Biden steht innenpolitisch an der Wegscheide
Die Europa-Reise des US-Präsidenten ist aus innenpolitischer Sicht nur eine Art Nebenprogramm. Zu Hause steht bald eine Richtungsentscheidung an.
WASHINGTON Im eigenen Land findet sich der Präsident an einer Weggabelung wieder. Er muss entscheiden, welche Richtung er nimmt. Feilt er weiter an Kompromissen mit der Opposition, auch wenn diese sein Programm stark verwässern? Oder kämpft er mit hohem Einsatz – und hohem Risiko – für seine Agenda?
Als Mann des Kompromisses hat sich Biden in 36 Senatsjahren und später als Vize Barack Obamas profiliert. Im Wahlduell mit Donald Trump war er der Versöhner, der Brücken über politische Schluchten zu bauen versprach. Zum kühnen Reformer wurde er erst, nachdem er seinen Amtseid abgelegt hatte. Einem 1,9 Billionen Dollar schweren Corona-Hilfspaket, im März vom Kongress verabschiedet, folgte eine Skizze, wie Amerikas veraltete Infrastruktur modernisiert werden soll. Und bald darauf eine dritte Blaupause mit dem Ziel, die Kinderbetreuung zu verbessern und Heranwachsenden aus einfachen Verhältnissen faire Bildungschancen zu bieten. Nimmt man alles zusammen, will Biden demnächst zusätzliche Staatsausgaben in Höhe von vier Billionen Dollar im Parlament durchsetzen. Es ist ein Kraftakt, wie es ihn seit Franklin Delano Roosevelt und dem „New Deal“der 1930er Jahre nicht mehr gegeben hat. Und nun schlägt die Stunde der Wahrheit.
Denn was gerade stirbt, ist die Hoffnung, eine Republikanische Partei, die sich allmählich von Trump abwendet, könnte sich irgendwo in der Mitte mit dessen Nachfolger im Oval Office treffen. Zum einen ist die „Grand Old Party“eine Trump-Partei geblieben. Zum anderen haben die Konservativen die Haushaltsdisziplin wiederentdeckt, nachdem ausufernde Staatsschulden vier Jahre lang kein Thema für sie gewesen waren. Bestätigt fühlen sie sich durch seriöse Ökonomen, die vor akuter Inflationsgefahr warnen, falls der ohnehin schon auf Touren gekommene Wirtschafts
Mitch McConnell motor im Zuge einer staatlichen Ausgabenoffensive überhitzt. Jedenfalls hat die Spitze der Republikaner deutlich gemacht, dass sie Biden, wenn überhaupt, nur minimal entgegenkommt.
„Wir konzentrieren uns zu hundert Prozent darauf, die neue Regierung zu stoppen“, sagte Mitch McConnell, Fraktionschef der Partei im Senat. Das klang kaum anders als im Frühjahr 2009, als McConnell, schon damals die republikanische Nummer eins der Senatskammer, seine Fraktion auf eine Totalopposition einschwor. „Das Wichtigste, was wir erreichen wollen, ist, dass Präsident Obama ein Präsident für nur eine Amtszeit bleibt“, erklärte er, eine Blockade begründend, die den Politikbetrieb so gründlich lähmte, dass Trump 2016 mit Erfolg den resolut Durchgreifenden geben konnte. Zwar verhandeln die Republikaner mit Biden und dessen Beratern, doch echte Zugeständnisse haben sie bislang nicht gemacht. Der linke Flügel der Demokraten wiederum fürchtet, der Präsident könnte sich im Ringen um eine Einigung zu weit von seinen Ursprungsentwürfen entfernen. Zur Finanzierung des Infrastrukturpakets sollte die Unternehmenssteuer, unter Trump von 35 auf 21 Prozent gesenkt, auf 28 Prozent steigen. Kürzlich signalisierte das Weiße Haus, dass es auf die Anhebung womöglich verzichtet – was die Linke als fatales Rückzugssignal wertet.
Eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus und ein Patt im Senat, das Vizepräsidentin Kamala Harris mit ihrem Votum auflösen kann – aus Sicht der Linken sollte das reichen, um ambitionierte Gesetze zu verabschieden, ohne zu große Abstriche zu machen. Das Risiko: Demokraten aus konservativen Bundesstaaten, allen voran Joe Manchin, ein eigenwilliger Senator aus West Virginia, könnten aus der Phalanx ausscheren und Biden mit ihrem Nein erst recht blamieren. Welchen Weg der Mann im Weißen Haus geht, wird er wohl erst nach seiner für diese Woche geplanten Europareise entscheiden.
„Wir konzentrieren uns zu hundert Prozent
darauf, die neue Regierung zu stoppen.“
Fraktionschef der Republikaner
im US-Senat.