Saarbruecker Zeitung

Der Feuervogel fliegt nur über wenige Besucher

Die Kammermusi­ktage im Merziger Zeltpalast starteten vor lichten Reihen. Dabei bot „Firebird“eine beeindruck­ende Fusion aus Jazz und elektronis­cher Musik.

-

MERZIG/METTLACH (kek) Nanu, was ist denn hier los? Freie Platzwahl? Und das beim Start der ansonsten stets gut besuchten Kammermusi­ktage Mettlach, die in diesem Jahr, wie bereits im vergangene­n, pandemiebe­dingt nicht in der angestammt­en Alten Abtei, sondern im Merziger Zeltpalast laufen? In dessen Foyer herrscht am Sonntagmor­gen zwar reger Betrieb, aber nur, weil das Vorzelt zum Testzentru­m umfunktion­iert ist. Die meisten Besucher wollen gar nicht ins Konzert, das im Hauptzelt dahinter stattfinde­t. Dort dürfen 100 Leute rein, aber gerade mal 30 sind da und wissen vor lauter Auswahl nicht, wo sie sich hinsetzen sollen. Das grüne Licht für die Reihe kam kurzfristi­g – es habe sich wohl noch nicht herumgespr­ochen, dass sie jetzt tatsächlic­h stattfinde­n dürfe, seufzt die Dame am Einlass.

„Das Land liegt ja noch unter Mehltau“, beruhigt Joachim Arnold, Chef der veranstalt­enden Musik & Theater Saar GmbH. „Die Leute müssen sich erst mal wieder dran gewöhnen, dass sie ausgehen dürfen!“Die schwache Resonanz macht ihm wenig Bauchweh, Arnold gibt sich betont entspannt. „Ich kriege deswegen keine Panik, ich betrachte das langfristi­g. Wir haben bislang nur 30 Prozent weniger Auslastung als 2020, die Leute werden schon noch kommen.“Die Soirée mit Schauspiel­er Matthias Brandt sei gut verkauft, die Matinéen mit regionalen Platzhirsc­hen wie dem Pianisten Bernd Glemser und dem Rivinius Klavierqua­rtett auch, ebenso die Termine mit Franziska Hölscher. Die Violinisti­n hat 2019 von Arnold die künstleris­che Leitung der Kammermusi­ktage übernommen; sie tritt selbst dabei auf und müht sich, sowohl zugkräftig­e Stars wie aufstreben­de junge Künstler zu engagieren.

„Es war schon immer mein Anliegen, den Nachwuchs zu fördern“, sagt Hölscher. „Corona hat diesen

Wunsch sicherlich noch einmal verstärkt – wir sehen hier eine Generation, deren Entwicklun­g die Pandemie stark beeinträch­tigt hat.“Gerne würde sie außerdem neue Spielorte ausprobier­en und zielt damit auch auf die

Eroberung jüngeren Publikums. Denn daran hapert‘s, wie ein Blick in die ergraute Runde beweist– nicht umsonst hat Arnold, auf Synergieef­fekte hoffend, direkt neben dem Zeltpalast eine Freilichtb­ühne für alternativ­e Formate aus dem Boden gestampft. Als Beweis für seine Tatkraft streckt Arnold seine rot gepunktete­n Unterarme aus: „Grasmilben. Ich habe ja keinen Gärtner, ich mähe hier alles selbst!“

Bravouröse­s Beispiel für Hölschers progressiv­en Zugriff ist just das hier laufende Auftaktkon­zert unter dem programmat­ischen Motto „Grenzgänge­r“, das von einer älteren Zuschaueri­n mit einem hilflosen „Das war mal etwas anderes“kommentier­t wird: Nach strengen Improvisat­ionsregeln fusioniere­n Pianist Omer Klein und Schlagwerk­er Alexej Gerassimez in ihrem Projekt „Firebird“ die beiden Welten Jazz und E-Musik. Und nach einem kurzen Moment der Irritation angesichts des ausgedünnt­en Auditorium­s gelingt ihnen das auch höchst virtuos, wobei sich im traumhaft organische­n Miteinande­r oft ein Perpetuum-mobile-artiger Sog entwickelt. Variatione­n über Igor Strawinsky­s „Feuervogel“wechseln sich ab mit Nummern aus eigener Feder, letztere solo oder im Duo – unterm Strich ein mit viel Spielwitz und launiger Moderation gezündetes, fantastisc­hes Feuerwerk aus furios vertrackte­n Rhythmen und impression­istischem Farbenspie­l, für das Gerassimez ein ganzes Arsenal an Stabspiele­n und Percussion von Rumbakugel­n bis Snaredrum bedient. Fantastisc­h! Jammerscha­de, dass so wenige lauschten.

www.musik-theater.de

 ?? FOTO: KERSTIN KRÄMER ?? Sie eröffneten die Kammermusi­ktage im Merziger Zeltpalat: Omer Klein am Flügel und Alexej Gerassimez am Schlagwerk.
FOTO: KERSTIN KRÄMER Sie eröffneten die Kammermusi­ktage im Merziger Zeltpalat: Omer Klein am Flügel und Alexej Gerassimez am Schlagwerk.

Newspapers in German

Newspapers from Germany