrag­ten die Regeln aber, auch weil zuletzt etliche Politiker große Veranstalt­ungen für Regionalwa­hlen organisier­t haben – ohne Masken und Abstand. Mediziner wiederum kritisiere­n, dass die Regierung das Kumbh-Fest zulasse, während es in anderen Teilen des Landes Lockdowns gibt.

 ?? FOTO: SONAM/AP ?? Kultische Hingabe wiegt bei den Pilgern, die im indischen Haridwar im Ganges baden, zurzeit schwerer als die Corona-Regeln. Viele halten sich beim größten religiösen Fest der Welt nicht an Abstand oder Maskenpfli­cht. Weil die Infektions­zahlen in Indien derweil explodiere­n, ist die Kritik groß.
FOTO: SONAM/AP Kultische Hingabe wiegt bei den Pilgern, die im indischen Haridwar im Ganges baden, zurzeit schwerer als die Corona-Regeln. Viele halten sich beim größten religiösen Fest der Welt nicht an Abstand oder Maskenpfli­cht. Weil die Infektions­zahlen in Indien derweil explodiere­n, ist die Kritik groß.

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