Ein Flüchtling tanzt sein Schicksal – Bachmann-Preis für Nava Ebrahimi
KLAGENFURT (dpa) Auf der Flucht aus dem Iran in Richtung Kanada werden Mutter und Sohn in Thailand festgenommen und landen im Gefängnis. „Diese sechs Monate wurden zum Sperrgebiet, zum Tschernobyl der Familiengeschichte, die ohnehin an Boden verlor“, schreibt Nava Ebrahimi. Bei einer Begegnung mit seiner Cousine tanzt der schwule Kian auf einer Bühne in New York endlich bisher Ungesagtes. Mit ihrem Text „Der Cousin“hat die 1978 in Teheran geborene Schriftstellerin, die in Köln aufgewachsen ist, die Jury des Bachmann-Preises überzeugt. Die mit 25 000 Euro dotierte Auszeichnung ging damit an eine von vorneherein hochgehandelte und bereits etablierte Autorin. Sie sei eine der spannendsten Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur, so die Jury.
Es war ein enges Rennen um den Hauptpreis: Mit vier zu drei Stimmen bevorzugte die siebenköpfige Jury Ebrahimi vor der Berliner Autorin Dana Vowinckel. Vowinckel hat in „Gewässer im Ziplock“einen Blick auf die orthodoxe jüdische Szene geworfen. Die 1996 geborene Schriftstellerin erhielt mit dem Deutschlandfunk-Preis den am zweithöchsten dotierten Preis (12 500 Euro).
Necati Öziri aus Berlin gehört ebenfalls zu den großen Gewinnern. Er las einen Brief eines todkranken Sohnes an seinen Vater vor. „Morgen wache ich auf und dann beginnt das Leben“ ist eine verzweifelte Verfluchung, wie Juror Michael Wiederstein sagte. Der Lohn für Öziri: Der Kelag-Preis (10 000 Euro) und der BKS-Bank-Publikumspreis (7500 Euro).
Ein See, ein Boot und abgründige Gedanken, das sind die Elemente der Geschichte von Timon Karl Kaleyta. In „Mein Freund am See“schildert er, wie während einer Bootsfahrt ein Mitfahrer daran denkt, seinen Freund am Ruder zu ermorden. Kaleyta bekam den mit 7500 Euro dotierten 3sat-Preis.
Der Ingeborg-Bachmann-Preis wird seit 1977 in Erinnerung an die in Klagenfurt geborene Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (1926-1973) verliehen. Für 2022 hoffen die Veranstalter wieder auf Live-Bedingungen. Dieses Mal waren die Lesungen der 14 Teilnehmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgezeichnet worden und die Autoren zur Diskussion online zugeschaltet.