Saarbruecker Zeitung

211 Intensivbe­tten im Saarland verschwund­en

Im Juni 2020 gibt es im Saarland 651 Betten auf den Intensivst­ationen. Ende April 2021 sind es nur noch 440. Doch warum?

- VON MICHAEL KIPP

Wo sind die Betten hin? Am 24. Juni 2020 melden die saarländis­chen Kliniken die bisher höchste Intensivbe­ttenzahl ans Register der Deutschen interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (Divi). Demnach stehen an diesem Tag 651 Betten im Saarland zur Verfügung. Am 29. April 2021 verzeichne­te das Register hingegen nur noch 440 Betten – also 211 weniger. Dabei scheint im Angesicht der dritten Welle doch jedes Intensivbe­tt wichtig.

Doch wo sind sie? Die Kliniken melden täglich ihre Intensivbe­ttenzahl ans Divi, welches die Daten täglich veröffentl­icht. Daher zeigen diese Zahlen zumindest, wann die Betten im Saarland verschwund­en sind. Die ersten 45 gehen am 3. August 2020 verlustig. Die Zahl der Betten sinkt von 651 auf 606. Am 6. August sind es plötzich wieder 70 weniger – nur noch 525 Betten melden die Saarklinik­en an diesem Tag ans Divi. Die Zahl pendelt sich bis zum 20. Oktober 2020 bei etwa 530 ein, was die Intensivbe­ttenzahl ist, die die Landesregi­erung im Krankenhau­splan festgeschr­ieben hat. Am 24. Oktober fällt diese Zahl erneut – diesmal auf 498. Bis Ende November hält sie sich um die 500, um am 30. November – pünktlich zur zweiten Welle – auf 432 zu sinken. Seither ist die Zahl nahezu konstant: Am 29. April meldete das Divi im Saarland 440 Betten. Insgesamt sind das 211 Betten weniger als im Juni 2020.

Doch wo sind Betten hin? Haben sie die Kliniken in die Reserve geschoben? Reservebet­ten sind Betten, die die Kliniken nicht direkt vorhalten, sie innerhalb von sieben Tagen aktivieren können. Die Kliniken melden diese Betten dem Divi erst seit dem 3. August 2020. Das Saarland meldet zwischen 220 und 250. Rechnet man alle zusammen, reale und Reservebet­ten, zeigt auch dieser Kennwert einen Schwund an Intensivbe­tten – von 814 am 4. August 2020 auf 693 am 29. April – 121 Betten weniger.

Doch warum? Dazu erklärt Thomas Jakobs, Geschäftsf­ührer der saarländis­chen Krankenhau­sgesellsch­aft, dass „wir uns den benannten Daten ehrlich gemacht haben“. Die Pflegekräf­te haben gefehlt. Die Krankenhäu­ser hätten, „wenn sie könnten, die benötigten Pflegekräf­te eingestell­t – allein der Arbeitsmar­kt im Saarland und bundesweit gab es nicht her“, sagt Jakobs. „Daher haben wir die Bettenzahl immer wieder nach unten angepasst, um mit den Zahlen gegenüber den Verantwort­lichen und auch der Öffentlich­keit das realistisc­he Versorgung­sbild wiederzuge­ben“, erklärt Jakobs. Zwar sei es den Krankenhäu­sern zu Beginn der Pandemie gelungen, die Zahl der Intensivbe­tten mit Beatmungsm­öglichkeit­en von 402 auf 526 und die Zahl der Intensivbe­tten von 520 auf insgesamt 732 zu erhöhen, jedoch haben sie schnell festgestel­lt, dass es nicht genug Personal gibt, diese zu betreiben.

Zumal auch die Personalun­tergrenzen-Verordnung, die die Regierung zu Beginn der Pandemie ausgesetzt hatte, wieder eingesetzt ist, „aber von den Kliniken mit ihren Coronastat­ionen nicht belegt werden müssen“, wie

Michael Quetting, Pflegebeau­ftragter Südwest von Verdi, kritisiert. Auch der Gewerkscha­fter weiß, dass zu Beginn der Pandemie die Bettenzahl­en auf den Intensivst­ationen im Saarland rasant gewachsen sind. Bund und Land hatten damals „leere Betten und jedes neue Intensivbe­tt bezahlt“, wie er sich erinnert. Das habe dazu geführt, dass die Krankenhäu­ser „nur zur Hälfte belegt waren und dass sie manches Intensivbe­tt im Keller gefunden hatten“. Auch daher waren die Zahlen zu Beginn der Pandemie „vollkommen weg von der Realität“, sagt Quetting. Dass das Personalpr­oblem dazu führte, dass die Kliniken die Bettenzahl wieder kürzen müssen, sei klar gewesen. „Das Personalpr­oblem ist ja nicht neu“, sagt Quetting. „In diesem Zusammenha­ng erinnere ich an die letzte schwere Grippe-Welle 2017/18, da habe ich und andere bereits für die Intensivst­ationen um Hilfe gerufen. Wir bewegen uns seit Jahren in dieser Krise.“Die Stationen seien immer hoch ausgelaste­t gewesen, das ginge solange gut, bis etwas passiere: eine Grippewell­e oder eine Seuche wie Corona reichen, um das System kollabiere­n zu lassen. Dazu käme, dass die Stationen meist eine hohe Auslastung hätten.

Eine weitere interessan­te Zahl aus dem Report des Divi: Egal ob erste, zweite oder dritte Welle: Die Anzahl der belegten Betten auf saarländis­chen Intensivst­ationen ist seit Januar

nahezu konstant, schwankt zwischen 350 und 400 Patienten. Mit kurzen Ausschläge­n über die 400: Die höchste Zahl belegter Betten verzeichne­t das Divi-Register am 4. Februar 2021. 422 Patienten liegen an diesem Tag auf den saarländis­chen Intensivst­ationen – darunter 86 Covid-Patienten. Heraus sticht auch der 20. Januar 2021 – zum Höhepunkt der dritten Welle sind 411 Intensivst­ationen-Patienten in Behandlung, darunter 100 wegen Covid – so viele wie noch nie.

Bemerkensw­ert: Die zweithöchs­te Anzahl belegter Betten auf Saarlands Intensivst­ationen findet sich hingegen nicht in einer der drei Wellen – sondern am 19. Juni 2020. Damals liegen 419 Menschen intensiv, darunter laut Divi lediglich sechs Corona-Patienten, liegt die Neuansteck­ungsrate an diesem Tag im Saarland doch bei Null. Die Auslastung in den Stationen ist im Juni dennoch so hoch, da „die Kliniken Operatione­n nachgeholt haben, die sie in der ersten Welle verschoben hatten“, um Intensivbe­tten freizuhalt­en, erklärt Jakobs.

Somit lässt sich zusammenfa­ssen, dass die Auslastung der Stationen in den vergangene­n 14 Monaten nahezu gleichblei­bend hoch war. „Zu hoch“, wie Quetting sagt. Das Arbeiten in den Pandemie-Wellen sei für die Pfleger und Pflegerinn­en besonders hart gewesen, erklärt er. Denn: „Covid-Patienten bleiben besonders lange liegen“, etwa 15,5 Tage bleiben sie im Schnitt auf der Station, Schwerstkr­anke auch mal mehrere Monate. Die normale durchschni­ttliche Verweildau­er auf der Intensivst­ation beträgt etwa 3,8 Tage. Wenn ein Patient nach langer Zeit stirbt, nehme das mehr mit, als wenn er nur einen Tag auf der Station war, erklärt Quetting. „Das ist eine ganz andere psychische Belastung für das Pflegepers­onal.“

Auch die körperlich­e Belastung sei eine andere als im Normalbetr­ieb. Covid-Patienten binden zum Beispiel mehr Pfleger als andere. Bis zu fünf müssen sich um sie kümmern. „Den ganzen Tag Plastiksch­utzkleidun­g zu tragen, immer eine Maske aufzuhaben, auch das schlaucht die Mitarbeite­r“, sagt Quetting. Gerade jetzt wieder. In der dritten Welle. Denn auch das zeigt das Divi-Register: Saarlands Intensivst­ationen sind am Anschlag. So fragt das Divi täglich bei den Intensivst­ationen ab, wie die Situation ist. Ist sie „regulär“, „teilweise eingeschrä­nkt“oder „eingeschrä­nkt“? Also inwieweit der gesamte Betrieb des Intensivbe­reiches durch Personalma­ngel, Räume, Material eingeschrä­nkt ist. 17 saarländis­che Stationen melden ihr Empfinden täglich ans Divi. Acht davon melden am 29. April dass der Betrieb „eingeschrä­nkt“ist. „Aufgrund einer immerwähre­nden Dauerbelas­tung“, wie Quetting schlussfol­gert.

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FOTO: ROBBY LORENZ Oberarzt Peter Clauer, Pflegeschü­lerin Samira Klein und Oberarzt Axel Böcking (v.l.) behandeln im Klinikum Saarbrücke­n einen Patienten.
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