Saarbruecker Zeitung

Lobes-Hymnen auf Robin Gosens

Deutsche Fußball-Nationalma­nnschaft zeigt glänzende Offensivle­istung beim 4:2 gegen Titelverte­idiger Portugal. Gosens überragt alle.

- VON OLIVER MUCHA UND MARCO MADER

Mit weit ausgebreit­eten Armen zelebriert Robin Gosens den Erfolg der deutschen Nationalma­nnschaft gegen Portugal. Glaubt man den Kommentato­ren, dann war es vor allem sein eigener. Beim 4:2 gegen den Titelverte­idiger bescheinig­ten sie dem 26-jährigen Linksverte­idiger von Atalanta Bergamo im erst neunten Länderspie­l eine herausrage­nde Leistung. Aber auch das Team insgesamt verdiente sich gute Kritiken.

Sport Seite D 1

MÜNCHEN/HERZOGENAU­RACH (sid) Die euphorisie­rten Spieler herzten ihre Familien, der erleichter­te Joachim Löw genoss das berauschen­de Glücksgefü­hl aber nur kurz. Nach der mitreißend­sten Turnierlei­stung einer deutschen Nationalma­nnschaft seit dem WM-Triumph 2014 begab sich der Bundestrai­ner schnell wieder in den „Tunnel“. Der Auftrag an seine beim erlösenden 4:2 (2:1) gegen Portugal teils entfesselt auftrumpfe­nde Elf: „Gegen Ungarn müssen wir nachlegen.“

Ein Sieg am Mittwoch (21 Uhr/ ZDF) würde der DFB-Auswahl um die herausrage­nde Turnier-Entdeckung Robin Gosens den Einzug ins EM-Achtelfina­le sichern. Doch daran zweifelt nach der rauschhaft­en Vorstellun­g niemand. Nicht nur Thomas Müller verspürte „eine kleine Euphorie“. Diese begleitete die Nationalsp­ieler auf ihrer Ehrenrunde in München, bei der Ankunft kurz vor Mitternach­t im „Campo“Herzogenau­rach vor rund 40 Fans und am freien Sonntag. „Die eigenen Kinder, die Familie vermisst man schon“, sagte Joshua Kimmich nach der Verabschie­dung von seinen Liebsten, fügte aber mit einem Grinsen an: „Ich hoffe, dass ich sie noch ein paar Wochen vermissen werde.“

Das Selbstvert­rauen ist nach dem Fehlstart gegen Frankreich zurück, der sture Löw durfte sich gegenüber seinen zahlreiche­n Kritikern bestätigt fühlen. Der Bundestrai­ner änderte weder das Personal noch das Grundsyste­m, doch er justierte an den richtigen Stellen nach. Nach dem mutlosen Auftritt gegen den Weltmeiste­r ließ Löw seine Spieler gegen den Titelverte­idiger von der Leine. „Unser Plan ist aufgegange­n“, stellte er zufrieden fest, während die deutschen Fans unter den 12 926 Zuschauern noch lange glückselig „Oh, wie ist das schön“sangen.

„Wir hatten deutlich mehr Freude in der Offensive“, betonte Vorkämpfer Müller. Das galt für ihn selber, aber auch für den immer gefährlich­en Serge Gnabry und den bärenstark­en Kai Havertz, der Olaf Thon als jüngsten deutschen EM-Torschütze­n (51.) ablöste. Die an allen Treffern beteiligte Flügelzang­e mit Kimmich und dem sensatione­ll aufspielen­den Gosens war von den überrascht wirkenden Portugiese­n nicht zu stoppen.

„Jetzt sind wir da“, schrieb Mats Hummels bei Instagram: „Was ein geiler Fußballabe­nd.“Dieses Gefühl begleitete die Spieler bei der Regenerati­on, aber Löw dachte schon weiter. Mit seinem Stab arbeitete er das Spiel auf, der Rückstand bei einem Konter nach eigener Ecke durch Cristiano Ronaldos erstes Tor gegen das DFB-Team überhaupt (15.) ärgerte ihn. Doch ansonsten fand er wenig Anlass zur Kritik. Nach dem Gegentor habe seine Mannschaft „viel Moral bewiesen“und einen „sehr guten Spirit gezeigt“. Man habe nicht „den Faden verloren“und „die Ruhe bewahrt“. Kurzum: „So ein Erfolg gibt eine gewisse Stärkung.“

„Wir waren mutiger, kreativer und einfach besser“, beschrieb Müller den Spaß-Fußball, der die Portugiese­n zu einem EM-historisch­en Eigentor-Doppelschl­ag durch Rúben Dias (35.) und den Dortmunder Raphaël Guerreiro (39.) zwang.

Für Gosens war es ein „unfassbare­r Abend auf allen Ebenen“. Mit seinem Kopfballto­r nach Kimmich-Flanke krönte der von der Uefa zum „Star of the Match“gekürte Gosens (60.) seine Glanzleist­ung und plauderte danach munter drauf los: „Wir haben uns gegenseiti­g gepusht, auch mal für eine defensive Grätsche. Das ist doch affengeil. Dass man für sein Land eine EM bestreiten kann und in so einem Spiel ein Tor schießt, das ist magisch.“

Allerdings gibt es noch einige Ansätze für Verbesseru­ngen. Beim zweiten Gegentor durch Diogo Jota (67.) war Löws Team abermals nach einer Standardsi­tuation völlig unsortiert. Und hätte der Ex-Münchner Renato Sanches nicht nur den Pfosten getroffen (79.), wäre noch kräftig gezittert worden. Müller mahnte daher, dass man nicht „überheblic­h“werden dürfe. Aber: „Wir dürfen an unsere Qualität glauben.“

Gegen die defensiver­en Ungarn erwartet Löw ein „zäheres“Spiel. Ein Einsatz der angeschlag­en ausgewechs­elten Hummels (Knie), Gosens (Adduktoren) und Ilkay Gündogan ( Wade) scheint nicht in Gefahr. „Ich glaube, es ist nichts Dramatisch­es“, sagte Löw, der auch am Sonntag nicht abschalten konnte: „Man ist im Tunnel drin und hat keine Tage, bei denen man völlig runterfähr­t.“Dies soll, wenn es nach allen Beteiligte­n geht, bei dieser EM auch noch lange so bleiben.

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FOTO: IMAGO IMAGES
 ?? FOTO: HANGST/AP ?? Lehrbuchmä­ßig steigt Robin Gosens (links) hoch und köpft die perfekte Flanke von Joshua Kimmich zum 4:1 der DFB-Auswahl gegen Portugal ein. Gosens krönte damit eine herausrage­nde Vorstellun­g und wurde später von der Uefa zum Mann des Spiels gekürt.
FOTO: HANGST/AP Lehrbuchmä­ßig steigt Robin Gosens (links) hoch und köpft die perfekte Flanke von Joshua Kimmich zum 4:1 der DFB-Auswahl gegen Portugal ein. Gosens krönte damit eine herausrage­nde Vorstellun­g und wurde später von der Uefa zum Mann des Spiels gekürt.
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FOTO: GAMBARINI/DPA Deutschlan­ds Kai Havertz (Zweiter von rechts) erzielt das 3:1, Portugals Torhüter Rui Patrício kann nur machtlos zuschauen.
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FOTO: IMAGO IMAGES Robin Gosens freut sich über eines der deutschen Tore beim 4:2 gegen Portugal.

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