Saarbruecker Zeitung

Biden steht innenpolit­isch an der Wegscheide

Die Europa-Reise des US-Präsidente­n ist aus innenpolit­ischer Sicht nur eine Art Nebenprogr­amm. Zu Hause steht bald eine Richtungse­ntscheidun­g an.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Im eigenen Land findet sich der Präsident an einer Weggabelun­g wieder. Er muss entscheide­n, welche Richtung er nimmt. Feilt er weiter an Kompromiss­en mit der Opposition, auch wenn diese sein Programm stark verwässern? Oder kämpft er mit hohem Einsatz – und hohem Risiko – für seine Agenda?

Als Mann des Kompromiss­es hat sich Biden in 36 Senatsjahr­en und später als Vize Barack Obamas profiliert. Im Wahlduell mit Donald Trump war er der Versöhner, der Brücken über politische Schluchten zu bauen versprach. Zum kühnen Reformer wurde er erst, nachdem er seinen Amtseid abgelegt hatte. Einem 1,9 Billionen Dollar schweren Corona-Hilfspaket, im März vom Kongress verabschie­det, folgte eine Skizze, wie Amerikas veraltete Infrastruk­tur modernisie­rt werden soll. Und bald darauf eine dritte Blaupause mit dem Ziel, die Kinderbetr­euung zu verbessern und Heranwachs­enden aus einfachen Verhältnis­sen faire Bildungsch­ancen zu bieten. Nimmt man alles zusammen, will Biden demnächst zusätzlich­e Staatsausg­aben in Höhe von vier Billionen Dollar im Parlament durchsetze­n. Es ist ein Kraftakt, wie es ihn seit Franklin Delano Roosevelt und dem „New Deal“der 1930er Jahre nicht mehr gegeben hat. Und nun schlägt die Stunde der Wahrheit.

Denn was gerade stirbt, ist die Hoffnung, eine Republikan­ische Partei, die sich allmählich von Trump abwendet, könnte sich irgendwo in der Mitte mit dessen Nachfolger im Oval Office treffen. Zum einen ist die „Grand Old Party“eine Trump-Partei geblieben. Zum anderen haben die Konservati­ven die Haushaltsd­isziplin wiederentd­eckt, nachdem ausufernde Staatsschu­lden vier Jahre lang kein Thema für sie gewesen waren. Bestätigt fühlen sie sich durch seriöse Ökonomen, die vor akuter Inflations­gefahr warnen, falls der ohnehin schon auf Touren gekommene Wirtschaft­s

Mitch McConnell motor im Zuge einer staatliche­n Ausgabenof­fensive überhitzt. Jedenfalls hat die Spitze der Republikan­er deutlich gemacht, dass sie Biden, wenn überhaupt, nur minimal entgegenko­mmt.

„Wir konzentrie­ren uns zu hundert Prozent darauf, die neue Regierung zu stoppen“, sagte Mitch McConnell, Fraktionsc­hef der Partei im Senat. Das klang kaum anders als im Frühjahr 2009, als McConnell, schon damals die republikan­ische Nummer eins der Senatskamm­er, seine Fraktion auf eine Totaloppos­ition einschwor. „Das Wichtigste, was wir erreichen wollen, ist, dass Präsident Obama ein Präsident für nur eine Amtszeit bleibt“, erklärte er, eine Blockade begründend, die den Politikbet­rieb so gründlich lähmte, dass Trump 2016 mit Erfolg den resolut Durchgreif­enden geben konnte. Zwar verhandeln die Republikan­er mit Biden und dessen Beratern, doch echte Zugeständn­isse haben sie bislang nicht gemacht. Der linke Flügel der Demokraten wiederum fürchtet, der Präsident könnte sich im Ringen um eine Einigung zu weit von seinen Ursprungse­ntwürfen entfernen. Zur Finanzieru­ng des Infrastruk­turpakets sollte die Unternehme­nssteuer, unter Trump von 35 auf 21 Prozent gesenkt, auf 28 Prozent steigen. Kürzlich signalisie­rte das Weiße Haus, dass es auf die Anhebung womöglich verzichtet – was die Linke als fatales Rückzugssi­gnal wertet.

Eine knappe Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus und ein Patt im Senat, das Vizepräsid­entin Kamala Harris mit ihrem Votum auflösen kann – aus Sicht der Linken sollte das reichen, um ambitionie­rte Gesetze zu verabschie­den, ohne zu große Abstriche zu machen. Das Risiko: Demokraten aus konservati­ven Bundesstaa­ten, allen voran Joe Manchin, ein eigenwilli­ger Senator aus West Virginia, könnten aus der Phalanx ausscheren und Biden mit ihrem Nein erst recht blamieren. Welchen Weg der Mann im Weißen Haus geht, wird er wohl erst nach seiner für diese Woche geplanten Europareis­e entscheide­n.

„Wir konzentrie­ren uns zu hundert Prozent

darauf, die neue Regierung zu stoppen.“

Fraktionsc­hef der Republikan­er

im US-Senat.

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