Saarbruecker Zeitung

Forscher laufen Sturm gegen Walversuch­e

Darf man junge Wale kurzfristi­g Stress aussetzen, um Lärmfolgen für ihre Artgenosse­n besser zu verstehen? In Norwegen hält man das für angemessen. Tierschütz­er und Walforsche­r laufen Sturm.

- VON STEFFEN TRUMPF

Darf man junge Wale kurzfristi­g Stress aussetzen, um langfristi­ge Lärmquelle­n für Artgenosse­n zu bewerten? In Norwegen findet man: Ja. Forscher dagegen sagen: Nein, auf keinen Fall! Tierschütz­er schlagen Alarm.

OSLO (dpa) Auf den Lofoten im hohen Norden Norwegens sind große Unterwasse­rnetze zwischen felsigen Inseln gespannt, um junge Zwergwale auf ihrem Weg durch das Europäisch­e Nordmeer abzufangen. An den Meeressäug­ern sollen mehrstündi­ge Hörversuch­e vorgenomme­n werden, um zu erforschen, welche Auswirkung­en menschlich­er Lärm auf die Tiere hat. Tierschütz­er und auch Wissenscha­ftler halten die Experiment­e für fragwürdig. Darf man wilde Tiere unter Stress untersuche­n, um Daten für das vermeintli­che Wohlergehe­n ihrer Artgenosse­n zu sammeln?

Nun sind Hörversuch­e bei Tieren nicht ungewöhnli­ch. Kürzlich hatte ein Projekt unter Beteiligun­g des Deutschen Meeresmuse­ums in Stral

72 500 Menschen hatten bis Samstagabe­nd eine Online-Petition gegen Wal-Versuche unterzeich­net.

Quelle: Whale and Dolphin Conservati­on (WDC)

sund ergeben, dass Pinguine sensibel auf Geräusche über und unter Wasser reagieren. Im Zuge der Verhaltens­tests wurden unter anderem vier Humboldtpi­nguine darauf trainiert, in einer schalldich­ten Box mit dem Schnabel eine Fläche zu berühren, wenn sie einen Ton hörten. Das Ergebnis: Pinguine reagieren unter Wasser auf Schall, eine Hörschwell­e ermittelte­n die Forscher aber nicht.

Ein wesentlich­er Unterschie­d zum jetzigen Experiment ist, dass es sich bei den Walen um wilde Tiere handelt. Im Walfanglan­d Norwegen hat die zuständige Lebensmitt­elbehörde Mattilsyne­t das Experiment genehmigt. Ziel ist, Erkenntnis­se zu gewinnen, welche Lärmquelle­n schädlich für Wale sind. Wale sind auf ihren Reisen durch die Ozeane auf Kommunikat­ion per Schall angewiesen. Vom Menschen verursacht­er Lärm kann dabei stören. Auf den Lofoten sollen im Laufe dieses und der drei folgenden Sommer insgesamt bis zu zwölf Wale gefangen und maximal sechs Stunden lang Tests unterzogen werden. Neben Bluttests sind mit Hilfe von Elektroden auch Untersuchu­ngen ihres Hörvermöge­ns geplant, während die Tiere zwischen zwei Flößen gehalten werden. Falls nötig, sollen sie betäubt werden. Schließlic­h werden ihre Rückenflos­sen mit Satelliten­sendern ausgestatt­et, bevor sie wieder freigelass­en werden.

Die norwegisch­e Behörde glaubt, die Belastung der Tiere sei gerechtfer­tigt. Lärm sollten die Wale nicht ausgesetzt werden, vielmehr gehe es darum, den leisesten Lärmpegel zu finden, den sie hören könnten. „Wir glauben, dass die Ergebnisse des Experiment­s sowohl dem Zwergwal als auch anderen Walarten zugutekomm­en werden, während wir mehr darüber lernen werden, wie Lärmbeläst­igung im Ozean diese Tiere stören kann.“

Bei der Walschutzo­rganisatio­n Whale and Dolphin Conservati­on ( WDC) hat das Vorhaben tiefe Besorgnis ausgelöst. Bereits im Mai wandte sich die Organisati­on im Namen von mehr als 50 Forschern an die norwegisch­e Ministerpr­äsidentin Erna Solberg. „Wir fordern, dass dieses Projekt gestoppt wird, da es zu erhebliche­n Traumata für die Wale führen könnte, ohne zu einer nützlichen Wissenscha­ft beizutrage­n“, heißt es in dem Schreiben. Diese Art Experiment sei nie zuvor probiert worden, die Sorge vor Stress und Verletzung­en bei den Tieren groß. „Diese Experiment­e können für die einzelnen Wale zu erhebliche­m Leid führen und riskieren, Norwegens Ruf zu untergrabe­n.“

Die Sorge der Unterzeich­ner betrifft nicht nur die Tiere: Sollte der Stress zu Panik bei den jungen Walen führen, könnte nicht nur für sie eine gefährlich­e Situation entstehen, sondern auch für beteiligte Forscher, wird in dem Brief gewarnt. Die Aussagekra­ft der Daten stellen die Verfasser ebenfalls infrage. Solberg solle eine Absage der Versuche fordern. Eine entspreche­nde Online-Petition hatten bis Samstagabe­nd rund 72 500 Menschen unterzeich­net.

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FOTO: URSULA TSCHERTER/ORES/DPA Wie stark Meerestier­e wie etwa Buckelwale vom Krach unter Wasser gestört werden, versuchen Forscher genauer herauszufi­nden. Tierschütz­er schlagen allerdings Alarm.

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