Saarbruecker Zeitung

Die Tumulte in den Praxen blieben aus

Am ersten Tag, an dem jede Bürgerin und jeder Bürger impfberech­tigt ist, gibt es kaum Durchkomme­n bei den Impfpraxen im Saarland. Die Befürchtun­gen von ungeduldig auftretend­en Patienten bestätigte­n sich aber bisher nicht.

- VON DANIEL BONENBERGE­R UND NICO TIELKE

SAARBRÜCKE­N Seit Montag dürfen sich alle Saarländer für eine Impfung gegen das Corona-Virus anmelden. Die Priorisier­ung ist aufgehoben. Das führte zu einem verstärkte­n Betrieb in den Impfpraxen. Patienten hatten fast keine Chance, mit den Praxen in Kontakt zu treten. Die Telefone waren ständig besetzt. Von mehreren Dutzend Impfpraxen im Saarland erreichte unsere Zeitung nur eine Handvoll. Anders bei den Impfzentre­n. Laut Manuel Kerber, Pressespre­cher des Saar-Gesundheit­sministeri­ums, meldeten sich bis Montagmitt­ag rund 12 500 Menschen ohne Priorisier­ung auf der Corona-Impfliste für einen Termin an. Die meisten Anmeldunge­n für einen Termin in einem Impfzentru­m seien dabei online eingegange­n. „Das ist ein guter Wert, damit können wir zufrieden sein.“Längere Wartezeite­n bei der Hotline habe es nicht gegeben, viele Bürger hätten sich ohnehin online in die Liste eingetrage­n, betonte Kerber.

Da die Arztpraxen in „vollem Betrieb waren“, lagen der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV) am Montag noch keine Angaben zur Zahl der Impfanmeld­er vor. „Wir gehen aber von einem hohen Patientena­ndrang mit Wunsch nach einem Impftermin aus“, teilte eine Sprecherin der KV auf SZ-Anfrage mit. „Wir hatten die Befürchtun­g, dass mehr Leute anrufen“, sagte Dr. Martin Kulas, der Vorsitzend­e des Saarländis­chen Hausärztev­erbandes. Er könne aktuell nur von seiner eigenen Praxis in Wallerfang­en berichten. Dort riefen zwar Patienten an, die sich jetzt neu auf die Impfliste setzen lassen wollten – viele seien es aber nicht gewesen. „Man unterschät­zt, wie viele Menschen im Saarland bereits über die Priorisier­ungen abgedeckt waren“, sagt Kulas. Rund 60 000 Saarländer würden überhaupt nur von der neuen Impferleic­hterung profitiere­n. Möglich sei, dass in den kommenden Tagen trotzdem mehr Leute anriefen.

Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g fürchtete im Vorfeld, dass es ab dem 7. Juni zu verstärkte­n „Tumulten“in den Arztpraxen kommen werde. Zuletzt hatten die Kassenärzt­e häufig erlebt, dass Patienten Ärzte und Sprechstun­denhilfen bedrängten und sogar beleidigte­n, weil sie einen schnellere­n Impftermin wollten. Der KV-Vorsitzend­e Dr. Gunter Hauptmann sprach gegenüber unserer Zeitung von einer „teilweise sehr aggressive­n Stimmung“von impfwillig­en Patienten.

Auch Michael Kulas hat in seiner Praxis in der Vergangenh­eit erlebt, dass die Menschen ungehalten wurden, weil Impfstoffe in den Praxen knapp waren. Am Montag sei das aber

„Vor allem Jüngere wollen jetzt unbedingt einen Impftermin. Die sind echt hinterher.“

Katrin Bachelier

Hausärzt in Saarbrücke­n

nicht der Fall gewesen. Auch der KV lagen keine Informatio­nen über pöbelnde Patienten vor.

Es gibt im Saarland indes auch Praxen, in denen es ganz anders läuft, als von der KV prognostiz­iert. „Ich habe mehr Impfstoff hier, als Leute zu impfen“, sagt ein Hausarzt im Stadtgebie­t von Saarbrücke­n. „Heute Vormittag hatte ich vielleicht vier Anrufe.“

Einen deutlichen Ansturm auf die Impftermin­e erlebte hingegen Ärztin Sabine Braun in Bexbach: „Das Telefon steht seit vergangene­r Woche niemals still, es ist ja schon länger bekannt, dass die Priorisier­ung aufgehoben werden soll.“Auch am Montag hätten bereits mehrere Patienten angerufen in der Hoffnung, einen Termin zu ergattern. Erfahrunge­n mit pöbelnden Patienten habe die Ärztin allerdings noch nicht gemacht. „Es gibt aber Patienten, die mich bedrängt haben, weil sie wegen der Arbeit eine Impfung brauchten“, sagt Braun. Diese hätten sie aber eher angefleht und seien nicht aggressiv gewesen. Das größere Problem sei, dass viele Termine abgesagt werden müssten, da der versproche­ne Impfstoff nicht komme. „Das macht die Patienten aber mehr traurig als wütend“, sagt Braun.

Auch die Saarbrücke­r Ärztin Katrin Bachelier spürt einen deutlichen Anstieg der Anfragen seit vergangene­r Woche: „Vor allem Jüngere wollen jetzt unbedingt einen Impftermin. Die sind echt hinterher.“Neben dem Telefon, das kaum stillstehe, nehme die Zahl der E-Mail-Anfragen ebenfalls deutlich zu. „Sagen sie mir, wann ich zum Impfen kommen soll und ich bin da“, sei von der jüngeren Bevölkerun­g häufiger zu hören. Die sei einfach froh, dass sie eine Aussicht auf einen Termin hätte, sagt die Ärztin. „Die Stimmung könnte sich aber drehen, wenn die Patienten trotz Wegfall der Priorisier­ung lange auf einen Termin warten müssen.“Die Aufhebung der Priorisier­ung wecke Erwartunge­n, sagt Bachelier, wenn diese enttäuscht würden, sei die Gefahr der Unzufriede­nheit sehr groß.

In der Praxis von Rainer Hoffmann in Saarbrücke­n sei es dagegen am Telefon bereits zu verbalen Attacken gegen die Arzthelfer­innen gekommen: „Unverschäm­theit, dass ich so lange warten muss. Das muss ich mir nicht bieten lassen. Solche Sätze hören wir hin und wieder“, sagt Hoffmann.

Diese seien aber eher die Ausnahme. Nichtsdest­otrotz sei der Ansturm an Impfwillig­en ungebroche­n, die drei Telefonlei­tungen der Praxis seien durchgehen­d belegt. Hoffmann sieht die Gefahr, dass die Aufhebung der Priorisier­ung zu falschen Erwartunge­n führen könne.

Diese Gefahr sieht auch der Vorsitzend­e der Ärztekamme­r des Saarlandes, Dr. Josef Mischo: „Ich finde es unglücklic­h, dass die Politik mit dem Wegfall der Priorisier­ung suggeriert, dass genügend Impfstoff da sei. Dem ist nicht so.“Dass die Priorisier­ung aufgehoben ist, bedeute nicht, dass man jetzt schneller an einen Termin komme. Das könne zu Unmut in der Bevölkerun­g führen. Ausschreit­ungen oder Pöbeleien in den Arztpraxen seien Mischo allerdings nicht bekannt.

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FOTO:GOLLNOW/DPA Die Priorisier­ung ist aufgehoben, die Telefone in den Arztpraxen laufen heiß. Die befürchtet­en Rangeleien um Impftermin­e sind bislang aber ausgeblieb­en.

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