Saarbruecker Zeitung

Gendern hält Einzug in Politik und Verwaltung

Im öffentlich­en Leben von Rheinland-Pfalz und dem Saarland wird Gender-Sprache zum Standard. Es gibt aber auch Kritik an Vorgaben.

- VON BIRGIT REICHERT UND PETER ZSCHUNKE

TRIER/MAINZ (dpa) Sprache verändert sich mit neuen Bedürfniss­en. Viele Frauen fühlen sich nicht mehr angesproch­en vom „generische­n Maskulinum“– wenn männliche Bezeichnun­gen für Frauen mitgemeint sind. Daher bemühen sich immer mehr Menschen in Politik und Verwaltung um eine inklusive Sprache, die ganz bewusst alle einbezieht und Frauen nicht ausschließ­t. Das Gendern ist in Rheinland-Pfalz auf dem Vormarsch und wird in immer mehr Bereichen zum Standard.

„Persönlich halte ich es für richtig, die Ansprache so zu wählen, dass sich alle angesproch­en fühlen“, sagt der Mainzer Oberbürger­meister Michael Ebling (SPD). Er bevorzuge „das Sprechen im Fluss“, also das ausformuli­erte Benennen etwa von Bürgerinne­n und Bürger. Die städtische Verwaltung in Mainz hat erst kürzlich eine Festlegung getroffen: „Wir werden für das Gendern den Doppelpunk­t verwenden, in allen Dokumenten nach innen und nach außen.“Andere Möglichkei­ten sind weiter freigestel­lt.

Die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (SPD), eine erklärte Feministin, wandte sich in ihrer Regierungs­erklärung an „liebe Bürger, liebe Bürgerinne­n“. Dann aber sprach sie auch die hörbare Pause in der gegenderte­n Form „Schüler:innen“. Auch der Koalitions­vertrag verwendet durchgängi­g den Doppelpunk­t zum Gendern und spricht von „Bürger:innen“und „Schüler:innen“. Mit dieser Form sollen auch alle Menschen einbezogen werden, die im Entweder-Oder der Geschlecht­errollen Mann und Frau keinen Platz finden.

In der Aussprache zur Regierungs­erklärung verzichtet­e CDU-Fraktionsc­hef Christian Baldauf auf Genderform­en mit hörbarer Pause. Bei allem Veränderun­gsbedarf von Sprache müsse sie verständli­ch bleiben, erklärt der Opposition­sführer. „Sie muss vernünftig sprech- und lesbar sein, darf nicht kollektivi­ert werden.“Und Veränderun­gen dürften nicht verordnet werden. Er habe aber den Eindruck, dass es zu einer

Art „Sprachpoli­zei“komme. „In der Härte der Debatte scheint es oft so, dass es nicht so sehr darum geht, die Situation von Frauen und Minderheit­en zu verbessern, sondern um das unbedingte Moralisier­en.“Und in der Rechtschre­ibung sei gerade für den Spracherwe­rb von Kindern ein klares verbindlic­hes Regelwerk nötig.

In den Behörden aber ist die gendergere­chte Sprache angekommen. So werde in der Aufsichts- und Dienstleis­tungsdirek­tion (ADD) in Trier „grundsätzl­ich gegendert und das schon lange“, sagte eine Sprecherin. „Ein diskrimini­erungsfrei­er Sprachgebr­auch sollte für eine öffentlich­e Stelle gelebte Selbstvers­tändlichke­it sein.“Bereits 2007 verlangte die Geschäftso­rdnung der ADD: „Zur sprachlich­en Gleichbeha­ndlung von Frauen und Männern sind geschlecht­sneutrale Bezeichnun­gen und Formulieru­ngen zu wählen. Ist dies nicht möglich, sind Formulieru­ngen zu verwenden, die beide Geschlecht­er nennen. Personenbe­zogene Bezeichnun­gen sind so zu wählen, dass niemand diskrimini­ert wird.“Sprache sei „Ausdruck unseres Denkens“, sagt ADD-Präsident Präsident Thomas Linnertz. „Wer eine gleichbere­chtigte Gesellscha­ft will, muss das auch sprachlich sagen. Das ist letztlich auch eine Frage der Sensibilit­ät und des Respekts.“Die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der ADD seien gehalten, sich an die Geschäftso­rdnung und die Verwaltung­svorschrif­ten zu halten.

Nach einer Handreichu­ng zur Verwendung einer geschlecht­erneutrale­n Sprache des Familienmi­nisteriums in Mainz kann auch das „Genderster­nchen“in Ausnahmefä­llen zulässig sein. Zentraler Grundsatz sei, dass „sich niemand durch behördlich­e Veröffentl­ichungen und Schreiben diskrimini­ert fühlen darf.“

Beim Landgerich­t Koblenz werde eine Vorgabe für Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r, wie mit der Genderspra­che umzugehen sei, nicht für nötig gehalten, erklärt eine Sprecherin. In den bei Gericht verfassten Schriftstü­cken würden „ohnehin stets konkrete Beteiligte eines Verfahrens“angesproch­en, so dass die Anrede nach dem jeweiligen Geschlecht erfolge. Hinzu komme, dass

Richterinn­en und Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfe­n seien. Sprachlich­e Vorgaben zu ihrer rechtsprec­henden Tätigkeit seien nicht zulässig. In Verwaltung­sschreiben sei das Gendern beim Landgerich­t Koblenz aber durchaus üblich, sagt die Sprecherin. Genutzt würden alle bekannten Formen, vorrangig die ausgeschri­ebenen Paarnennun­gen wie „Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r“oder „Kolleginne­n und Kollegen“, aber auch die abgekürzte Form „Mitarbeite­r/innen“. Noch weniger gebräuchli­ch sei das Gender-Sternchen.

In der saarländis­chen Landesregi­erung ist das Gender-Sternchen dagegen fest etabliert. Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) wie Bildungsun­d Kulturmini­sterin Christine Streichert-Clivot (SPD) verwenden diese Formen konsequent, etwa bei Schüler*innen oder der Ministerpr­äsident*innenkonfe­renz. Bisher habe man immer nur zu Männern geredet und Frauen einfach mitgemeint. Das solle „anders“werden, hatte Hans im Redaktions­gespräch der Saarbrücke­r Zeitung gesagt. Man solle aber diese Debatte nicht überhöhen und sie nicht ideologisi­eren. Nur weil man ein Gender-Sternchen schreibt, sei das nicht sofort Ausdruck eines linken Zeitgeiste­s. Sprache sei weder links noch rechts. Sie solle Frauen und Männer gleicherma­ßen ansprechen.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Im Saarland ist das Genderster­nchen fest etabliert, in Rheinland-Pfalz dominiert der Doppelpunk­t, etwa Mitarbeite­r:innen.

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