Saarbruecker Zeitung

Baerbocks 16 Cent sind die fünf Mark von 1998

In Sachsen-Anhalt erleben die Grünen bei der Landtagswa­hl erneut ein Benzinprei­sdebakel. Dennoch soll die Forderung beim anstehende­n Parteitag ins Wahlprogra­mm aufgenomme­n werden.

- VON WERNER KOLHOFF Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Manuel Görtz

BERLIN Wiederholt sich Geschichte so exakt? Vor 23 Jahren wurden die Grünen schon einmal wegen einer Benzinprei­sdebatte von den Wählern verprügelt. Jetzt wieder. In Sachsen-Anhalt erlebte Grünen-Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock am Sonntag einen herben Dämpfer für ihre Ambitionen, auch weil sie mitten in der Schlusspha­se des Wahlkampfe­s eine Erhöhung des Benzinprei­ses um 16 Cent ab dem Jahr 2023 ins Gespräch gebracht hatte.

Die Ähnlichkei­ten sind frappieren­d. Im März 1998 waren die Grünen eigentlich ebenfalls im Höhenflug, als ihre Delegierte­n ausgerechn­et in Magdeburg auf einem Bundespart­eitag einen höheren Benzinprei­s beschlosse­n. In jährlichen Schritten sollte er im Rahmen einer „ökologisch­en Steuerrefo­rm“auf fünf D-Mark gebracht werden. Das wären nach heutigen Preisen ungefähr vier Euro je Liter. Als „Benzinprei­s-Beschluss“ging das in die Geschichte ein. Es setzte Prügel von allen Seiten. Die CDU startete eine Kampagne „Lass dich nicht anzapfen“, und SPD-Kanzlerkan­didat Gerhard Schröder erklärte den potenziell­en Koalitions­partner für nicht regierungs­fähig. „Grüner Alptraum“, titelte die Bild. Dass die Grünen die Einnahmen in Form einer wegfallend­en Kfz-Steuer an die Bürger zurückgebe­n wollten, ging unter. In Magdeburg flog die Partei, die dort gerade noch mitregiert hatte, bei den unmittelba­r folgenden Wahlen aus dem Landtag und auch bei der Bundestags­wahl im Herbst sackte sie auf 6,7 Prozent ab. Dass es damals doch noch für Rot-Grün im Bund reichte, lag einzig an der starken SPD.

An einem Punkt endet die Parallele: Heute haben sich mit Ausnahme der AfD alle Parteien dem Klimaschut­z verschrieb­en. Gerade erst haben CDU und SPD per Kabinettsb­eschluss Minderungs­ziele für den CO2-Ausstoß in allen Sektoren vorgelegt. Demnach soll der Verkehr allein bis 2030 rund 43 Prozent weniger Kohlendiox­id produziere­n. Ab 2025 will auch die Koalition 55 Euro je Tonne CO2 nehmen. Baerbock nur zwei Jahre früher. Ein CO2-Preis von 25 Euro ist schon großkoalit­ionäres Gesetz und hat das Benzin seit Anfang des Jahres um rund sechs Cent verteuert.

Der Co-Vorsitzend­e Robert Habeck nannte nach den Beratungen des Parteivors­tandes am Montag als Hauptprobl­em des grünen Wahlkampfe­s in Sachsen-Anhalt, dass man das Benzinprei­sthema „nicht hinreichen­d gut erklärt“habe. Vor allem sei nicht klar gemacht worden, dass die Einnahmen aus der CO2-Steuer auf Benzin komplett an die Bürger zurückgege­ben werden sollen. Und zwar zu gleichen Teilen, so dass Wenigverbr­aucher sogar noch Geld verdienen. Dass dieses Modell mal „Energiegel­d“, mal „Klimabonus“heiße, sei möglicherw­eise schon ein Teil des Problems.

Außerdem hätten die Grünen den anderen Parteien durchgehen lassen, dass sie nicht nach den Konsequenz­en ihrer Klimakonze­pte gefragt worden seien. Das Vorantreib­en des Klimaschut­zes lasse „auf der Rückseite Verdrusspo­tenzial entstehen“, analysiert­e Habeck. Allerdings sei es bundesweit wohl nicht so schwierig wie in Sachsen-Anhalt.

Ungeachtet aller negativen Erfahrunge­n jetzt und vor 23 Jahren soll die Benzinprei­s-Forderung am kommenden Wochenende nun förmlich von einem digitalen Parteitag als Teil des Wahlprogra­mms beschlosse­n werden. Auch Baerbock bekräftigt­e am Wahlabend trotzig, dass es kein Zurück gebe und auch keine unterschie­dlichen Wahlaussag­en in Ost und West: „Wir werden mit unseren Themen klar, offen und ehrlich in den Wahlkampf gehen.“

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FOTO: STRATENSCH­ULTE/DPA Trotz des schwachen Ergebnisse­s bei der Wahl in Sachsen-Anhalt halten die Grünen an einer Benzinprei­s-Erhöhung von 16 Cent fest.
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FOTO: NIETFELD/DPA Annalena Baerbock, Bundesvors­itzende und Kanzlerkan­dida tin der Grünen.

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