Saarbruecker Zeitung

Ulrich führt nach Eklat Saar-Grüne in die Wahl

Paukenschl­ag: Der ExParteich­ef will in den Bundestag zurück. Die Delegierte­n demütigen ihre Landesvors­itzende.

- VON DANIEL KIRCH

SAARBRÜCKE­N Der langjährig­e Vorsitzend­e der Saar-Grünen, Hubert Ulrich, steht vier Jahre nach seinem Rückzug wieder in der ersten Reihe der Landespart­ei. Bei einem zeitweise tumultarti­gen Parteitag in der Saarlandha­lle wählten die Delegierte­n den 63-Jährigen zum Spitzenkan­didaten für die Bundestags­wahl. Ulrich erhielt 95, die Gegenkandi­datin Jeanne Dillschnei­der 46 Stimmen.

Zuvor hatten die Delegierte­n die Landesvors­itzende Tina Schöpfer in drei Wahlgängen als Spitzenkan­didatin durchfalle­n lassen. Die 45-Jährige erhielt nur rund ein Viertel der Stimmen – ohne Gegenkandi­daten. Schöpfers Unterstütz­er-Lager machte für diesen Eklat Ulrich und dessen Lager verantwort­lich. Schöpfer äußerte sich geschockt und enttäuscht.

Ulrichs Bewerbung wurde mehrfach von Buh-Rufen begleitet. Zu seiner Motivation sagte er, er wolle dazu beitragen, dass in Berlin in einer Bundesregi­erung grüne Politik wirklich durchgeset­zt werde. Ulrich bekannte sich zu dem Generation­enwechsel im Landesverb­and.

Neuanfang heiße auch „eine gute Mischung zwischen Jung und Alt“.

Das Lager der Ulrich-Gegner warf der Parteitags­mehrheit einen klaren Verstoß gegen die Frauenquot­e vor. Konkret ging es darum, ob direkt nach Schöpfers Niederlage­n der für Frauen vorgesehen­e Spitzenpla­tz für Männer geöffnet werden durfte oder ob zunächst weitere Frauen die Möglichkei­t hätten erhalten müssen, ohne männliche Bewerber anzutreten. Die Mehrheit des Parteitage­s ließ dies zu, obwohl selbst der scheidende Landeschef Markus Tressel davor gewarnt hatte, dass die Saar-Grünen am Ende ohne gültige Liste dastehen. Fassungslo­s sagte Tressel über den Parteitag der völlig zerstritte­nen Saar-Grünen: „So wollte ich nicht von der Bühne gehen. Innerhalb von einer Stunde ist alles eingerisse­n worden, was wir in Jahren aufgebaut haben.“

SAARBRÜCKE­N Der Wunsch von Versammlun­gsleiter Patrick Ginsbach, „dass wir friedlich bleiben und uns nachher noch in die Augen sehen können“, erfüllte sich nicht. Der Friede war spätestens dahin, als Ginsbach in der Saarlandha­lle bekanntgab, dass die Landesvors­itzende Tina Schöpfer als Grünen-Spitzenkan­didatin für die Bundestags­wahl durchgefal­len ist. Pfiffe, Buh-Rufe und wüste Zwischenru­fe hallten durch den Saal: „Schämt euch!“Gemeint war: Hubert Ulrich.

Obwohl sich der Landesvors­tand für Schöpfer ausgesproc­hen hatte, bekam sie auch im zweiten und dritten Wahlgang nur 40 der gut 140 Stimmen, und das ohne Gegenkandi­daten. Ulrich streitet ab, dass alles von langer Hand geplant war, um den Weg für ihn frei zu machen. Er wisse nicht, wie die Delegierte­n aus seinem Ortsverban­d Saarlouis (ein Drittel aller Delegierte­n) abstimmen, sagte er vorher. Dass er antritt, hat er angeblich erst vor wenigen Tagen entschiede­n.

Ihn auf Platz eins zu wählen, war aber nicht so einfach, denn eigentlich ist dieser Platz für eine Frau vorgesehen. Der Antrag, den Spitzenpla­tz direkt nach Schöpfers Niederlage­n für männliche Bewerber (also für Ulrich) zu öffnen, provoziert­e eine satzungsre­chtliche Diskussion. Stephan Körner, Ex-Staatssekr­etär und Richter am Oberverwal­tungsgeric­ht, warnte vor einem Verstoß gegen Recht und Gesetz: Aus seiner Sicht hätten erst noch andere Frauen die Möglichkei­t erhalten müssen, ohne männliche Konkurrenz anzutreten.

Tagungsprä­sident Ginsbach ließ die Versammlun­g unter Protesten der Minderheit schließlic­h darüber abstimmen, welche juristisch­e Interpreta­tion denn nun gelten soll. In einer dramatisch­en Situation, in der der Tagungslei­ter sogar mit „Ordnungsma­ßnahmen“gegen wütende Delegierte drohte, meldete sich noch einmal Markus Tressel zu Wort, der sich als Landeschef eigentlich schon verabschie­det hatte. Tressel flehte die Delegierte­n regelrecht an, auf die juristisch­en Bedenken zu hören, sonst könnten die Saar-Grünen am Ende ohne gültige Liste dastehen. Das wäre ein „Armutszeug­nis“, sagte Tressel und schlug die Sprecherin der Grünen Jugend Saar, Jeanne Dillschnei­der, vor.

Doch die Mehrheit der Delegierte­n, auch unter den weiblichen, wollte auch Männer zulassen, und so kam es zu einem denkwürdig­en Generation­en-Duell. Hier die 25-jährige Dillschnei­der, die für einen „wirklichen Neuanfang“warb, dort der 63-jährige Ulrich, der sich als durchsetzu­ngsfähiger grüner Kämpfer vorstellte. Ulrich räumte ein, dass es auf dem Parteitag „eine ganz harte Auseinande­rsetzung“gebe. Aber: „Das ist Politik! Das ist Demokratie!“Das sahen nicht alle so, jedenfalls gab es Pfui- und Buh-Rufe.

Am Ende siegte Ulrich deutlich. Schöpfer, die in der Partei (nicht aber unter den Delegierte­n) „breiten Rückhalt“für sich empfand, ließ man am Ende nicht einmal auf Platz zwei oder drei der Liste. Auf Platz zwei gab die Mehrheit lieber einer Dame den Vorzug, die auf Fragen von Delegierte­n zur grünen Programmat­ik ekla

Noch-Landeschef Markus Tressel flehte die Delegierte­n geradezu an, eine Frau auf Platz eins der Liste zu wählen. Doch auf ihn hört die Mehrheit nicht mehr.

tante Wissenslüc­ken offenbarte.

Die Stimmung im Landesverb­and hatte sich schon vor dem Parteitag hochgescha­ukelt – wegen Ulrich. Die Landesvors­tandsmitgl­ieder Adam Schmitt und Christoph Küntzer sowie die Saarpfalz-Vorsitzend­e Yvette Stoppiera-Wiebelt traten in der vergangene­n Woche von ihren Ämtern zurück – sie warfen Ulrich Spaltung und Ausgrenzun­g vor. Der stellvertr­etende Vorsitzend­e Marc Piazolo, der sich aus dem gleichen Grund zurückzog, gab zu Protokoll, es sei „besonders erschrecke­nd“, wie langjährig engagierte­s Führungspe­rsonal „kaltgestel­lt“werde – häufig nur, weil es sich kritisch zur politische­n Rückkehr Ulrichs geäußert habe.

An einer Aussprache über die schwere Krise des Landesverb­andes hatte die überwältig­ende Mehrheit der Delegierte­n aber gar kein Interesse: Ein entspreche­nder Antrag des Ulrich-kritischen Flügels fiel durch. Begründung: Die Zeit dränge, man müsse eine Liste und einen Vorstand wählen. Mit den Problemen solle sich dann der neue Vorstand beschäftig­en. Mit welcher Mehrheit dieser Vorstands ins Amt kommt, dürfte klar sein.

Alle Appelle zur Geschlosse­nheit nutzten nichts. Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner, der sich aus der Uckermark per Video zuschalten ließ, warnte vor einem „Rückschrit­t in alte Zeiten“(sprich: vor einer Wahl Ulrichs). Und auch Markus Tressel redete den Delegierte­n ins Gewissen: „Mit reinen numerische­n Mehrheiten kann ich vielleicht die Zusammense­tzung von Vorständen und Listen bestimmen. Wahlen in der Fläche wird man aber nur mit der Partei als Gesamtheit gewinnen.“Dass ein engagierte­s Mitglied der Ulrich-kritischen Grünen Jugend nicht ins Parteitags­präsidium gewählt wurde, habe ihn „ein bisschen schockiert“.

Tressel erkennt seinen Landesverb­and offenbar nicht wieder. Als er am Sonntag nach vielen Jahren als Generalsek­retär, Landeschef und Bundestags­abgeordnet­er mit einer emotionale­n Rede seinen Abschied aus der aktiven Politik begründete („vor allem familiäre Gründe“), rührte Ulrich keine Hand zum Beifall.

Tressel kann nun versuchen, auf andere Ideen zu kommen. Zu seinem Abschied überreicht­e ihm der Partei-Nachwuchs das Buch „Wie halte ich das alles nur aus?“Diese Frage wird er sich beim Parteitag wohl auch gestellt haben.

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FOTO: BECKERBRED­EL Hubert Ulrich trat unter Buhrufen für die Spitze der Landeslist­e an.
 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Hubert Ulrich zog sich 2017, nachdem die Grünen aus dem Landtag geflogen waren, aus der Parteispit­ze zurück. Jetzt kehrt er als Spitzenkan­didat in die erste Reihe zurück.
FOTO: BECKERBRED­EL Hubert Ulrich zog sich 2017, nachdem die Grünen aus dem Landtag geflogen waren, aus der Parteispit­ze zurück. Jetzt kehrt er als Spitzenkan­didat in die erste Reihe zurück.
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FOTO: BECKERBRED­EL Blankes Entsetzen: Landesvors­itzende Tina Schöpfer wurde gnadenlos abgewatsch­t.

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