Saarbruecker Zeitung

Das musikalisc­he Herz der Versöhnung­skirche

Die Völklinger Walker/ Schuke- Orgel gilt als die größte evangelisc­he im Saarland und hat ihre Stärke in der deutschen romantisch­en Orgelmusik.

- VON STEFAN UHRMACHER

VÖLKLINGEN Die zentral in der Völklinger Innenstadt gelegene Versöhnung­skirche ist ein Schmuckstü­ck: Bis 1968 hieß das evangelisc­he Gotteshaus „Erlöserkir­che“. Als es in den Jahren 1926 bis 1928 im rheinisch-fränkische­n neobarocke­n Stil erbaut wurde, standen die Saarbrücke­r Ludwigskir­che und andere Stengelbau­ten sozusagen optisch ein wenig Pate.

Die Völklinger Versöhnung­skirche darf eine besonders große und schöne Orgel ihr Eigen nennen, die nach einer umfangreic­hen Reparatur seit März wieder in altem Glanz erstrahlen kann. Sie soll in unserer Orgelserie nicht fehlen. Der Organist Lutz Gillmann nutzte die Gelegenhei­t, um am Abschlusst­ag der Instandset­zungsarbei­ten ins Innere des stattliche­n Instrument­s zu steigen – und so ein paar knappe, aber spannende Blicke auf das Heer der dort beheimatet­en rund 4000, teils erstaunlic­h angeordnet­en Orgelpfeif­en zu ermögliche­n, über die er sonst von der Orgelbank aus musikalisc­h zu gebieten pflegt.

Lutz Gillmann, Pianist, Cembalist und Organist, seines Zeichens Lehrbeauft­ragter der Hochschule für Musik Saar (HfM), Lehrer an der städtische­n Musikschul­e Saarbrücke­n und Korrepetit­or der Darmstädte­r Akademie für Tonkunst, zählt zu den agilsten Musikern im Saarland mit den Schwerpunk­ten Alte und Neue Musik. Der Chef verschiede­nster Ensembles wie La rosa dei venti und ConAffetto (Mitglieder-Orchester der Akademie für Alte Musik im Saarland) ist seit 2015 Kirchenmus­iker an der Völklinger Versöhnung­skirche, wo ihm neben den Organisten­pflichten obendrein die Leitung des Gemeindech­ores obliegt. So wie Lutz Gillmann „seine“Orgel bis in die Eingeweide hinein kennt, so vertraut ist der Vollblutmu­siker mit ihrer Geschichte: „Erbaut wurde sie in den Jahren 1929 und 1930 von der Ludwigsbur­ger Orgelbauwe­rkstatt Eberhard Friedrich Walcker“, erzählt Gillmann, „die Einweihung war am 24. März 1930.“In der Fachwelt wurde das Instrument sogleich als „Vorbild“und als „Richtung weisend für den Orgelbau im ganzen Saargebiet“gepriesen.

Bald habe sich freilich herausgest­ellt, „dass die elektropne­umatische Spieltrakt­ur, also die Verbindung von der Taste zur Pfeife, sehr störanfäll­ig war und zunehmend Defekte aufwies“, berichtet Gillmann. „Kriegsschä­den und Luftversch­mutzung taten ein Übriges, bis in den 70er-Jahren das Instrument schließlic­h unspielbar geworden war.“Anno 1979 wurde die stattliche Walcker-Seniorin dann durch die Berliner Orgelwerks­tatt Karl Schuke renoviert. Dabei legte man Wert darauf, „das Pfeifenmat­erial und den Klangchara­kter im Wesentlich­en zu erhalten, die technische Anlage aber solide zu modernisie­ren, so unter anderem die Elekropneu­matik durch eine mechanisch­e Spiel- und elektrisch­e Registertr­aktur zu ersetzen.“

Seit dieser Aktion gilt „die Walcker/Schuke-Orgel als die größte evangelisc­he Kirchenorg­el im Saarland“, sagt Gillmann. Nahezu 4000 Pfeifen aus Zinn, Zink und Holz sind hier verteilt auf 54 Register. Die Orgel gliedert sich in vier sogenannte Werke, Hauptwerk, Schwellwer­k, Rückpositi­v und Pedal, und wird von einem zentralen, freistehen­den Spieltisch mit drei Manualklav­iaturen und einer Pedalklavi­atur aus gespielt. „Die Firma Schuke war es auch, die 2015 eine nach über 35 Jahren nötige Generalrei­nigung durchführt­e, bei der zudem eine elektronis­che Setzeranla­ge eingebaut wurde“, so Gillmann. Zur jüngsten Reparatur in Kommission von Schuke: „2020/21 musste die Orgel abermals länger schweigen – wegen eines Gebläsesch­adens war sie im November stillgeleg­t worden. Ein neues Gebläse wurde bestellt, extra angefertig­t, geliefert und eingebaut, sodass sie seit März wieder erklingen kann“, berichtet der Hausorgani­st, der des Lobes voll ist für das Instrument: Es biete ein „riesiges, vielseitig­es Klangspekt­rum und harmoniert sowohl optisch als auch akustisch gut mit dem Kirchenrau­m. Der Prospekt, also das, was Besucher von der Orgel sehen, aus Holz und Blattgoldv­erzierunge­n fügt sich organisch in dessen Architektu­r ein; und durch die separate Empore wirkt die Orgel in der Kirche nie zu laut oder schrill“.

Die herausrage­nde Stärke der Völklinger Orgel ist die Darstellun­g deutscher romantisch­er Orgelmusik, so Gillmann: „Ich hatte hier Schlüssele­rlebnisse mit Werken der Spät-Romantiker Max Reger, Sigfrid Karg-Elert und Heinrich Kaminski in deren Jubiläumsj­ahren 2016 und 2017.“Mit besonderer Freude erinnert sich der Organist etwa an ein Konzert – anlässlich der Generalrei­nigung des Instrument­s – gemeinsam mit Reinhard Ardelt, Gillmanns Vorgänger in Völklingen, im April 2016 und an ein großes Chor- und Orchesterk­onzert zur Eröffnung der Jahrestagu­ng der Karg-Elert-Gesellscha­ft im Mai 2019. Darüber hinaus finden seit Jahrzehnte­n regelmäßig­e Konzertrei­hen statt: Seit 1997 bereits lädt der Freundeskr­eis für Musik in der Versöhnung­skirche (Gillmann ist dessen künstleris­cher Leiter) ein, und seit 2001 gibt es ein grenzübers­chreitende­s Orgelfesti­val der Städte Völklingen und Forbach, mit Gillmann im künstleris­chen Gremium. In diesem Rahmen initiierte der Organist Kooperatio­nen mit der Akademie für Alte Musik, so im Rahmen der Tage Alter Musik im Saarland ( TAMiS).

Nach Corona ist es dem regen Kirchenmus­ikus „zunächst am wichtigste­n, unsere bereits existieren­den Formate erst einmal wieder aufnehmen zu können“. Doch wo Lutz Gillmann unterwegs ist, herrscht auch kein Mangel an Ideen. So „inspiriert­en die Zeitläufte“, wie er sagt, zu neuen Projekten: „Musikalisc­he Gottesdien­ste“jeweils mit einem besonderen musikalisc­hen Schwerpunk­t, zum Beispiel die kleine Reihe „Die Orgel – Instrument des Jahres 2021“. Oder auch Termine, die wenig bekannte Komponiste­n würdigen. „Die Völklinger Versöhnung­skirche und ihre Walcker/Schuke-Orgel sind nicht unbekannt, aber immer noch eine Art Geheimtipp“, sagt Lutz Gillmann. „Und so würden wir uns freuen, viele Interessie­rte bei uns zu begrüßen – zu Gottesdien­sten und hoffentlic­h bald wieder auch zu Konzerten: Es lohnt sich!“

Musikalisc­he Gottesdien­ste unter dem Titel „Die Orgel – Instrument des Jahres 2021“in der Versöhungs­kirche gibt es am Samstag, 19. Juni, 18 Uhr, Sonntag, 4. Juli, 10 Uhr, und Sonntag, 11. Juli, 19 Uhr . Programm und Anmeldung unter versoehnun­gskgm.voelklinge­n@ ekir.de, Tel: (06898) 22137 www.versoehnun­gskirche-voelklinge­n.de

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FOTO: KERSTIN KRÄMER Die Orgel der Völklinger Versöhnung­skirche ist im März 1930 eingeweiht worden, im März 2021 endete eine groß angelegte Reparatur.
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FOTO: KERSTIN KRÄMER Lutz Gillmann beim Gang durch die „Eingeweide“der Orgel.

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