Ulrich führt nach Eklat Saar-Grüne in die Wahl
Paukenschlag: Der ExParteichef will in den Bundestag zurück. Die Delegierten demütigen ihre Landesvorsitzende.
SAARBRÜCKEN Der langjährige Vorsitzende der Saar-Grünen, Hubert Ulrich, steht vier Jahre nach seinem Rückzug wieder in der ersten Reihe der Landespartei. Bei einem zeitweise tumultartigen Parteitag in der Saarlandhalle wählten die Delegierten den 63-Jährigen zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl. Ulrich erhielt 95, die Gegenkandidatin Jeanne Dillschneider 46 Stimmen.
Zuvor hatten die Delegierten die Landesvorsitzende Tina Schöpfer in drei Wahlgängen als Spitzenkandidatin durchfallen lassen. Die 45-Jährige erhielt nur rund ein Viertel der Stimmen – ohne Gegenkandidaten. Schöpfers Unterstützer-Lager machte für diesen Eklat Ulrich und dessen Lager verantwortlich. Schöpfer äußerte sich geschockt und enttäuscht.
Ulrichs Bewerbung wurde mehrfach von Buh-Rufen begleitet. Zu seiner Motivation sagte er, er wolle dazu beitragen, dass in Berlin in einer Bundesregierung grüne Politik wirklich durchgesetzt werde. Ulrich bekannte sich zu dem Generationenwechsel im Landesverband.
Neuanfang heiße auch „eine gute Mischung zwischen Jung und Alt“.
Das Lager der Ulrich-Gegner warf der Parteitagsmehrheit einen klaren Verstoß gegen die Frauenquote vor. Konkret ging es darum, ob direkt nach Schöpfers Niederlagen der für Frauen vorgesehene Spitzenplatz für Männer geöffnet werden durfte oder ob zunächst weitere Frauen die Möglichkeit hätten erhalten müssen, ohne männliche Bewerber anzutreten. Die Mehrheit des Parteitages ließ dies zu, obwohl selbst der scheidende Landeschef Markus Tressel davor gewarnt hatte, dass die Saar-Grünen am Ende ohne gültige Liste dastehen. Fassungslos sagte Tressel über den Parteitag der völlig zerstrittenen Saar-Grünen: „So wollte ich nicht von der Bühne gehen. Innerhalb von einer Stunde ist alles eingerissen worden, was wir in Jahren aufgebaut haben.“
SAARBRÜCKEN Der Wunsch von Versammlungsleiter Patrick Ginsbach, „dass wir friedlich bleiben und uns nachher noch in die Augen sehen können“, erfüllte sich nicht. Der Friede war spätestens dahin, als Ginsbach in der Saarlandhalle bekanntgab, dass die Landesvorsitzende Tina Schöpfer als Grünen-Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl durchgefallen ist. Pfiffe, Buh-Rufe und wüste Zwischenrufe hallten durch den Saal: „Schämt euch!“Gemeint war: Hubert Ulrich.
Obwohl sich der Landesvorstand für Schöpfer ausgesprochen hatte, bekam sie auch im zweiten und dritten Wahlgang nur 40 der gut 140 Stimmen, und das ohne Gegenkandidaten. Ulrich streitet ab, dass alles von langer Hand geplant war, um den Weg für ihn frei zu machen. Er wisse nicht, wie die Delegierten aus seinem Ortsverband Saarlouis (ein Drittel aller Delegierten) abstimmen, sagte er vorher. Dass er antritt, hat er angeblich erst vor wenigen Tagen entschieden.
Ihn auf Platz eins zu wählen, war aber nicht so einfach, denn eigentlich ist dieser Platz für eine Frau vorgesehen. Der Antrag, den Spitzenplatz direkt nach Schöpfers Niederlagen für männliche Bewerber (also für Ulrich) zu öffnen, provozierte eine satzungsrechtliche Diskussion. Stephan Körner, Ex-Staatssekretär und Richter am Oberverwaltungsgericht, warnte vor einem Verstoß gegen Recht und Gesetz: Aus seiner Sicht hätten erst noch andere Frauen die Möglichkeit erhalten müssen, ohne männliche Konkurrenz anzutreten.
Tagungspräsident Ginsbach ließ die Versammlung unter Protesten der Minderheit schließlich darüber abstimmen, welche juristische Interpretation denn nun gelten soll. In einer dramatischen Situation, in der der Tagungsleiter sogar mit „Ordnungsmaßnahmen“gegen wütende Delegierte drohte, meldete sich noch einmal Markus Tressel zu Wort, der sich als Landeschef eigentlich schon verabschiedet hatte. Tressel flehte die Delegierten regelrecht an, auf die juristischen Bedenken zu hören, sonst könnten die Saar-Grünen am Ende ohne gültige Liste dastehen. Das wäre ein „Armutszeugnis“, sagte Tressel und schlug die Sprecherin der Grünen Jugend Saar, Jeanne Dillschneider, vor.
Doch die Mehrheit der Delegierten, auch unter den weiblichen, wollte auch Männer zulassen, und so kam es zu einem denkwürdigen Generationen-Duell. Hier die 25-jährige Dillschneider, die für einen „wirklichen Neuanfang“warb, dort der 63-jährige Ulrich, der sich als durchsetzungsfähiger grüner Kämpfer vorstellte. Ulrich räumte ein, dass es auf dem Parteitag „eine ganz harte Auseinandersetzung“gebe. Aber: „Das ist Politik! Das ist Demokratie!“Das sahen nicht alle so, jedenfalls gab es Pfui- und Buh-Rufe.
Am Ende siegte Ulrich deutlich. Schöpfer, die in der Partei (nicht aber unter den Delegierten) „breiten Rückhalt“für sich empfand, ließ man am Ende nicht einmal auf Platz zwei oder drei der Liste. Auf Platz zwei gab die Mehrheit lieber einer Dame den Vorzug, die auf Fragen von Delegierten zur grünen Programmatik ekla
Noch-Landeschef Markus Tressel flehte die Delegierten geradezu an, eine Frau auf Platz eins der Liste zu wählen. Doch auf ihn hört die Mehrheit nicht mehr.
tante Wissenslücken offenbarte.
Die Stimmung im Landesverband hatte sich schon vor dem Parteitag hochgeschaukelt – wegen Ulrich. Die Landesvorstandsmitglieder Adam Schmitt und Christoph Küntzer sowie die Saarpfalz-Vorsitzende Yvette Stoppiera-Wiebelt traten in der vergangenen Woche von ihren Ämtern zurück – sie warfen Ulrich Spaltung und Ausgrenzung vor. Der stellvertretende Vorsitzende Marc Piazolo, der sich aus dem gleichen Grund zurückzog, gab zu Protokoll, es sei „besonders erschreckend“, wie langjährig engagiertes Führungspersonal „kaltgestellt“werde – häufig nur, weil es sich kritisch zur politischen Rückkehr Ulrichs geäußert habe.
An einer Aussprache über die schwere Krise des Landesverbandes hatte die überwältigende Mehrheit der Delegierten aber gar kein Interesse: Ein entsprechender Antrag des Ulrich-kritischen Flügels fiel durch. Begründung: Die Zeit dränge, man müsse eine Liste und einen Vorstand wählen. Mit den Problemen solle sich dann der neue Vorstand beschäftigen. Mit welcher Mehrheit dieser Vorstands ins Amt kommt, dürfte klar sein.
Alle Appelle zur Geschlossenheit nutzten nichts. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, der sich aus der Uckermark per Video zuschalten ließ, warnte vor einem „Rückschritt in alte Zeiten“(sprich: vor einer Wahl Ulrichs). Und auch Markus Tressel redete den Delegierten ins Gewissen: „Mit reinen numerischen Mehrheiten kann ich vielleicht die Zusammensetzung von Vorständen und Listen bestimmen. Wahlen in der Fläche wird man aber nur mit der Partei als Gesamtheit gewinnen.“Dass ein engagiertes Mitglied der Ulrich-kritischen Grünen Jugend nicht ins Parteitagspräsidium gewählt wurde, habe ihn „ein bisschen schockiert“.
Tressel erkennt seinen Landesverband offenbar nicht wieder. Als er am Sonntag nach vielen Jahren als Generalsekretär, Landeschef und Bundestagsabgeordneter mit einer emotionalen Rede seinen Abschied aus der aktiven Politik begründete („vor allem familiäre Gründe“), rührte Ulrich keine Hand zum Beifall.
Tressel kann nun versuchen, auf andere Ideen zu kommen. Zu seinem Abschied überreichte ihm der Partei-Nachwuchs das Buch „Wie halte ich das alles nur aus?“Diese Frage wird er sich beim Parteitag wohl auch gestellt haben.