Große Emotionen mit kleinen Corona-Tücken
Georges Bizets „Die Perlenfischer“unter Leitung von Stefan Neubert feierte am Freitagabend am Staatstheater Premiere.
SAARBRÜCKEN Da fühlt man sich doch gleich wie neu geboren! Weniger aus Ekstase darüber, dass man wieder im Theater sitzen darf, sondern wegen des Papier-Armbands, das man sich schon auf der Außentreppe ums Handgelenk zwirbeln darf. In rosa und blau hilft so was bei der Identifikation frisch entbundener Babys, hier dient es – in unisex-gelb – als Nachweis für die Kontrolle von Impfung, Genesung oder Test.
So hockte man denn am Freitag im Großen Haus wie ein Säugling auf der Wöchnerinnenstation, auch klimatisch proper gepampert, um von Intendant Bodo Busse mit der Information erschreckt zu werden, dass für die Rolle des Zurga in Georges Bizets „Perlenfischern“sowohl A- wie B-Besetzung indisponiert seien. Und das bei der Premiere! Wobei das 1863 uraufgeführte und seinerzeit wenig beachtete Werk des damals 25-jährigen Komponisten ohnehin nur vier Protagonisten aufbietet: eine Frau und drei Männer. Doch in Windeseile wurde eine Aushilfe verpflichtet, und so sang statt Peter Schöne oder Salomón Zulic del Canto der flugs vom Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen importierte polnische Bariton Piotr Prochera.
Als Ersatzmann war der kongeniale Gast freilich nur daran zu erkennen, dass er ein Textbuch mit sich herum trug. Was aber nicht tragisch war, weil Bizets Dreiakter (in französischer Sprache, mit Übertiteln) in Saarbrücken sowieso „nur“als konzertante Aufführung über die gestufte Bühne geht – szenisch eingerichtet von Friederike Krüger und Alexander Reschke, die statt Fischernetzen feinmaschige Gazewände auf und ab fahren lassen.
Coronabedingt abgespeckt ist auch das eigens für 25-köpfiges Orchester eingerichtete, exotisch parfümierte Arrangement unter der zupackenden musikalischen Leitung des Ersten Kapellmeisters Stefan Neubert. Derlei pandemische Zugeständnisse haben ihre Tücken: Kleinere Unstimmigkeiten fallen im transparenteren Instrumentenbild deutlicher auf, während die Absprache innerhalb des Opernchors, der die emotionale Entwicklung der Charaktere kommentiert, erschwert ist – das Ensemble nimmt, auf Abstand postiert, die gesamte Tiefe der Bühne ein. Vor allem aber provoziert die Distanz, dass die vier Hauptpersonen ihre Gefühle mühsam bändigen müssen, statt ihnen freien Lauf zu lassen – mehr Implosion als Explosion.
Das wiederum passt aber eigentlich ganz gut zur auf Ceylon (Sri Lanka) angesiedelten Dreiecksgeschichte, in der zwei Freunde dieselbe Frau begehren. Bevor die leid
Die coronabedingte Distanz provoziert, dass die vier Hauptpersonen ihre Gefühle mühsam bändigen müssen, statt ihnen freien Lauf
zu lassen.
geprüfte Tempelpriesterin Leila (Marie Smolka) und der Jäger Nadir (Sung min Song) einander kriegen, muss Perlenfischer-Chef Zurga seine Eifersucht überwinden, derweil der Dorfälteste Nourabad (Hiroshi Matsui) mit religiösen Konventionen aufräumen muss. Drama!
Zwar bieten die Perlenfischer, abgesehen von Nadirs Arie „Je crois entendre encore“, nicht so viele Hits wie Bizets wesentlich berühmtere „Carmen“, aber ergreifende Solopartien und überwältigende Duette – die Leidenschaften lodern, die Sinnlichkeit der Musik ist vergleichbar. Ein romantischer Schmachtfetzen also; wahrlich eine Perle, die hier mit authentischem Ausdruck auf Hochglanz poliert wird. Wie ein luftgefedertes Wölkchen schwebt Marie Smolkas Sopran durch die Oktaven; so duftig, als ob sie Tenor Sung min Song, der sich bei leisem, verzehrendem Schwärmen in hoher Lage schwerer tut, mit ihrer Leichtigkeit anstecken wolle. Mit weichem, voluminösem Bass gibt Hiroshi Matsui die graue Eminenz, und Gast Piotr Prochera glänzte mit viril vibrierendem, dunkel glühendem Timbre. Verdienter Riesenapplaus.
„Die Perlenfischer“– vier weitere Termine: Donnerstag, 24. Juni, 19.30 Uhr; Sonntag, 27. Juni, 18 Uhr; Donnerstag, 1. Juli, 19.30 Uhr; Donnerstag, 8. Juli, 19.30 Uhr. www.staatstheater.saarland