Sie rennen durch die Berge und die Wüste
Sich quälen und den inneren Schweinehund überwinden – das muss man können, wenn man 77 Kilometer lange Rennen bestehen will. Drei Saarländer erzählen, wie sie dazu kommen, solche Monster-Touren zu laufen. Und erklären, wie man solche Strecken plant.
Ihre Veranstaltungen sind in der saarländischen Läufer-Szene populär, die Startplätze ruckzuck vergriffen: Der Verein Hartfüßler-Trail denkt sich spektakuläre Läufe auf Strecken im ganzen Saarland aus. Doch 2021 mussten bereits zwei abgesagt werden. Sie fielen der Corona-Pandemie zum Opfer. Jetzt hoffen die Verantwortlichen um den Vorsitzenden Hendrik Dörr, dass alle weiteren Geländelauf-Aktivitäten stattfinden können. Etwa das Losheimer Trail-Fest, das im Rahmen des Outdoor-Festivals „Draußen am See“am 26. und 27. Juni erstmals über die Bühne gehen soll. Wenn alles glatt geht, können sich Laufbegeisterte dort auf vier unterschiedlich langen Distanzen auspowern. Sie bekommen „alles, was das Trail-Herz begehrt“, verspricht der Riegelsberger Verein auf seiner Internetseite.
Die anspruchsvollste Strecke ist 77 Kilometer lang. Die Teilnehmer müssen mehr als 2600 Höhenmeter überwinden. Was für die Läufer eine Herausforderung darstellt, ist auch in der Vorbereitung aufwendig. Etliche Male waren Dörr und der zweite Vorsitzende Swen Keller in Losheim und Umgebung unterwegs, um sich zwecks Streckenplanung ein genaues Bild von den Gegebenheiten zu machen. „Seit dem letzten Sommer sind wir etwa 1500 Kilometer rund um Losheim abgelaufen“, gibt Dörr einen Eindruck. Auf der Suche nach der attraktivsten Streckenführung ließen sie kaum einen Winkel aus, eine GPS-Uhr am Handgelenk zeichnete alle Laufdaten auf.
Die Vorarbeit war eine mühsame, aber auch spannende Aufgabe. „Das Saarland hat viele gute Single-Trails zu bieten. Überall in den Wäldern gibt es solche kleinen Pfade, die schön zu laufen sind. Gerade im Bereich von Losheim bis zur Saarschleife sind die Strecken genial“, gerät Dörr ins Schwärmen. Die Gegend zähle nicht umsonst zu den schönsten Wanderregionen Deutschlands. Beim Losheimer Trail-Fest sollen aber auch die Läufer in ihren Genuss kommen.
Bei der Streckenwahl habe man auf Abschnitte, die schon bei anderen Lauf-Events in der Region vorkommen, so gut es geht verzichtet. Die konkrete Festlegung der Strecken erfolgt durch ein digitales Planungstool, in dem alle Wege und Pfade aufgeführt sind. Danach gilt es abzuklären, ob die ausgewählte Strecke tatsächlich umsetzbar ist – per Kontaktaufnahme zu allen relevanten Ämtern und Behörden: Landesamt für Umweltschutz, Saarforst Landesbetrieb, Gemeinde oder Ordnungsamt. „Wir müssen auch bei Privatwaldbesitzern anfragen, ob wir die Bereiche für den Lauf nutzen dürfen. In der Gegend um Losheim gibt es einige davon“, sagt Dörr.
In den meisten Fällen laufe das alles unproblematisch. „Generell geht es darum, die Strecke so zu legen, dass möglichst wenig Konfliktpotenzial besteht. Wenn etwas unklar ist, muss man halt nachhören und gegebenenfalls Änderungen vornehmen.“Etwa für den Fall, dass die Strecke durch ein Naturschutzgebiet führt, wo gerade ein seltener Vogel brütet. „Das wissen die Förster sehr genau“, sagt Dörr. Für den Lauf um Losheim erwartet er in den nächsten Tagen die Rückmeldung des Ministeriums.
Wenn alles läuft wie geplant, steht kurz vor dem Wettkampf mit der Streckenkennzeichnung eine zeitintensive Aufgabe an. Mehrere Markierungsteams laufen die Strecke ab, kennzeichnen mit Kreide und Flatterband den Verlauf. „Bei 77 Kilometern kommt da einiges zusammen. Alle 100 bis 200 Meter setzen wir am Streckenrand Markierungen mit Flatterband, bei Abzweigungen malen wir Pfeile auf den Boden. Ich schätze, dass wir etwa 2500 Meter Flatterband verwenden“, erklärt Dörr. Am Tag der Veranstaltung, die in Kooperation mit dem TV Losheim durchgeführt wird, sind 100 Helfer im Einsatz. Unter anderem an sieben Verpflegungsstationen, die auf der Langdistanz vorgesehen sind.
2012 wurde der Lauf Hartfüßler-Trail
ins Leben gerufen. Die Veranstaltung soll am Sonntag, 29. August, zum zehnten Mal stattfinden. Trotz Corona fand der Lauf auch im Vorjahr statt. „Es gab ein sehr gutes Hygienekonzept“, erinnert sich Sebastian Meiser. Der 33-Jährige vom TV Quierschied ging beim Hartfüßler-Trail erneut über die Langdistanz von 58 Kilometern an den Start – und war so schnell, wie noch nie: „An dem Tag lief es bei mir wunderbar. Vorher habe ich die Strecke mit Ach und Krach in sechseinhalb Stunden geschafft. Diesmal bin ich relativ locker durchgekommen und Bestzeit gelaufen“, sagt er erfreut mit Blick auf die 5:51 Stunden.
Bis vor wenigen Jahren war daran nicht zu denken. „Es fing an, als bei meiner Musterung festgestellt wurde, dass ich untrainiert bin“, erzählt Meiser: „Also begann ich mit dem Laufen. Erst unregelmäßig, dann immer mehr. Ich habe mir immer neue Ziele gesetzt. Zehn Kilometer, Halbmarathon, Marathon – bis es mir auf der Straße irgendwann zu langweilig wurde.“Ein Werbetrailer eines Sportartikel-Herstellers weckte sein Interesse fürs Geländelaufen. „Mich hat es total begeistert, wie die mit Stöcken und Rucksack in den Alpen unterwegs sind“, erzählt Meiser.
2016 feierte der Quierschieder seine Premiere beim Hartfüßler-Trail – eine einschlägige Erfahrung. „Ich dachte, ich sei gut vorbereitet. Letztlich hat mir aber die Erfahrung gefehlt. Ich lag nach 40 Kilometern mit Krämpfen am Streckenrand. Erst als mir ein anderer Läufer eine Salztablette gab, wurde es wieder besser – und ich habe mich irgendwie ins Ziel gequält“, berichtet Meiser.
Ein abschreckendes Erlebnis war das für ihn jedoch nicht. Im Gegenteil. „Diese Erfahrung hat mich nur noch mehr motiviert“, sagt er. Es folgten viele weitere Läufe, in denen Meiser sich und seinen Körper immer besser kennenlernte. Er sagt: „Das Erlebnis macht für mich den Reiz aus. Es ist jedes Mal ein kleines Abenteuer, wenn man allein durch unbekanntes Terrain läuft. So lernt man seine Grenzen kennen, aber auch, diese zu verschieben.“Er könne auf diese Weise „abschalten
und für mich sein. Man hat Zeit, über die Dinge nachzudenken – ein sehr guter Ausgleich zum hektischen Büro-Alltag“.
Auch Ursel Plehwe aus Bübingen hat den Trail-Lauf als große Leidenschaft für sich entdeckt. Mit Mitte 40, als die Kinder aus dem Haus waren, sagte sie sich: „Du musst irgendwas tun.“Nach einem Jahr Walking fing die heute 64-Jährige an mit Laufen. Erst fünf Kilometer, dann zehn, dann immer mehr. „Da war dieser Reiz, seine Grenzen immer weiter auszuloten“, erinnert sich Plehwe: „Irgendwann ist mein Mann Ingo mit eingestiegen. Er meinte, wir könnten ja auch mal einen Marathon laufen. Danach haben wir die Marathons in den großen Städten abgeklappert.“
Dabei sollte es nicht bleiben: Auch die Plehwes führte der Weg von der Straße ins Gelände – und in die weite Welt. In der Wüsten-Hitze der Sahara, im Dschungel von São Tomé, in der Bergwelt Bhutans oder in der Kälte Sibiriens: Ursel und Ingo Plehwe haben läuferisch allerhand gesehen. „Erlebnisse, die man nie mehr vergisst“, sagt die Vorsitzende des Vereins „Run4Fun“Bübingen: „Mein Mann und ich, wir würden uns eher als Genussläufer bezeichnen. Wir lieben vor allem das Exotische, verbunden mit der Idee, auf laufende Weise in die Kultur anderer Länder einzutauchen.“
Natürlich seien solche Touren nicht immer ein Genuss, sondern „eine extreme Herausforderung. Ich wurde dabei schon so sehr an meine Grenzen gebracht“, verrät Ursel Plehwe. Etwa beim Ultra-Marathon im Entabeni-Nationalpark in Südafrika, wo fünf Etappen und insgesamt 265 Kilometer warteten. „Der für mich persönlich spektakulärste Lauf bisher“, sagt Plehwe: „Du übernachtest im Zelt, hast dein Essen aus der Tüte und gehst raus aus jeglicher Komfort-Zone. Wenn du dann heimkommst, weißt du vieles wieder mehr zu schätzen.“
Die Plehwes haben knapp 80 Ultraund Marathon-Läufe gemeinsam absolviert – weitere sollen folgen. „Ich habe irgendwann mal angefangen zu zählen. Jetzt sage ich mir: Ich möchte auf jeden Fall die 100 vollmachen“, sagt Ursel Plehwe augenzwinkernd. Nach einer corona-bedingt entbehrungsreichen Zeit ist das nächste Abenteuer geplant – im Juli steht wieder ein „Ultra-Urlaub“auf São Tomé an. Das ist ein afrikanischer Inselstaat in Äquator-Nähe. Und auch die zehnte Auflage des Hartfüßler-Trails würden die Plehwes gerne wieder auskosten.