Zentraler Speicher für alle Patientendaten
Derzeit wird die neue elektronische Patientenakte in 200 Arztpraxen erprobt. Mitte des Jahres soll sie bundesweit eingeführt werden. Doch jeder Patient kann selbst bestimmen, welche Daten er freigibt und wer sie sehen darf.
(kna) Die elektronische Patientenakte soll das Gesundheitssystem in Deutschland umkrempeln. Nach 16 Jahren teils heftigen Gezerres soll sie den 73 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland ab dem zweiten Quartal zur Verfügung stehen.
Die elektronische Patientenakte ist eine digitale Plattform, ein geschützter Datenspeicher im Internet, der die Medizin in Deutschland verbessern soll. Die elektronische Patientenakte soll dafür sorgen, dass Befunde, Diagnosen, Laborergebnisse und Medikationspläne, aber auch Röntgen- und Ultraschallbilder eines Patienten zentral gespeichert werden und von Ärzten eingesehen werden können. Allerdings wird dies nur möglich sein, wenn der Patient das auch will.
Zudem sollen 200 000 Ärzte, Apotheker, Krankenhäuser, Pflegeheime und andere Gesundheitseinrichtungen durch die elektronische Patientenakte besser miteinander vernetzt werden. Sie hätten dann schnell Zugriff auf alle wichtigen Daten eines Patienten. Zugang zu diesen Daten erhält das medizinische Personal über die Krankenversicherungskärtchen, die die Krankenkassen an ihre Versicherten ausgegeben haben, beziehungsweise die Heilberufsausweise der medizinischen Berufsgruppen.
Das wohl größte Digitalisierungsprojekt Europas läuft seit Beginn des Jahres als „Testphase mit Basisfunktionen“, heißt es bei den Krankenkassen. Versprochen wird ein Ende der Zettelwirtschaft.
Auch die Versicherten selbst haben Zugriff auf ihre elektronische Akte. Von zu Hause aus ist das allerdings nur über Apps möglich, die die Krankenkasse zur Verfügung stellen. Um die App nutzen zu können, ist ein Smartphone oder Tablet erforderlich. Versicherte, die solche Geräte nicht haben, können ihre elektronische Patientenakte in den Arztpraxen einsehen. Dazu muss der Patient die E-Akte schriftlich bei seiner Krankenkasse anfordern. Sie wird dann beim nächsten Arztbesuch in der Arztpraxis aktiviert, nachdem der Nutzer dem Arzt die Freigabe dafür erteilt hat. Jeder Patient ohne Smartphone oder Tablet, der zu Hause nicht auf seine elektronische Akte zugreifen kann, darf sie jederzeit in der Arztpraxis einsehen. Das ist auch möglich, wenn kein Behandlungstermin vereinbart ist.
Zunächst werden Patienten in ihrer elektronischen Akte die gesetzlich vorgegebenen Funktionen finden, etwa grundlegende medizinische Daten, den Notfalldatensatz und einen elektronischen Medikationsplan sowie selbst eingegebene Werte wie Blutdruckmessungen oder Daten aus Fitness-Trackern.
Einige Krankenkassen bieten weitere Funktionen an, beispielsweise Impf- und Vorsorgeempfehlungen, Übersichten zur Arbeitsunfähigkeit sowie Informationen über Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte.
Ab 2022 sollen dann auch der
Impfausweis, der Mutterpass, das Untersuchungsheft für Kinder und das Zahnbonusheft digital abrufbar sein. Doppeluntersuchungen könnten somit zukünftig vermieden und das Risiko von Behandlungsfehlern minimiert werden, heißt es. Außerdem könnte die Forschung von anonymen digitalisierten Patientendaten profitieren.
Das Hochladen medizinischer Daten wie Diagnosen, Therapiemaßnahmen und Medikationsplänen durch die behandelnden Ärzte wird derzeit in 200 ausgewählten Arztpraxen in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Berlin getestet und soll ab 1. Juli 2021 flächendeckend möglich sein. Andernfalls droht den Ärzten Honorarabzug.
Im Lauf des Jahres sollen die Krankenkassen ihren Versicherten auf Antrag eine sicherheitsgeprüfte App zur Verfügung stellen, die sie auf dem Smartphone oder Tablet installieren können. Nach und nach werden auch Krankenhäuser und Apotheken an die elektronische Patientenakte angebunden. Ab 2023 können Patienten die in der Akte abgelegten Daten freiwillig der medizinischen Forschung zur Verfügung stellen.
In der Privaten Krankenversicherung wird die Nutzung der elektronischen Patientenakte zum 1. Januar 2022 beginnen, weil dann wesentlich umfangreichere Funktionen zur Verfügung stehen.
Der Einführung der Patientenakte waren jahrelanger Streit, viel Widerstand bei Ärzten und viele technische Versuche vorausgegangen. Zentrale Konflikte waren der Aufbau sicherer Datenverbindungen, für alle gültige Sicherheitsstandards, die Kosten und der Datenschutz. Er ist angesichts der sensiblen Gesundheitsdaten der Dreh- und Angelpunkt für das Vertrauen der Versicherten. So gab es Anfang Dezember Berichte, nach denen in Finnland bei einem Hackerangriff auf psychotherapeutische Behandlungsdaten eines privaten Anbieters Zehntausende vertrauliche Datensätze gestohlen wurden. Der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten erklärte deshalb kürzlich, dass psychotherapeutische Dokumente aus Sicherheitsgründen in der elektronischen Patientenakte nichts zu suchen hätten.
Die Nutzung der elektronischen Patientenakte ist für die Versicherten freiwillig. Sie sollen selbst bestimmen, welche Gesundheitsdaten eingestellt werden und wer Zugriff auf welchen Bereich in ihrer Akte erhält. Allerdings funktioniert das in diesem Jahr noch nicht problemlos. Erst ab 1. Januar 2022 soll für jedes Dokument einzeln festzulegen sein, welcher Arzt es sehen kann. Bis dahin kann beispielsweise ein Physiotherapeut auch den Bericht über den Schwangerschaftsabbruch einer Patientin einsehen.