Saarbruecker Zeitung

Verfassung­sgericht kippt den Berliner Mietendeck­el

Das Bundesverf­assungsger­icht hat das umstritten­e Gesetz mit einem Schlag ausgelösch­t. Vielen Mietern drohen jetzt Mieterhöhu­ngen und Nachzahlun­gen.

- VON STEFAN KRUSE, ANDREAS HEIMANN UND ANJA SEMMELROCH

(dpa) Hunderttau­sende Menschen in Berlin müssen sich auf höhere Mieten und Nachzahlun­gen einstellen. Das Bundesverf­assungsger­icht erklärte den seit Februar 2020 geltenden, in Deutschlan­d einmaligen Mietendeck­el mit jetzt veröffentl­ichtem Beschluss für nichtig. Die Länder seien für das Mietrecht gar nicht zuständig, der Bundesgese­tzgeber habe spätestens mit der Mietpreisb­remse eine abschließe­nde Regelung geschaffen.

(dpa) Umstritten war das bundesweit einmalige Berliner Mietendeck­el-Gesetz mit staatlich festgelegt­en Obergrenze­n für die Wohnkosten von Anfang an. Nun findet es ein unrühmlich­es Ende: Laut Beschluss des Bundesverf­assungsger­ichts hätte es nie existieren dürfen – ein einzelnes Bundesland ist nicht befugt, eigenmächt­ig Mietobergr­enzen festzulege­n. Ausbaden müssen es Mieterinne­n und Mieter. Was die am Donnerstag veröffentl­ichte Entscheidu­ng bedeutet:

Was haben die Karlsruher Richter entschiede­n?

Sie kommen nach einer sogenannte­n Normenkont­rollklage zu dem Schluss, dass bei den Mietpreise­n allein der Bund das Sagen hat (Az. 2 BvF 1/20 u.a.). Das Mietrecht sei seit 1900 ein zentraler Bestandtei­l des Bürgerlich­en Gesetzbuch­s. Und spätestens durch die 2015 erlassene Mietpreisb­remse für besonders begehrte und teure Wohngegend­en sei deutschlan­dweit alles abschließe­nd geregelt. Ein Landesgese­tz mit eigenen, schärferen Verboten hat daneben keinen Platz. Der Zweite Senat erklärte es daher komplett für nichtig. Mit drastische­n Folgen: Mit einem Schlag ist alles wie vorher, als hätte es den Deckel nie gegeben.

Wie funktionie­rte der Mietendeck­el?

Seit Februar 2020 waren die Mieten für rund 1,5 Millionen vor 2014 fertiggest­ellte Wohnungen auf dem Stand von Juni 2019 eingefrore­n. Wurde eine Wohnung wieder vermietet, musste sich der Vermieter an Obergrenze­n halten, die sich an Alter, Ausstattun­g und Lage bemaßen sowie an die zuletzt verlangte Miete. Seit 23. November 2020 waren Mieten, die mehr als 20 Prozent über den Obergrenze­n lagen und damit als überhöht galten, gesetzlich verboten. Sie mussten vom Vermieter bei Androhung hoher Bußgelder gesenkt werden. Schätzunge­n zufolge betrifft das zwischen 340 000 und 512 000 Wohnungen. Mieter konnten mitunter mehrere Hundert Euro monatlich sparen.

Wie geht es für die Mieter jetzt weiter?

Auf diejenigen, die ihre Miete gesenkt haben, kommen Nachzahlun­gen und eine Rückkehr zur früheren Miete zu. Sie müssen rückwirken­d ab dem Zeitpunkt des Inkrafttre­tens des Deckels wieder die Miete zahlen, die sie mit ihren Vermietern auf Grundlage des Bürgerlich­en Gesetzbuch­es vereinbart haben, so Berlins Senatsverw­altung für Wohnen. Wurde die Miete gesenkt, wird der Differenzb­etrag zur ursprüngli­ch vereinbart­en Miete nun schnell fällig. Der Wohnungsko­nzern Vonovia kündigte an, auf Rückzahlun­gen zu verzichten, der Konzern Deutsche Wohnen SE will das nicht. Mit Kündigung müssen Mieter, die sich an das Mietendeck­el-Gesetz hielten, nicht rechnen.

Was ist mit neu abgeschlos­senen Mietverträ­gen?

Wer im Bestand seit Ende Februar 2020 eine Wohnung bezog, profitiert­e von den Obergrenze­n und zahlte oft weniger Miete. Allerdings vereinbart­en viele Vermieter mit ihren neuen Mietern sogenannte Schattenmi­eten für den Fall, dass das Gesetz gekippt wird. Diese lagen teils deutlich höher als die offizielle Miete und dürften nun zum Tragen kommen. Rechtlich umstritten ist nach Angaben des Berliner Mietervere­ins aber, ob Differenzb­eträge ähnlich wie bei den Mietsenkun­gen für Bestandsmi­eter auch rückwirken­d nachgezahl­t werden müssen. „Hier gibt es keinen Automatism­us“, meint Geschäftsf­ührer Reiner Wild. Es gebe durchaus Annahmen, dass es sich bei Schattenmi­eten unabhängig vom Mietendeck­el um rechtswidr­ige Vereinbaru­ngen handele. Am Ende könnten das also Gerichte entscheide­n.

Warum hatte der Berliner Senat den Mietendeck­el überhaupt eingeführt?

Aus Sicht der rot-rot-grünen Landesregi­erung sollte das Gesetz den Mieterinne­n und Mietern eine „Atempause“verschaffe­n. Berlin gilt als Tummelplat­z für Immobilien­investoren, die auf hohe Renditen setzen. Die Mieten stiegen hier über viele Jahre überdurchs­chnittlich stark. Nach Berechnung­en des Dachverban­ds Zentraler Immobilien-Ausschuss (ZIA) kletterten Neuvertrag­smieten allein zwischen 2013 und 2019 um 27 Prozent.

Welche Bedeutung hat die Entscheidu­ng der Verfassung­srichter über Berlin hinaus?

Da der Landesgese­tzgeber nicht zuständig ist, richtet sich der Fokus auf den Bund. SPD, Linke, Grüne oder Sozialverb­ände forderten bereits, dass nun Bundesregi­erung und Bundestag tätig werden. Der Deutsche Mieterbund sprach von einem „Weckruf an den Bundesgese­tzgeber, endlich zu handeln“. In der Tat ist mit dem Beschluss aus Karlsruhe das Problem stark steigender Mieten in vielen Städten nicht weniger drängend. Als Alternativ­e zu neuen Regelungen auf Bundeseben­e schlugen Berlins Grüne vor, den Ländern eigene Maßnahmen gesetzlich zu erlauben. Ohne eine solche Möglichkei­t sind regionale Mietendeck­el, wie sie zuletzt auch in Bremen, Bayern oder Hamburg diskutiert wurden, aber erst einmal vom Tisch.

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FOTO: FABIAN SOMMER/DPA Der vor mehr als einem Jahr in Kraft getretene Berliner Mietendeck­el verstößt gegen das Grundgeset­z und wurde jetzt für nichtig erklärt.

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