Forscher laufen Sturm gegen Walversuche
Darf man junge Wale kurzfristig Stress aussetzen, um Lärmfolgen für ihre Artgenossen besser zu verstehen? In Norwegen hält man das für angemessen. Tierschützer und Walforscher laufen Sturm.
Darf man junge Wale kurzfristig Stress aussetzen, um langfristige Lärmquellen für Artgenossen zu bewerten? In Norwegen findet man: Ja. Forscher dagegen sagen: Nein, auf keinen Fall! Tierschützer schlagen Alarm.
OSLO (dpa) Auf den Lofoten im hohen Norden Norwegens sind große Unterwassernetze zwischen felsigen Inseln gespannt, um junge Zwergwale auf ihrem Weg durch das Europäische Nordmeer abzufangen. An den Meeressäugern sollen mehrstündige Hörversuche vorgenommen werden, um zu erforschen, welche Auswirkungen menschlicher Lärm auf die Tiere hat. Tierschützer und auch Wissenschaftler halten die Experimente für fragwürdig. Darf man wilde Tiere unter Stress untersuchen, um Daten für das vermeintliche Wohlergehen ihrer Artgenossen zu sammeln?
Nun sind Hörversuche bei Tieren nicht ungewöhnlich. Kürzlich hatte ein Projekt unter Beteiligung des Deutschen Meeresmuseums in Stral
72 500 Menschen hatten bis Samstagabend eine Online-Petition gegen Wal-Versuche unterzeichnet.
Quelle: Whale and Dolphin Conservation (WDC)
sund ergeben, dass Pinguine sensibel auf Geräusche über und unter Wasser reagieren. Im Zuge der Verhaltenstests wurden unter anderem vier Humboldtpinguine darauf trainiert, in einer schalldichten Box mit dem Schnabel eine Fläche zu berühren, wenn sie einen Ton hörten. Das Ergebnis: Pinguine reagieren unter Wasser auf Schall, eine Hörschwelle ermittelten die Forscher aber nicht.
Ein wesentlicher Unterschied zum jetzigen Experiment ist, dass es sich bei den Walen um wilde Tiere handelt. Im Walfangland Norwegen hat die zuständige Lebensmittelbehörde Mattilsynet das Experiment genehmigt. Ziel ist, Erkenntnisse zu gewinnen, welche Lärmquellen schädlich für Wale sind. Wale sind auf ihren Reisen durch die Ozeane auf Kommunikation per Schall angewiesen. Vom Menschen verursachter Lärm kann dabei stören. Auf den Lofoten sollen im Laufe dieses und der drei folgenden Sommer insgesamt bis zu zwölf Wale gefangen und maximal sechs Stunden lang Tests unterzogen werden. Neben Bluttests sind mit Hilfe von Elektroden auch Untersuchungen ihres Hörvermögens geplant, während die Tiere zwischen zwei Flößen gehalten werden. Falls nötig, sollen sie betäubt werden. Schließlich werden ihre Rückenflossen mit Satellitensendern ausgestattet, bevor sie wieder freigelassen werden.
Die norwegische Behörde glaubt, die Belastung der Tiere sei gerechtfertigt. Lärm sollten die Wale nicht ausgesetzt werden, vielmehr gehe es darum, den leisesten Lärmpegel zu finden, den sie hören könnten. „Wir glauben, dass die Ergebnisse des Experiments sowohl dem Zwergwal als auch anderen Walarten zugutekommen werden, während wir mehr darüber lernen werden, wie Lärmbelästigung im Ozean diese Tiere stören kann.“
Bei der Walschutzorganisation Whale and Dolphin Conservation ( WDC) hat das Vorhaben tiefe Besorgnis ausgelöst. Bereits im Mai wandte sich die Organisation im Namen von mehr als 50 Forschern an die norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg. „Wir fordern, dass dieses Projekt gestoppt wird, da es zu erheblichen Traumata für die Wale führen könnte, ohne zu einer nützlichen Wissenschaft beizutragen“, heißt es in dem Schreiben. Diese Art Experiment sei nie zuvor probiert worden, die Sorge vor Stress und Verletzungen bei den Tieren groß. „Diese Experimente können für die einzelnen Wale zu erheblichem Leid führen und riskieren, Norwegens Ruf zu untergraben.“
Die Sorge der Unterzeichner betrifft nicht nur die Tiere: Sollte der Stress zu Panik bei den jungen Walen führen, könnte nicht nur für sie eine gefährliche Situation entstehen, sondern auch für beteiligte Forscher, wird in dem Brief gewarnt. Die Aussagekraft der Daten stellen die Verfasser ebenfalls infrage. Solberg solle eine Absage der Versuche fordern. Eine entsprechende Online-Petition hatten bis Samstagabend rund 72 500 Menschen unterzeichnet.