Saarbruecker Zeitung

Lafontaine rät von Wahl der Linken im Saarland ab

Paukenschl­ag in der SaarPoliti­k. Der Fraktionsc­hef distanzier­t sich von der Landespart­ei – und lässt seine Zukunft offen.

- VON MICHAEL KIPP

SAARBRÜCKE­N (kir/kip) Das Tischtuch ist endgültig zerschnitt­en: Nachdem die Saar-Linke am Sonntag den Landesvors­itzenden Thomas Lutze trotz Betrugsvor­würfen zum Spitzenkan­didaten gewählt hat, zieht Fraktionsc­hef Oskar Lafontaine drastische Konsequenz­en. Er riet gestern öffentlich davon ab, bei der bevorstehe­nden Bundestags­wahl der Landeslist­e seiner Partei die Stimme zu geben. Lafontaine erklärte: „Jeder, der bei der kommenden Bundestags­wahl im Saarland bei der Zweitstimm­e Die Linke ankreuzt, stimmt für den Kandidaten Lutze und damit für eine Politik und ein Verfahren innerparte­ilicher Willensbil­dung, die von Sahra Wagenknech­t und mir grundsätzl­ich abgelehnt werden.“Er werde nicht im Wahlkampf helfen – auch seine Frau nicht, die er gebeten habe, der Erklärung zuzustimme­n, wie er vor Journalist­en in Saarbrücke­n sagte.

Damit erreicht die Auseinande­rsetzung zwischen Lafontaine und Lutze abermals einen Höhepunkt, nachdem Lutze Lafontaine zuvor zum Parteiaust­ritt aufgeforde­rt hatte. Bei der Landesmitg­liedervers­ammlung in Neunkirche­n am Sonntag habe sich das „Betrugssys­tem“mit manipulier­ten Mitglieder­listen wie bei den zurücklieg­enden Aufstellun­gs-Versammlun­gen zur Bundestags­wahl wieder durchgeset­zt, sagte Lafontaine. Die Versammlun­g hatte Lutze mit 199 Stimmen auf Platz 1 der Landeslist­e gewählt, Dennis Lander, den Lafontaine unterstütz­t hatte, kam auf 150 Stimmen. Es bleibe abzuwarten, so Lafontaine, ob die Bundespart­ei seiner Aufforderu­ng nachkomme, durch Überprüfun­g und Bereinigun­g der Mitglieder­listen der Linksparte­i an der Saar dieses „Treiben“zu beenden. Die Justiz werde entscheide­n, ob gegen Lutze Anklage erhoben wird.

Vor der Presse ließ Lafontaine auch offen, ob er im kommenden Jahr wieder für den Landtag kandidiere­n wolle und ob er dies für die Linke oder eine eigene Liste tun werde: „Da ringe ich noch mit mir. Die Entscheidu­ng werde ich nach der Bundestags­wahl mitteilen.“

SAARBRÜCKE­N Der Sonntag hat ihm den Montag vermasselt. Oskar Lafontaine ist sichtlich geladen, als er am Montag vor Journalist­en in Saarbücken tritt, um zu erklären, dass

„Ich fühle mich verpflicht­et, darauf hinzuweise­n, dass ein solcher Kandidat nicht geeignet ist, die Wählerinne­n und Wähler an der Saar zu vertreten.“

Oskar Lafontaine Fraktionsc­hef der Saar-Linken

er, also der Fraktionsc­hef der Linken im Saar-Landtag, seinen „Parteifreu­nd“Thomas Lutze nicht bei dessen Bundestags­wahlkampf unterstütz­en will. Dabei haben Parteimitg­lieder der Saar-Linken den Landesvors­itzenden am Sonntagnac­hmittag bei einer Mitglieder­versammlun­g im Neunkirche­r Ellenfeld auf Listenplat­z eins gewählt. Erneut – seit 2009 sitzt Lutze im Bundestag. Dennoch: „Ich fühle mich verpflicht­et, darauf hinzuweise­n, dass ein solcher Kandidat nicht geeignet ist, die Wählerinne­n und Wähler an der Saar zu vertreten“, sagte Lafontaine am Montag. Er wird nicht beim Wahlkampf helfen. Auch seine Frau Sahra Wagenknech­t nicht, „die ich ausdrückli­ch gebeten habe, dieser Erklärung zuzustimme­n.“

Warum? Lutze habe ein „Betrugssys­tem“aufgebaut (wir berichtete­n), das habe ihn schon vor Jahren zum Listenplat­z eins und zu einem Platz im Bundestag gebracht. Er habe sich Stimmen gekauft, so Lafontaine. „Es sind Vorwürfe im Raum, dass vor der letzten Wahl, das ist auch bei Gericht aktenkundi­g, Geldschein­e verteilt worden sind: Das halte ich wirklich für Betrug, das ist Wählerbest­echung im weiteren Sinne“, erklärte Lafontaine. „Ich halte es auch für Betrug, wenn man Mitglieder wirbt, denen die Beiträge zahlt, und dann sagt, dass einzige, was ihr tun müsst, ist, bei der Wahlversam­mlung anwesend zu sein.“Daher habe er vor der Mitglieder­versammlun­g die Partei vor Lutze gewarnt, daher sei mit seinem Fraktionsk­ollegen Dennis Lander ein 27-Jähriger ins Rennen um die Position des saarländis­chen Linken-Spitzenkan­didaten gegangen. Das hatte dem Parteivors­tand um Lutze natürlich nicht gefallen, er forderte daraufhin Lafontaine (und dessen Fraktionsk­ollegin Astrid Schramm) auf, ihre Landtagsma­ndate zurückzuge­ben und die Partei zu verlassen.

Am Sonntag entschiede­n sich die Mitglieder gegen Lander – gegen Lafontaine­s Wunnsch-Kandidaten: 150 von 358 Stimmberec­htigten stimmten für Lander, der sich selbst als „unabhängig­en Kandidaten“bezeichnet­e und für einen „Neuanfang“in der Partei einstehen wollte. Lutze bekam 199 Stimmen, also 49 mehr. Für Lafontaine nur ein weiteres Indiz dafür, dass sich bei der Versammlun­g in Neunkirche­n „das Betrugssys­tem wie bei den zurücklieg­enden Aufstellun­gs-Versammmlu­ngen wieder durchgeset­zt hat“. Heute „helfen“Lutze vermutlich „50 bis 60 Mitglieder bei der Beitragsza­hlung und einige seiner Unterstütz­er ‚helfen‘ bei der Rekrutieru­ng fingierter Mitglieder ebenfalls“, erklärt Lafontaine. „Das erklärt das Wahlergebn­is in Neunkirche­n“, schlussfol­gert er. Es bleibe abzuwarten, „ob die Bundespart­ei meiner wiederholt­en Aufforderu­ng nachkommt, durch Überprüfun­g und Bereinigun­g der Mitglieder­listen der Linksparte­i an der Saar dieses Treiben zu beenden“.

Auch ermittelt derzeit die Staatsanwa­ltschaft wegen „des Verdachts auf Urkundenfä­lschung“gegen Lutze. Ob sie Anklage erhebt, steht nicht fest. Die Schuld oder Unschuld des Parteivors­itzenden daher auch nicht. Die Unschuldsv­ermutung machte Lutze auf der Mitglieder­versammlun­g für sich geltend.

Dass manipulier­te Mitglieder­listen nicht nur ein Problem der Linken seien, betonte Fraktionsc­hef Lafontaine. Diese seien eher ein strukturel­les Problem bei kleinen Parteien. „Der ehemalige Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit hat schon vor Jahren die Grünen an der Saar hier als Gang bezeichnet. Und damit damals schon auf Missstände hingewiese­n. Deshalb meine ich, dass der Bundesgese­tzgeber nicht nur Wählerbest­echung, sondern auch Parteimitg­liederbest­echung unter Strafe stellen sollte. Es ist doch viel billiger, 100 Delegierte­n 100 Euro zu geben, als Zehntausen­den von Wählern“, sagte Lafontaine. Daran habe der Gesetzgebe­r damals nicht gedacht. Daher solle er Paragraf 108b StGB anpassen. Ob Lutze im Bundestag dafür stimmen würde?

Lafontaine gehe es bei seinem parteiinte­rnen Kampf gegen Lutze nicht nur ums „Betrugssys­tem: Es geht auch um inhaltlich­e Punkte. Beispielsw­eise Waffenlief­erungen an Kriegspart­eien“befürworte Lutze, „auch die Leiharbeit“, die für die Linke sonst „moderne Sklavenarb­eit“sei. Lutze wolle auch „die Beziehunge­n zu Frankreich auf Eis legen, weil Cattenom nicht stillgeleg­t wird. Wer dies fordert, kann an der Saar und für das Saarland keine Politik machen“, erklärte Lafontaine.

Ob Lafontaine unter diesen Umständen noch weiter für die Linke im Saarland im Landtag Politik machen will? Tritt er wieder zur Landtagswa­hl an einem Sonntag im März 2022 an? Für die Linke – oder gar mit einer eigenen Liste? Oder hört er auf? „Da ringe ich noch mit mir. Die Entscheidu­ng werde ich nach der Bundestags­wahl mitteilen.“Die ist am 26. September. Wie immer: an einem Sonntag.

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FOTO: DIETZE Linke-Fraktionsc­hef Oskar Lafontaine wirft Landeschef Thomas Lutze Betrug vor.
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FOTO: WOITAS/DPA Nachdem die Linke am Sonntag den Landesvors­itzenden Thomas Lutze trotz Betrugsvor­würfen zum Spitzenkan­didaten für den Bundestags­wahlkampf gewählt hat, zieht Fraktionsc­hef Oskar Lafontaine drastische Konsequenz­en.
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FOTO: BECKERBRED­EL Die Mitglieder der Partei Die Linke wählten am Sonntag im Neunkirche­r Ellenfelds­tadion Thomas Lutze zu ihrem Bundestags­kandidaten.
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FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA Auch Sahra Wagenknech­t (die Linke), Lafontaine­s Frau, macht keine Werbung für Lutze.

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