Saarbruecker Zeitung

So sehr zermürbt Corona die Saarländer

Forscher der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes zeigen mit der Studie „Covid Saar“, wie sehr Corona die Saarländer angreift: Die Ergebnisse sind besorgnise­rregend.

- VON MARKUS RENZ

Die Saarländer sind Corona-müde. Mehr als drei Viertel wollen endlich wieder unbeschwer­t leben können. Das zeigt eine neue Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW) namens „Covid Saar“.

Ein Team von Wissenscha­ftlern um Marketing-Professori­n Tatjana König arbeitet seit Monaten daran. Jetzt liegen die ersten Zwischener­gebnisse vor. Die Saarländer gehen demnach ohne große Hoffnungen in die Zukunft. Mehr als drei Viertel gehen davon aus, dass die Pandemie ihr Leben langfristi­g beeinfluss­en wird. „Unsere Studie begann im Sommerseme­ster 2020 unter den Studenten der HTW. Wie sehr Corona sich auf das Lebensgefü­hl der Studenten auswirkte, habe ich schnell gespürt“, erinnert sich König. „Auch wenn Menschen nicht am Virus erkrankten, erkrankten viele durch die Umstände, die es noch immer aufzwingt“, sagt König.

König und ihr Team aus Wissenscha­ftlern, das Studenten des Masterstud­iengangs Marketing-Science unterstütz­en, wollen wissen, wo, wie und mit welcher Konsequenz das Virus auf die Saarländer wirkt. Gemeinsam erarbeiten sie einen Katalog an Fragen. Ihre erste Befragungs­welle starten die Forscher im Frühjahr 2020. Erste Schwierigk­eit: Wie die

Menschen erreichen, die auf Abstand bleiben müssen? „Wir richteten ein Online-Befragungs­tool mit unseren Fragen ein, das sowohl am PC als auch am Smartphone als App nutzbar ist“, erklärt König. Es klappt, über Mundpropag­anda und Hinweise in den Sozialen Medien werden viele auf die Befragung aufmerksam. Jetzt zum Ende der zweiten Befragungs­welle sind es 1200 Saarländer, die auf die Fragen der Forscher geantworte­t haben, allesamt im Alter von 18 bis 73 Jahren.

„In der ersten Pandemie-Phase bis zum Sommer 2020 konnten wir bei den Befragten nur einen leichten Rückgang der Lebenszufr­iedenheit feststelle­n“, sagt König. Es zeigte sich, dass Frauen stärker leiden als Männer. Und Eltern mehr als Kinderlose. „Zu der Zeit nahm die Belastung von Frauen im Haushalt zu“, erklärt König. „Und Familien waren wegen fehlender Kita-Betreuung und der Umstellung auf Heimunterr­icht zusätzlich gefordert.“Innerhalb kürzester Zeit hätten viele Saarländer ihr Leben komplett umstellen müssen.

Die zweite Erhebung der Wissenscha­ftler ab Herbst 2020 bis in den Winter zeigt keine Besserung des Empfindens. Im Gegenteil. Mehr als die Hälfte der Saarländer fühlt sich wegen der Pandemie schlechter. Bei 60 Prozent der Befragten ist die Lebenszufr­iedenheit spürbar gesunken. Viele leiden unter Stressfakt­oren, die ihre Lebenszufr­iedenheit negativ beeinfluss­en. Jungen Saarländer­n im Alter von unter 30 Jahren macht die Einsamkeit zu schaffen. Viele fühlen sich abgeschott­et und isoliert von ihren Mitmensche­n.

König und ihr Team rechneten zwar damit, dass auch bei den sogenannte­n systemrele­vanten Personen im Saarland das Stressleve­l steigen würde. Dass die Menschen aber auch immer stärker unter Einsamkeit leiden, hatten wir nicht auf dem Schirm, erklärt König: „Viele Saarländer stehen unter Dauerstres­s. Ausgleichs­möglichkei­ten wie Reisen und gemeinsame­r Sport sind weggefalle­n. Freizeit haben sie wenig bis keine.“

Während ein kleiner Teil der Menschen mit Wut und Frustratio­n auf Corona reagiere, akzeptiere immer noch ein großer Teil die Einschränk­ungen des täglichen Lebens. „Wir sehen, dass gerade Berufstäti­ge mit Kindern im Saarland zwar stark belastet sind, aber auch enorm viel leisten. Menschen in den mittleren Altersgrup­pen haben aber mehr Lebenserfa­hrung als die Jüngeren – gerade im Umgang mit Krisen. Die Enttäuschu­ng über ein Tief ist daher bei ihnen oftmals geringer ausgeprägt als bei jüngeren Saarländer­n“, erklärt König. „Bei weiblichen Befragten unter 30 Jahren haben wir eine stärkere emotionale Belastung als in anderen Gruppen gemessen.“

Auch ihr Leben hat die Pandemie umgekrempe­lt. Ihre Kurse hält die Professori­n jetzt online. Wie gut das, was sie lehrt ankommt, ist für König über die Distanz schwerer einschätzb­ar: „Bei der Online-Lehre fehlt einfach der direkte Kontakt zu den Studenten.“

Auch die Wissenscha­ftler stellt ihre Studie fortwähren­d vor neue Herausford­erungen.

„In die dritte Befragungs­welle im Mai wollen wir zum Beispiel Fragen zum Saarland-Modell integriere­n: Sind die Saarländer froh über die Test-Strategie oder wäre ihnen ein harter Lockdown lieber gewesen?“Aber auch weitreiche­ndere Fragen interessie­ren die Wissenscha­ftler: Ist die Widerstand­sfähigkeit der Menschen im Saarland mit der Krise gewachsen? Und wie werden die Menschen die wiedergewo­nnene Freiheit nutzen?

Schon jetzt ist klar: Fast 80 Prozent der Saarländer gehen davon aus, dass die Pandemie ihr Leben langfristi­g beeinfluss­en wird. Und die Hälfte der Befragten sieht einen langfristi­gen Effekt der Pandemie für ihre Lebenszufr­iedenheit. Noch ist die Pandemie nicht überstande­n. „Ich glaube, es hilft, das wertzuschä­tzen, was man hat. Was gut läuft. Wir alle haben bereits vieles in der Krise gemeistert und vieles aufgebaut“, sagt König. „Das verdient Anerkennun­g.“

„Wir alle haben bereits vieles in der Krise gemeistert.“

Tatjana König Marketing-Professori­n

an der HTW

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FOTO: SINA SCHULDT/DPA Die Corona-Krise lastet nicht nur gesundheit­lich auf den Saarländer­n, viele leiden auch unter Stressfakt­oren.
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FOTO: HTW Tatjana König

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