Fall Wirecard sorgt für Verlust von Vertrauen in die Eliten
Auf der Suche nach Schuldigen im Wirecard-Skandal, dem größten Wirtschaftskrimi der Nachkriegszeit, kommt der Bundestag in dieser Woche bei den Spitzen der Bundesregierung an: Vize-Kanzler Olaf Scholz und Bundeskanzlerin Angela Merkel werden morgen und übermorgen vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss als Zeugen gehört.
Doch dieser Showdown und die mediale Aufmerksamkeit haben mit dem zu erwartenden Ergebnis der Anhörungen voraussichtlich wenig zu tun: Der Ausschuss wird beiden Regierungsspitzen gravierende persönliche Fehler oder Versäumnisse kaum in einem Maße nachweisen können, das für Merkel oder Scholz nachhaltige politische Folgen hätte. Die gesellschaftlichen Wirkungen des Versagens staatlicher Aufsichtsbehörden, der Wirtschaftsprüfer und das kollektive Wegsehen der Politiker im Fall Wirecard sind allerdings verheerend: Die Menschen haben weiter Vertrauen in die politischen und wirtschaftlichen Eliten verloren.
Mit höchster krimineller Energie haben Wirecard-Manager die Öffentlichkeit viele Jahre über die wahre Verfasstheit des Zahlungsdienstleisters getäuscht. Sie haben Bilanzen künstlich aufgepumpt, um Milliarden zu veruntreuen. Die Opfer sind Kapitalanleger und Investoren, die den Hochstapeleien des früheren Wirecard-Chefs Markus Braun geglaubt haben.
Doch nicht nur sie ließen sich blenden, auch die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young, eine der renommierten großen Prüfergesellschaften, die Finanzaufsichtsbehörde Bafin, die Wirtschaftsprüfer-Aufsicht Apas und eben auch die Bundesregierung. Finanz-Staatssekretär Jörg Kukies, ein Scholz-Vertrauter und ehemaliger Goldman-Sachs-Manager, hatte persönlichen Kontakt zu Wirecard-Chef Braun bis kurz vor der Implosion des Schein-Riesen im Juni 2020.
Der Untersuchungsausschuss hat bereits atemberaubende Versäumnisse und Vorgänge vor allem in den Aufsichtsbehörden offengelegt. Bafin-Chef Felix Hufeld ignorierte wiederholt alle Hinweise auf Ungereimtheiten bei Wirecard und stellte sogar Strafanzeige gegen Journalisten, die den Skandal aufdeckten. Hufeld musste seinen Hut nehmen. Genauso erging es Apas-Chef Ralf Bose, der im Ausschuss einräumen musste, am Ende selbst mit Wirecard-Aktien spekuliert und sein Insiderwissen missbraucht zu haben.
Politisch könnte der Skandal am ehesten noch für Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Scholz unbequem werden – etwa wenn der Ausschuss Beweise dafür hätte, dass Scholz die Bafin über Staatssekretär Kukies angewiesen hat, bei Wirecard beide Augen zuzudrücken. Diese Beweise gibt es bislang nicht – und so dürfte auch unter den Schuhen des Kanzlerkandidaten am Ende nicht viel kleben bleiben. Die Kanzlerin hat in China bei einem Staatsbesuch für Wirecard geworben, obwohl ihr Kanzleramt im September hätte wissen müssen, dass mit dem Unternehmen etwas nicht in Ordnung war. Auch daraus lässt sich für Merkel persönlich aber kein Strick drehen.