Saarbruecker Zeitung

Frankreich erinnert an Napoleon

- FOTO: COEX/AFP

Im Exil auf St. Helena machte Napoleon Bonaparte heute vor 200 Jahren seine letzten Atemzüge: Dieses Gemälde von Jean-Baptiste Mauzaisse zeigt den ehemaligen Kaiser von Frankreich auf dem Totenbett. Bis zu seinem Sturz 1815 hatte der einst gefürchtet­e Feldherr die politische Ordnung in ganz Europa durcheinan­dergewirbe­lt. In Frankreich wird er heute höchst unterschie­dlich bewertet. So oder so: Napoleon hinterließ Spuren – auch im heutigen Saarland.

Napoleon war wohl nur ein einziges Mal im heutigen Saarland – im Mai 1812, als er auf dem Weg zum Russlandfe­ldzug durch Saarbrücke­n zog. Doch die Spuren, die der Kaiser der Franzosen in der Saar-Region und der angrenzend­en Pfalz hinterlass­en hat, sind auch heute, 200 Jahre nach seinem Tod, noch deutlich erkennbar.

Eigentlich waren es bereits die französisc­hen Revolution­struppen, die ab 1794 die Region überrannte­n, sie dem französisc­hen Staat einverleib­ten und die Lebensverh­ältnisse der Menschen umkrempelt­en. Die Historiker­in Prof. Gabriele Clemens macht denn auch keinen Hehl daraus, als was sie den Kaiser der Franzosen sieht: als denjenigen, der die Ideen der Revolution in Gesetze goss und ihnen somit Struktur gab.

„Napoleon schuf eine neue Verfassung, er zentralisi­erte die Verwaltung und reorganisi­erte die Justiz, er versöhnte die politische­n und sozialen Führungssc­hichten“, sagt Clemens, die an der Universitä­t des Saarlandes den Lehrstuhl für Neuere Geschichte und Landesgesc­hichte innehat. Was das konkret für die Saar-Region bedeutete, machte die Historiker­in am Montag auch auf einem Online-Vortrag für die Union-Stiftung deutlich: die Bauernbefr­eiung etwa, die Aufhebung der Zünfte, die Abschaffun­g der Privilegie­n und den Aufbau eines bürgerlich­en Rechtssyst­ems – Reformen, auf die die Menschen im nicht von Frankreich besetzten Deutschlan­d rechts des Rheins teils noch lange Zeit warten mussten.

So sei es auch nicht verwunderl­ich, dass die preußische­n Truppen nach dem Fall Napoleons und 20 Jahren französisc­her Herrschaft bei ihrem Einmarsch in Saarbrücke­n nicht als Befreier bejubelt worden seien. „Man war keineswegs beglückt darüber, ab 1815 von einem weit entfernten protestant­ischen Herrscherh­aus regiert zu werden“, stellt Clemens fest. Die Leute hätten stattdesse­n dafür gekämpft, ihre von Napoleon erhaltenen Rechte behalten zu dürfen.

Wie groß die Begeisteru­ng der Menschen im heutigen Saarland für den aus eher bescheiden­en Verhältnis­sen zum Kaiser der Franzosen aufgestieg­enen korsischen Edelmann war, zeigt auch der Napoleon-Brunnen in Blieskaste­l – ein Obelisk, dessen mit Goldfarbe ausgemalte Gravur in französisc­her Sprache den 18. Mai 1804 hervorhebt, als Napoleon der Beschluss des französisc­hen Senats übergeben wurde, der ihn zum Kaiser der Franzosen erklärte – die Legitimati­on der Volksvertr­eter für die Kaiserkrön­ung am 2. Dezember 1804. Blieskaste­l war damals ein Kanton im durch die Annexion der linksrhein­ischen deutschen Gebiete entstanden­en französisc­hen Départemen­t de la Sarre, das neben dem Großteil des heutigen Saarlands vor allem Gebiete an der Mosel umfasste und bis in die Nordeifel bei Blankenhei­m reichte. Der größte Teil des fast 5000 Quadratkil­ometer großen Areals hatte zuvor zum Kurfürsten­tum Trier gehört, aber auch zum Fürstentum Nassau-Saarbrücke­n und der von den Grafen von der Leyen regierten Grafschaft Blieskaste­l. Départemen­t-Hauptstadt war Trier. Der Kanton Homburg gehörte zum Arrondisse­ment Zweibrücke­n, das im Départemen­t Mont-Tonnaire lag, welches nach dem Donnersber­g in der Nordpfalz benannt wurde.

Aber nicht nur neue Verwaltung­sstrukture­n führten die Franzosen damals ein. Als der römisch-deutsche Kaiser Franz II. im Frieden von Lunéville am 9. Februar 1801 den Anschluss der linksrhein­ischen Gebiete an Frankreich staatsrech­tlich anerkannte, versteiger­te die französisc­he Regierung die dort beschlagna­hmten Adels- und Kirchengüt­er. 14 000 Güter auf der linken Rheinseite wechselten zwischen 1803 und 1813 ihren Besitzer, was in einem Départemen­t schon einmal zwölf Prozent der gesamten Nutzfläche ausmachen konnte, rechnet Clemens vor. Auch die Fabrikante­nfamilien Villeroy und Boch sowie die Stumms hätten erheblich von dieser Besitzumsc­hichtung profitiert. Boch gründete in der ehemaligen Benediktin­erabtei Mettlach eine Steingutma­nufaktur, aus der später die Keramikfab­rik Villeroy & Boch hervorging. Die Eisenprodu­zenten Stumm kauften 1806 für rund 300 000 Francs Immobilien, darunter zwei Hüttenwerk­e und Schmelzöfe­n in Neunkirche­n. Mit dem Erlös aus den Versteiger­ungen finanziert­e Napoleon auch seinen gigantisch­en Militärapp­arat. Durch die in Frankreich 1793 eingeführt­e allgemeine Wehrpflich­t wurden laut Clemens allein im Saar-Départemen­t zwischen 1801 und 1813 insgesamt 13 590 Männer eingezogen. Sie schätzt, dass etwa 5000 davon in den zahlreiche­n Schlachten des Kaisers der Franzosen ihr Leben ließen.

In Napoleons Militärapp­arat legte der Saarlouise­r Michel Ney eine Blitzkarri­ere hin. Mit 19 Jahren als Rekrut eingetrete­n, war er vier Jahre später bereits Hauptmann, mit 27 General und mit 35 schließlic­h Marschall von Frankreich. Napoleon bezeichnet­e ihn als „Tapfersten der Tapferen“, und mit dem Stern seines Kaisers sank auch der Stern Neys. Wegen Hochverrat­s wurde Ney am 7. Dezember 1815 in Paris hingericht­et. Er hatte eigentlich verhindern sollen, dass Napoleon nach dessen Absetzung durch den Senat am 2. April 1814 aus seinem ersten Exil auf der Mittelmeer­insel Elba zurückkehr­t, dann aber die Seiten gewechselt.

Napoleon selbst starb – knapp sechs Jahre nach der verlorenen Schlacht bei Waterloo, die ihn endgültig die Macht kostete – am 5. Mai 1821 in der zweiten Verbannung auf der Insel St. Helena. „Was aber geblieben ist, ist das Erbe der Französisc­hen Revolution“, sagt die Historiker­in Clemens. Und dieses Erbe wirkt im Saarland und in ganz Deutschlan­d bis heute nach.

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FOTO: MANUEL GÖRTZ Der im Volksmund auch Schlangenb­runnen genannte Napoleonbr­unnen in Blieskaste­l.

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