Saarbruecker Zeitung

Gremium arbeitet Missbrauch­svorwürfe auf

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Ein Expertengr­emium soll die Missbrauch­svorwürfe am Universitä­tsklinikum des Saarlandes (UKS) aufarbeite­n. Es soll sich mit den Verdachtsf­ällen an einer Spezialamb­ulanz der Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie (KJP) befassen – unter anderem.

(fu) Ein Expertengr­emium wird die Missbrauch­svorwürfe am Universitä­tsklinikum des Saarlandes (UKS) aufarbeite­n. Der frühere Präsident des Bundeskrim­inalamtes (BKA), Jörg Ziercke, soll das Gremium leiten. Die „unabhängig­e Aufarbeitu­ngskommiss­ion“soll sich mit den Verdachtsf­ällen an einer Spezialamb­ulanz der Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie (KJP) befassen. Daneben wird es um die mutmaßlich­en Übergriffe bei Operatione­n an Kindern in der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilk­unde (HNO) gehen. Das hat der Aufsichtsr­at des UKS nach SZ-Informatio­nen in der vergangene­n Woche beschlosse­n.

Bei der Aufarbeitu­ng solle die Anerkennun­g des Leids der Betroffene­n im Vordergrun­d stehen, heißt es in einer internen Vorlage zur geplanten Expertenru­nde. Daneben erwartet das Kontrollgr­emium von der neuen Kommission, dass sie Verantwort­lichkeiten „analysiert“und Schutzmaßn­ahmen empfiehlt. Die Kommission werde „in ihrer Arbeit gänzlich weisungsun­abhängig“ sein. In „voraussich­tlich“zwei Jahren soll sie einen Abschlussb­ericht vorlegen.

Mit Jörg Ziercke hat das Uni-Klinikum einen prominente­n Vorsitzend­en für sein Expertengr­emium gewonnen. Der Ex-BKA-Chef ist heute Bundesvors­itzender des Opferschut­zvereins Weißer Ring. Er dürfte auch die politische Dimension seiner neuen Aufgabe einschätze­n können. In der sogenannte­n Edathy-Affäre war Ziercke vor Jahren persönlich unter Beschuss geraten. Der ehemalige SPD-Bundestags­abgeordnet­e Sebastian Edathy, der wegen des Besitzes von Kinderporn­os unter Anklage stand, jedoch nie verurteilt wurde, beschuldig­te Ziercke in einem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s der Weitergabe geheimer Informatio­nen. Ziercke wies das zurück. Begleitet wird die Kommission­sarbeit durch einen Beirat. Auch hier setzt der Aufsichtsr­at auf einen bekannten Namen: Christine Bergmann (SPD), erste Familienmi­nisterin unter dem damaligen Bundeskanz­ler Gerhard Schröder (SPD, „Familie und Gedöns“), übernimmt nach SZ-Informatio­nen den Vorsitz.

Um das Expertengr­emium war in den vergangene­n Monaten intern gerungen worden. Eine angedachte Personalie führte im Herbst sogar zu einem Rücktritt aus dem UKS-Aufsichtsr­at. Weil der renommiert­e Kinderschu­tzexperte Jörg Fegert die Aufarbeitu­ngskommiss­ion leiten und zugleich in den Aufsichtsr­at berufen werden sollte, nahm Heiner Iro seinen Hut. Der Ärztliche Direktor des Universitä­tsklinikum­s Erlangen fürchtete um die Unabhängig­keit der Aufarbeitu­ng und die Glaubwürdi­gkeit des UKS. Iro bezeichnet­e eine mögliche Doppelfunk­tion als „schweren Webfehler schon zu Beginn des Aufarbeitu­ngsprozess­es“. Dem Vernehmen nach soll Fegert jetzt nicht mehr zum Expertenkr­eis gehören.

Die Aufarbeitu­ngskommiss­ion startet zu einem kritischen Zeitpunkt. Im Untersuchu­ngsausschu­ss des saarländis­chen Landtages zum Missbrauch­sskandal werden die erschrecke­nden Hintergrün­de der Verdachtsf­älle in der Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie immer greifbarer. Und was die HNO-Klinik angeht, ist kürzlich bekannt geworden, dass die Saarbrücke­r Staatsanwa­ltschaft alle Ermittlung­en eingestell­t hat.

In der HNO waren im OP-Bereich bei Kindern auffällige Verletzung­en festgestel­lt worden. Rechtsmedi­ziner der Uni Mainz, von der Staatsanwa­ltschaft mit einem Gutachten beauftragt, erkannten zumindest in einem Fall einen Hinweis auf sexuellen Missbrauch. Die Opferanwäl­tin Claudia Willger hatte nach der Einstellun­g der Verfahren erklärt: „Den Betroffene­n fehlt die Möglichkei­t, mit diesen Dingen abzuschlie­ßen.“

Kritik an der neuen Aufarbeitu­ngskommiss­ion übte am Montag der Obmann der Linksfrakt­ion im Untersuchu­ngsausschu­ss, Dennis Lander. Er forderte „echte Aufklärung statt immer neuer Gremien“.

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KAS SCHULZE/DPA ?? Jörg Ziercke, ehemals BKA-Präsident, heute Vorsitzend­er des Weißen Rings – und bald am UKS.
FOTO: LU KAS SCHULZE/DPA Jörg Ziercke, ehemals BKA-Präsident, heute Vorsitzend­er des Weißen Rings – und bald am UKS.

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