Die Tumulte in den Praxen blieben aus
Am ersten Tag, an dem jede Bürgerin und jeder Bürger impfberechtigt ist, gibt es kaum Durchkommen bei den Impfpraxen im Saarland. Die Befürchtungen von ungeduldig auftretenden Patienten bestätigten sich aber bisher nicht.
SAARBRÜCKEN Seit Montag dürfen sich alle Saarländer für eine Impfung gegen das Corona-Virus anmelden. Die Priorisierung ist aufgehoben. Das führte zu einem verstärkten Betrieb in den Impfpraxen. Patienten hatten fast keine Chance, mit den Praxen in Kontakt zu treten. Die Telefone waren ständig besetzt. Von mehreren Dutzend Impfpraxen im Saarland erreichte unsere Zeitung nur eine Handvoll. Anders bei den Impfzentren. Laut Manuel Kerber, Pressesprecher des Saar-Gesundheitsministeriums, meldeten sich bis Montagmittag rund 12 500 Menschen ohne Priorisierung auf der Corona-Impfliste für einen Termin an. Die meisten Anmeldungen für einen Termin in einem Impfzentrum seien dabei online eingegangen. „Das ist ein guter Wert, damit können wir zufrieden sein.“Längere Wartezeiten bei der Hotline habe es nicht gegeben, viele Bürger hätten sich ohnehin online in die Liste eingetragen, betonte Kerber.
Da die Arztpraxen in „vollem Betrieb waren“, lagen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) am Montag noch keine Angaben zur Zahl der Impfanmelder vor. „Wir gehen aber von einem hohen Patientenandrang mit Wunsch nach einem Impftermin aus“, teilte eine Sprecherin der KV auf SZ-Anfrage mit. „Wir hatten die Befürchtung, dass mehr Leute anrufen“, sagte Dr. Martin Kulas, der Vorsitzende des Saarländischen Hausärzteverbandes. Er könne aktuell nur von seiner eigenen Praxis in Wallerfangen berichten. Dort riefen zwar Patienten an, die sich jetzt neu auf die Impfliste setzen lassen wollten – viele seien es aber nicht gewesen. „Man unterschätzt, wie viele Menschen im Saarland bereits über die Priorisierungen abgedeckt waren“, sagt Kulas. Rund 60 000 Saarländer würden überhaupt nur von der neuen Impferleichterung profitieren. Möglich sei, dass in den kommenden Tagen trotzdem mehr Leute anriefen.
Die Kassenärztliche Vereinigung fürchtete im Vorfeld, dass es ab dem 7. Juni zu verstärkten „Tumulten“in den Arztpraxen kommen werde. Zuletzt hatten die Kassenärzte häufig erlebt, dass Patienten Ärzte und Sprechstundenhilfen bedrängten und sogar beleidigten, weil sie einen schnelleren Impftermin wollten. Der KV-Vorsitzende Dr. Gunter Hauptmann sprach gegenüber unserer Zeitung von einer „teilweise sehr aggressiven Stimmung“von impfwilligen Patienten.
Auch Michael Kulas hat in seiner Praxis in der Vergangenheit erlebt, dass die Menschen ungehalten wurden, weil Impfstoffe in den Praxen knapp waren. Am Montag sei das aber
„Vor allem Jüngere wollen jetzt unbedingt einen Impftermin. Die sind echt hinterher.“
Katrin Bachelier
Hausärzt in Saarbrücken
nicht der Fall gewesen. Auch der KV lagen keine Informationen über pöbelnde Patienten vor.
Es gibt im Saarland indes auch Praxen, in denen es ganz anders läuft, als von der KV prognostiziert. „Ich habe mehr Impfstoff hier, als Leute zu impfen“, sagt ein Hausarzt im Stadtgebiet von Saarbrücken. „Heute Vormittag hatte ich vielleicht vier Anrufe.“
Einen deutlichen Ansturm auf die Impftermine erlebte hingegen Ärztin Sabine Braun in Bexbach: „Das Telefon steht seit vergangener Woche niemals still, es ist ja schon länger bekannt, dass die Priorisierung aufgehoben werden soll.“Auch am Montag hätten bereits mehrere Patienten angerufen in der Hoffnung, einen Termin zu ergattern. Erfahrungen mit pöbelnden Patienten habe die Ärztin allerdings noch nicht gemacht. „Es gibt aber Patienten, die mich bedrängt haben, weil sie wegen der Arbeit eine Impfung brauchten“, sagt Braun. Diese hätten sie aber eher angefleht und seien nicht aggressiv gewesen. Das größere Problem sei, dass viele Termine abgesagt werden müssten, da der versprochene Impfstoff nicht komme. „Das macht die Patienten aber mehr traurig als wütend“, sagt Braun.
Auch die Saarbrücker Ärztin Katrin Bachelier spürt einen deutlichen Anstieg der Anfragen seit vergangener Woche: „Vor allem Jüngere wollen jetzt unbedingt einen Impftermin. Die sind echt hinterher.“Neben dem Telefon, das kaum stillstehe, nehme die Zahl der E-Mail-Anfragen ebenfalls deutlich zu. „Sagen sie mir, wann ich zum Impfen kommen soll und ich bin da“, sei von der jüngeren Bevölkerung häufiger zu hören. Die sei einfach froh, dass sie eine Aussicht auf einen Termin hätte, sagt die Ärztin. „Die Stimmung könnte sich aber drehen, wenn die Patienten trotz Wegfall der Priorisierung lange auf einen Termin warten müssen.“Die Aufhebung der Priorisierung wecke Erwartungen, sagt Bachelier, wenn diese enttäuscht würden, sei die Gefahr der Unzufriedenheit sehr groß.
In der Praxis von Rainer Hoffmann in Saarbrücken sei es dagegen am Telefon bereits zu verbalen Attacken gegen die Arzthelferinnen gekommen: „Unverschämtheit, dass ich so lange warten muss. Das muss ich mir nicht bieten lassen. Solche Sätze hören wir hin und wieder“, sagt Hoffmann.
Diese seien aber eher die Ausnahme. Nichtsdestotrotz sei der Ansturm an Impfwilligen ungebrochen, die drei Telefonleitungen der Praxis seien durchgehend belegt. Hoffmann sieht die Gefahr, dass die Aufhebung der Priorisierung zu falschen Erwartungen führen könne.
Diese Gefahr sieht auch der Vorsitzende der Ärztekammer des Saarlandes, Dr. Josef Mischo: „Ich finde es unglücklich, dass die Politik mit dem Wegfall der Priorisierung suggeriert, dass genügend Impfstoff da sei. Dem ist nicht so.“Dass die Priorisierung aufgehoben ist, bedeute nicht, dass man jetzt schneller an einen Termin komme. Das könne zu Unmut in der Bevölkerung führen. Ausschreitungen oder Pöbeleien in den Arztpraxen seien Mischo allerdings nicht bekannt.