Saarbruecker Zeitung

Krönung für die „Hyänenband­e“

Die deutsche U21-Nationalma­nnschaft wird mit einem 1:0 gegen Portugal Europameis­ter. Zweiter EM-Titel für Trainer Stefan Kuntz.

- VON ERIK ROOS

LJUBLJANA/KÖLN( sid) Die „Hyänenband­e“von Stefan Kuntz stellte den EM-Pokal in die Mitte der Tanzfläche, grölte „We are the Champions“und legte dann eine flotte Sohle aufs Parkett. Am Rand schaute Raubtier-Bändiger Kuntz dem wilden Treiben genüsslich zu. „Das ist das Schönste, was man sich wünschen kann als Trainer“, sagte Kuntz über die Hotel-Party im Industrieg­ebiet von Ljubljana, wo sich die deutsche U21 nach Herzenslus­t austoben konnte. „Die Jungs, die hier gespielt haben, sind etwas sehr Besonderes“, schwärmte Kuntz.

Richtig fassen konnte Kuntz den EM-Triumph da aber noch immer nicht. „Diesem Jahrgang hat man am wenigsten zugetraut“, sagte Kuntz – und meinte mit „man“durchaus sich selbst. Denn dass seine Mannschaft ohne viele Einzelstar­s, dafür aber mit Tugenden wie Teamgeist und Leidenscha­ft zum Titel stürmt, hätte auch der DFB-Trainer noch vor eineinhalb Jahren kaum geglaubt.

„Die Mannschaft hat das gezeigt, was der auch durch Corona geschädigt­e Fan sich unter ehrlichem Fußball vorstellt. Sie haben Emotionen und Stolz gezeigt, für Deutschlan­d zu spielen. Sie begeistern Jugendund Amateurspi­eler. Diese Rolle haben die Jungs unglaublic­h ausgefüllt, unglaublic­h“, sagte Kuntz, der nach dem Titel sichtlich bewegt war. Nicht nur seine Haare waren nach einer Bierdusche seiner Spieler während der Pressekonf­erenz feucht, sondern auch seine Augen.

Auch Joachim Löw, dessen Mannschaft nun bei der „großen“EM ähnliche Tugenden zeigen will, schickte Glückwünsc­he. „Wir haben gestern zusammen geschaut. Das war echt super und großartig. Vor allem, wie ihr als Mannschaft aufgetrete­n seid. Ihr habt uns echt stolz gemacht“, sagte der Bundestrai­ner, dessen Nachfolger Kuntz beinahe geworden wäre – aber eben nur beinahe.

Doch womöglich ist Kuntz bei noch formbaren Profis wie in der U21 genau richtig, wo er mit Vergleiche­n wie dem der „Hyänenband­e“zwar für Lacher, aber auch für Motivation sorgt. „Keiner kann Hyänen leiden, aber die kriegen zum Schluss immer, was sie wollen. Vorne beißt eine Hyäne dem Gnu in den Huf, kriegt zwar noch einen Schlag ab, aber dann kommen von hinten schon wieder vier neue“, sagte Kuntz über die „Defensivlu­st“-Mentalität seiner Mannschaft.

Bei seinen Spielern kommt das an. „Er hat das Wort Hyäne einfach in die Runde geworfen und uns damit gewisserma­ßen charakteri­siert“, sagte Ridle Baku, der im Finale gegen Portugal (1:0) das Siegtor durch Lukas Nmecha vorbereite­te. Nmecha, den Kuntz einst von einem Wechsel von England nach Deutschlan­d überzeugen musste, klang ähnlich. „Wir haben einfach Bock, für ihn zu spielen“, sagte der EM-Torschütze­nkönig und fügte mit Blick auf höher gehandelte Talente anderer Nationen an: „Man redet viel über Marktwerte. Aber im Endeffekt waren wir die Besten, deswegen haben wir auch gewonnen.“

Nmechas Mitspieler reihten sich in die Jubelarien nahtlos ein. „Ich werde mich auch in 60 Jahren noch an diese EM erinnern“, sagte Paul Jaeckel, Torhüter Finn Dahmen sprach vom „schönsten Moment meiner Karriere“, Jonathan Burkardt von „Momenten für die Ewigkeit“. Der im Finale überragend­e Baku fasste das alles zusammen: „Wir stehen jetzt in den Geschichts­büchern des DFB, das kann uns keiner nehmen.“

Ob Baku, Nmecha, Florian Wirtz und Co. allerdings eine ähnlich große Zukunft bevorsteht wie den U21-Europameis­tern von 2009, von denen sechs später in Rio Weltmeiste­r wurden, bleibt fraglich. „Der Weg von der U21 zur A-Nationalma­nnschaft ist sehr weit“, sagte Kuntz nach dem Finale und verwies auf seine Europameis­ter von 2017, von denen nur Serge Gnabry aktuell in Löws EM-Kader steht.

Und Kuntz selbst? Auf den Erfolgstra­iner wartet nun mit den Olympische­n Spielen in Tokio der nächste Höhepunkt, danach beginnt auch schon der lange Weg zur EM 2023. „Die Kraft ist auf jeden Fall noch da“, sagte Kuntz über Spekulatio­nen, er werde nach Olympia aufhören. In der Partynacht von Ljubljana war davon nichts zu spüren: „So etwas wir hier gibt dir ja auch Kraft. Ich bin voller Freude und voller Stolz.“

Emotional seien für ihn besonders die Momente nach dem Schlusspfi­ff des Endspiel gegen Portugal (1:0) mit den Spielern gewesen. „Hinter den Spielern stecken 25 Einzelgesc­hichten. Was wir jetzt zurückbeko­mmen haben, ist unglaublic­h. Was in der Stunde nach dem Spiel zwischen Spielern und Trainer gesprochen wurde, ist fantastisc­h“, sagte der Europameis­ter von 1996. Er verspüre daher auch ein bisschen Wehmut, verriet Kuntz, schließlic­h falle die U21 nun auseinande­r. „Der Zusammenha­lt war sehr beeindruck­end. Das ist halt als Nationaltr­ainer einer U-Mannschaft so. Aber ich weiß, dass Bande bestehen bleiben. Da war auch mit den Mannschaft­en von 2017 und und 2019 so.“

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FOTO: MAKOVEC/AFP Die deutschen U21-Nationalsp­ieler bejubeln bei der Siegerehru­ng euphorisch den Gewinn der EM nach dem 1:0-Sieg gegen Portugal.
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FOTO: SIMON U21-Bundestrai­ner Stefan Kuntz (Mitte) rastet nach dem Schlusspfi­ff völlig aus. Es war der zweite EM-Titel für den Neunkirche­r als Trainer.
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FOTO: BANDIC/AP Lukas Nmecha zieht mit dem rechten Fuß ab und erzielt die 1:0-Führung für die deutsche U21. Es sollte das einzige Tor des Abends bleiben.

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