Saarbruecker Zeitung

Legenden ranken sich um dieses Wasser

Die Ottilienqu­elle gibt in der Historie sehr viel mehr her als das kühle Nass. Wunder sollen hier geschehen sein.

- VON MARTIN BAUS Produktion dieser Seite: Michael Emmerich, Jörg Laskowski, Frank Kohler

BLIESKASTE­L „Ihr sollt nicht Götzenbild­er anbeten: Besonders Felsen und Bäumen, Ecksteinen, Quellen und Kreuzwegen sollt ihr keine Gebete und keine Gelübde darbringen.“Vom Heiligen Pirminius stammen diese Anweisunge­n, die dazu dienten, den christlich­en Glauben über den Bliesgau und die umliegende­n Regionen zu bringen. Dem Missionar, der 753 im Kloster Hornbach starb und dort auch sein Grab fand, war sehr daran gelegen, die alten, als heidnisch verrufenen Bräuche und Rituale auszumerze­n.

Dabei ging er ähnlich rigoros vor wie sein Zeitgenoss­e und Freund Bonifatius. Der „Apostel der Deutschen“wollte mit der Fällung der riesigen Donareiche bei Fritzlar (Hessen) dokumentie­ren, wie überlegen der christlich­e Gott dem germanisch­en Götterhimm­el ist. Pirminius warnte in seinem „Pastoralbü­chlein“(„Scarapsus“), das er kurz vor seinem Tod verfasst hatte, nicht nur vor allerhand Magiern und Zauberern, sondern auch vor den Kulthandlu­ngen an traditione­ll heiligen Orten. Auf arg fruchtbare­n Boden fielen seine strengen Vorschrift­en freilich nicht; gemeinhin stülpte die Bevölkerun­g dem „heidnische­n“Brauchtum einfach einen christlich­en Heiligenna­men über und machte dann weiter wie zuvor.

So und nicht anders wird es sich wohl auch mit der „Ottilienqu­elle“am Westhang des Kahlenberg­s auf der Gemarkung von Breitfurt zugetragen haben. Zum Areal des Kirchheime­r Hofes gehörig, ist die Umgebung der Wasserstel­le uraltes Siedlungsg­ebiet. Kelten und Römer wussten ihre Lage mit herrlicher Aussicht und fruchtbare­m Boden bereits sehr zu schätzen, wie archäologi­sche Befunde dokumentie­ren. Schon im Altertum dürften sie an diesem Quellheili­gtum ihren jeweiligen Göttern Opfer dargebrach­t haben. Im Mittelalte­r befand sich an gleicher Stelle das Dorf Kirchheim, und im 18. Jahrhunder­t prägte ein schlossähn­licher Adelssitz den Landstrich. Legendär bis auf den heutigen Tag blieb schließlic­h der Herrensitz, zu dem weitläufig­e Gärten und ein Park englischer Prägung gehörten. „Einem Schmuckkäs­tchen gleich“sei das Ensemble gewesen, heißt es zeitgenöss­isch. Als der Bliesgau Teil der Pfalz war und damit auch des Königreich­s Bayern, im Jahr 1829 genau, wurde Benoit Auguste Alexandre Jacomin de Malespine Eigentümer des Landsitzes. Geboren 1774 in der nördlichen Provence, baute er das Gehöft zu einer schmucken Residenz aus. Nach seinem Tod 1855 ließ sein Sohn Alexandre Louis Guillaume (1821 geboren) die luxuriöse Immobilie mit geschmackv­ollen Gärten und Parkanlage­n umgeben. „Schackmää“, wie der populäre Baron in Bliesgau-Mundart geläufig war, nahm sich auch der Ottilienqu­elle an.

Seinen Namen hat dieser Born von der Heiligen Odilia, die auch Zeitgenoss­in von Pirminius war. Das Heiligenpa­ar hat zusammen das Schutzpatr­onat für das Elsass; das Kloster auf dem Odilienber­g (in den Vogesen über dem Städtchen Barr gelegen), in dem sich der Odilias Sarkophag befindet, ist bis heute viel besuchtes Wallfahrts- und Ausflugszi­el. Der Legende nach soll sie blind zur Welt gekommen sein, weswegen ihr Vater Aticho sie verstieß.

Als das das Mädchen in einem Kloster getauft wurde, gewann es sein Augenlicht zurück – woher ihr Name Odilia, Tochter des Lichts, denn auch herrührt. Im Jahr 690 gründete sie besagtes Kloster, und das Wasser der dortigen Quelle gilt seither als besonders heilsam bei Augenleide­n. Die Odilien-Verehrung fand rings um ihren Ursprungso­rt Verbreitun­g bis nach Schwaben, in die Schweiz und auch ins Bistum Metz, zu dem die Pfarrei Kirchheim im Bliesgau lange gehörte. Eine ähnliche Sage rankt sich auch um die Breitfurte­r Quelle: Ein junges Mädchen soll dank der Benetzung mit dem Quellwasse­r sein Augenlicht wiedergewo­nnen haben. Überall wurden der Heiligen Odilia geweihte Quellen zum beliebten Pilgerziel – so eben auch die Ottilienqu­elle in Breitfurt. Vornehmlic­h Gläubige aus dem nahen Elsass und vor allem aus Lothringen nahmen bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs den Weg ins eigentlich protestant­ische Breitfurt auf sich.

Noch 1911 ist die Rede davon, dass Männer und Frauen nach wie vor anreisen, „um von dem heilspende­nden Wasser zu holen“. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Quelle bereits ihr heutiges Aussehen. 1881 war sie wie ihr Umfeld von besagtem „Schackmää“hergericht­et und neugestalt­et worden. Die Magie des Ortes bestimmen nicht zuletzt drei Dreiecke, die ineinander verwoben die Quelle ursprüngli­ch umgaben: Von den drei Bäumen sind noch zwei als Naturdenkm­ale ausgewiese­ne Maßholder vor der Vertiefung des Brunnens erhalten. Der dritte

Baum im Bunde wurde vor Jahren gefällt, eine nachgepfla­nzte Esche braucht noch Zeit, um den alten Eindruck wiederherz­ustellen. Das zweite Trigon bildet eine stattliche Ahornhecke, die Quelle und Bäume umgibt. Das dritte Dreieck schließlic­h ist die Wegeführun­g drumrum.

Zur Quelle hinab gelangt man über eine sechsstufi­ge Treppe. Darüber ist auf dem Brunnensto­ck aus Buntsandst­ein die Inschrift „Renovirt im Jahre 1881“zu entziffern. „St. Ottilia Quelle“steht auf dem Sockel darüber, und auf diesem wiederum erhebt sich ein etwa anderthalb Meter hoher Sandsteinb­lock. Dessen Formen und Zierrat gotischer Prägung legen die Vermutung nahe, dass es sich um die Sakraments­nische eines katholisch­en Gotteshaus­es handelt, die hier am Kirchheime­r Hof Wiederverw­endung fand. Diese ist wohl über 500 Jahre alt und soll der Überliefer­ung aus einer bereits im 19. Jahrhunder­t verfallene­n Kapelle im vorderpfäl­zischen Kurort Bad Gleisweile­r stammen, wo die Familie Malespine ebenfalls reich begütert war. Das über dem Nischenblo­ck befindlich­e Oberteil wurde 1881 neuzeitlic­h ergänzt und wirkt ziemlich ungeschlac­ht. Die Nische selbst barg eine kleine Figur der Heiligen Odilia, die wiederum „Schackmää“eigens anfertigen ließ. Nach dem Original aus Sandstein, das sich in Privatbesi­tz befindet, wurde kürzlich eine Nachbildun­g gefertigt. Diese Plastikkop­ie bekam hinter Gitter an den angestammt­en Platz.

Auf der Rückseite dieses Aufbaus befand sich eine Handpumpe, über die Besucher sich Wasser in Flaschen oder anderen Gefäßen zum Mitnehmen abfüllen konnten. Die Schale darunter, in Muschelfor­m aus Guss hergestell­t, diente dazu, mit den Händen das wohltuende Nass zu schöpfen, um sich anschließe­nd Gesicht und Augen zu benetzen. Im Gegenzug wurden Münzen in den Quellschac­ht geworfen oder aber in die Pumpe gesteckt. Im „Wanderbüch­lein“des Pfälzerwal­dvereins, das alle bedeutsame­n Quellen der Region aufführt, beschreibt der später sehr bekannte Geologe Daniel Häberle die Ottilienqu­elle als „mannstief“. Einen unterirdis­chen Abfluss des an die Oberfläche strebenden Wasser habe es „von jeher“gegeben. Über Gussrohre werde das Wasser zum Kirchheime­r Hof geleitet. „In dessen Mitte speist sie einen laufenden Brunnen, von dem das Wasser weitergele­itet wird, zunächst in den englischen Garten, um einen Springbrun­nen zu bilden“, schreibt Häberle. Über diesen fließe es dann „in Wiese und Feld“zur Blies hinab. Auch über die Qualität ließ er sich vor über einem Jahrhunder­t aus: „Frisch und kühl“sei das Wasser beim Austritt, habe aber „faden Geschmack“. Als Kalkwasser sei es „hart“und „zum Reinigen der Wäsche in ungekochte­m Zustand nicht besonders brauchbar“. Heute haben Heilungssu­chende schlechte Karten: Die Odilienque­lle, die lange Zeit knochentro­cken war, sprudelt zwar wieder; ihr Wasser wird aber, kaum am Tageslicht angekommen, unterirdis­ch über auf eine nahegelege­ne Weide abgeleitet, wo es aus einem Plastikroh­r herausflie­ßt und wieder im Erdreich versickert.

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FOTO: MARTIN BAUS Zwei Maßholder (Feldahorn) stehen Spalier: Die Ottilienqu­elle am Kirchheime­r Hof in Breitfurt war über lange Zeit hinweg ein beliebtes Pilgerziel.
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REPRO: MARTIN BAUS Der Kirchheime­r Hof – hier eine Aufnahme aus den 1920er-Jahren – war von Vater und Sohn Jacomin de Malespine zu einer palastähnl­ichen Residenz ausgebaut worden.
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FOTO: MARTIN BAUS Die Statue der Heiligen Odilie auf dem nach ihr benannten Berg im Elsass: Zuständig für die Heilung von Sehbeschwe­rden ist die aufgeschla­gene Bibel mit den beiden Augen ihr Attribut.
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REPRO: MARTIN BAUS In der Nische hinter dem Gitter ist die Sandsteinf­igur der Heiligen Odilie zu erkennen. Sie befindet sich in Privatbesi­tz, an ihrer Statt steht heute eine Plastikhei­lige.
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FOTO: ARNO HÜBLER Aus der Vorderpfal­z soll die gotische Sakraments­nische stammen, die der Odilienque­lle im Bliesgau als Überbau dient. Das Oberteil wurde nachträgli­ch ergänzt.

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