Stiko hält sich mit Empfehlung zu Auffrischungsimpfung zurück
Die gefährliche Delta-Variante des Coronavirus verbreitet sich in Deutschland rasant, doch die Ständige Impfkommission hält die Datenlage noch für zu dünn.
BERLIN In der Debatte um mögliche Auffrischungsimpfungen gegen Covid-19 hält der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, die Datenlage noch für zu dünn, um klare Empfehlungen abzugeben. „Für eine solide Antwort braucht es noch Daten, Zeit und Arbeit“, sagte Mertens unserer Redaktion. Dabei stellt sich die Frage nach der aufgefrischten Schutzimpfung umso dringlicher, je weiter sich die Delta-Virusvariante in Deutschland ausbreitet. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) gehen bundesweit mittlerweile 34 Prozent der Corona-Infektionen auf die zuerst in Indien aufgetretene Mutation zurück. Laut RKI ist damit zu rechnen, dass sich die Delta-Variante gegenüber den anderen Varianten durchsetzen werde. Schon in dieser Woche dürfte sie mindestens die Hälfte aller Neuinfektionen ausmachen.
Laut Stiko-Chef Mertens kann die Dauer der Schutzwirkung einer Impfung durch die sogenannten mRNA-Impfstoffe (Biontech und Moderna) nur in Verlaufsstudien bestimmt werden. Dabei müsse man genau definieren, ob der Schutz generell vor einer Covid-19-Erkrankung, vor schweren Krankheitsverläufen, Hospitalisierung oder Tod gemeint sei. „Das kann und wird wohl auseinanderklaffen“, sagte Mertens.
Zudem müsse man auch zwischen sogenannten Immunparametern, die im Labor bestimmbar sind, und der Schutzdauer einer Impfung unterscheiden. „Beides ist nicht bei allen gleich, sondern abhängig vom Alter und der Immunkompetenz des Geimpften“, sagte der Virologe. Die Studienergebnisse zu Immunparametern sind laut Mertens noch rar, weitere werden im Sommer erwartet.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte am Donnerstag, man bereite mögliche Auffrischungsimpfungen für pflegebedürftige Menschen in Pflegeeinrichtungen „gedanklich“bereits vor. „Ich rechne bald mit Empfehlungen der Ständigen Impfkommission, was immunsupprimierte Menschen angeht und die Notwendigkeit einer Auffrischimpfung“, sagte Spahn in Berlin. Dafür werde der Impfstoff aus den Lieferungen so beiseite gelegt werden, „dass es jedenfalls dann losgehen kann ohne Mangel, sondern die Auffrischimpfungen auch zügig in kurzer Zeit erfolgen können“.
Unabhängig von den Auffrischungen empfiehlt die Stiko nach einer ersten Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff möglichst schnell eine zweite Impfung mit Moderna oder Biontech. Die „heterologe Impfung“funktioniere sehr gut und zeige „immunologisch beste Ergebnisse“, sagte Mertens. Laut Stiko sei mindestens ein vierwöchiger Abstand zwischen den beiden Impfungen einzuhalten. Dies gelte unabhängig vom Alter.
Derweil warb SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dafür, dass die Ständige Impfkommission ihre Einschränkung beim Kinder-Impfen überdenkt: „Impfungen sind ungefährlicher als eine Erkrankung.“Insbesondere für Kinder sei Delta eine Gefahr. Es handle sich nicht um irgendeine Variante, erklärte Lauterbach. Bezogen auf die Ansteckung sei dies der größte Sprung, den eine Corona-Variante bisher gezeigt habe.